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Das größere Glück

Eine junge Frau fällt durch ihre von nichts zu erschütternde Lebensfreude auf. Als sich die Öffentlichkeit und die Wissenschaft für die glückliche Studentin interessieren, kommen dramatische Entwicklungen in Gang. Der Roman von Richard Powers vermittelt Einsichten in die moderne Genforschung, ohne lehrhaft den Zeigefinger zu heben.

Rezensent: Michael Lange | 13.12.2009
    Die Studentin Thassa hat in ihrer Heimat in Algerien viele schlimme Dinge erlebt und dennoch ist sie glücklich. So glücklich, dass ihre Lebensfreude auch auf die anderen Teilnehmer eines Kurses für kreatives Schreiben an der Medienhochschule von Chicago überspringt. Ihre Mitstudenten nennen sie bald nur noch Miss Generosity (Fräulein Übermut). Alles, was ihr widerfährt, sieht sie positiv, nichts kann sie aus der Bahn werfen.

    Der Aushilfslehrer Russell Stone mag nicht an dieses Glück glauben und vermutet eine Art Krankheit. Zu viel Glück für einen einzelnen Menschen. Ein Genforscher, der von ihr erfährt, sieht in Thassa den Beweis für seine Theorie, dass das Glück genetisch vorbestimmt ist. Demnach sorgen Glücksgene dafür, dass wir unbeschwert durchs Leben gehen.

    Mit dem Interesse der Wissenschaft an Thassa nimmt das Unglück seinen Lauf. Die Öffentlichkeit erfährt von der lebensfrohen jungen Frau, und viele Menschen wollen an ihrem Glück teilhaben. Jeder würde am liebsten ihre Lebensfreude aufsaugen und interpretiert das Phänomen Thassa auf seine Weise. Und weil die Studentin immer wieder versucht, den Ansprüchen der Welt gerecht zu werden, droht sie daran zu zerbrechen. Bald zeigt sich: Thassa ist längst nicht so stark, wie es scheint.

    Im Roman von Richard Powers steht die Wissenschaft keineswegs im Mittelpunkt. Statt wie andere Autoren, die Leser mit tatsächlichen oder angeblichen wissenschaftlichen Fakten zu belehren, baut er neueste Forschungstrends geschickt in eine vielschichtige Handlung ein. Der Forschungsbetrieb spielt eine untergeordnete Rolle. Vielmehr stehen die Menschen im Mittelpunkt, die zum Gegenstand der Wissenschaft werden. Auch wenn in der realen genetischen Forschung durch die Untersuchung von Einzelpersonen selten wichtige Gene gefunden werden, so trifft das Buch doch genau die Einstellungen und Theorien, wie sie führende Wissenschaftler im Genom-Zeitalter formulieren. Die Stärke dieses Buch sind seine Hauptpersonen. Immer wieder lernt der Leser neue Seiten der Studentin Thassa oder des Aushilfslehrers Russell Stone kennen. So ist ein lesenswerter Roman entstanden - nicht nur für Wissenschaftsinteressierte.

    Richard Powers: Das größere Glück
    ISBN: 978-3-10-059024-4
    S. Fischer Verlag, 415 Seiten, 22,95 Euro