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Das Gift, das aus dem Kinderbuch kommt

Die Substanz "Bisphenol A" gibt Plastikprodukten eine hohe Festigkeit. Handys, Motorradhelme, aber auch Dosenbeschichtungen und Kinderbuchseiten enthalten es. Das Umweltbundesamt warnt vor den zu hohen EU-Grenzwerten.

Von Michael Engel | 15.06.2010
    Kaum ein Bach, Fluss oder See, der nicht "Bisphenol A" enthält. Von 1230 untersuchten Gewässern in Europa waren nur fünf Proben negativ. Nicht nur über das Trinkwasser gelangt der gefährliche Stoff zum Menschen, sondern auch über beschichtete Konservendosen. Dr. Andreas Gies, Leiter der Abteilung der Umwelthygiene beim Umweltbundesamt in Dessau:

    "Wir haben eine ganze Reihe von Pfaden, über die das Bisphenol in unseren Körper gelangen kann. Zum ersten über die Nahrung. Dadurch, dass es in Gefäßen ist. Oder durch Schläuche geht, oder bei der Nahrungsmittelverarbeitung. Zum anderen finden wir Bisphenol A in den Quittungen, die Sie an der Tankstelle kriegen, die aus Thermopapier sind. Oder, wie wir neuerdings wissen, auch im Papier aus Kinderbüchern. Das heißt, wenn Kinder Kinderbücher in den Mund nehmen, kann auch Bisphenol A aus diesem Papier in den Körper übergehen."

    Bisphenol A steckt in vielen Plastikprodukten. Darunter: Babyflaschen, Plastikbesteck oder in Schläuchen für die Dialysebehandlung. In diesen Fällen ist der Weg zum Menschen nicht weit. Aber auch Motorradhelme, Mobiltelefone und Dachabdeckungen enthalten die Substanz, die dann - mit dem Abfall – in die Umwelt gelangt und unser Trinkwasser kontaminiert.

    "Bisphenol A kann in sehr kleinen Konzentrationen – im Tierversucht – bedenkliche Wirkungen auslösen. Zum Beispiel Wirkungen auf die Fortpflanzungsfähigkeit, auf die Krebsentstehung. Und das sind Wirkungen, die wir heute beim Menschen zunehmend finden. Also wir finden eine zunehmende Unfruchtbarkeit beim Mann. Wir finden eine Zunahme von hormonabhängigen Krebsarten wie Hodenkrebs oder Brustkrebs. Und das macht uns Sorgen."

    Die Gefährlichkeit der hormonartig wirkenden Substanz wird in der Fachwelt sehr unterschiedlich bewertet. Wissenschaftler wie Prof. Heinz Nau, der an der Tierärztlichen Hochschule Hannover mit "Bisphenol A" experimentierte, gehen von extrem niedrigen Schwellenwerten aus.

    "Das wirft die ganze Toxikologie und Risikoabschätzung, wie man es heute macht, durcheinander. Und man müsste für diese Substanzen deren Höchstmengen sehr viel niedriger ansetzen, als es heute der Fall ist."

    Für die Europäische Lebensmittelbehörde ist "Bisphenol A" unbedenklich, wenn maximal 50 Mikrogramm pro Tag und Kilo in den Körper gelangen. Die tägliche Aufnahmemenge des Menschen – so die EU – liege weit darunter. Viele Wissenschaftler hingegen sind skeptisch. Sie berichten von Wirkungen weit unterhalt dieser Schwelle. Noch einmal Dr. Andreas Gies vom Umweltbundesamt:

    "Die Europäischen Behörden sind der Meinung, dass Bisphenol A in einer relativ hohen Konzentration unschädlich ist. Sie stützen sich dabei auf Studien, die von der Industrie bezahlt worden sind. Aber diesen Studien widersprechen Dutzende von Studien, die in der freien Wissenschaft gemacht worden sind, die bei sehr viel niedrigeren Konzentrationen Wirkungen im Versuchstier finden."

    Norwegen will den zulässigen Gehalt von "Bisphenol A" in allen Verbraucherprodukten erheblich absenken. Dänemark hat im März diesen Jahren gar ein Verbot für Gegenstände erlassen, die "Bisphenol A" freisetzen können. Frankreich verhängte ein Verbot für Trinkflaschen mit "Bisphenol A". Die Europäische Union müsse unbedingt handeln, so die Forderung des Umweltbundesamtes in Dessau:

    "Gebrauchsgegenstände für Kinder müssen nicht aus Bisphenol A sein. Und wir müssen schauen, dass wir genau kontrollieren, auf welchen Wegen kommt das Bisphenol A in den Körper. Wir sind heute der Meinung, wir haben noch nicht alle Wege identifiziert, und schauen, wo wir nicht mit Bisphenol A arbeiten müssen, und wo wir eine Nähe zum Menschen haben, das Bisphenol A möglichst schnell zu ersetzen."