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Das Hirn zum Fliegen

Seit 1861 bei Solnhofen das erste Archaeopteryx-Fossil entdeckt worden ist, gilt er als Ikone der Evolutionsforschung. Denn dieses oft als Urvogel bezeichnete Fossil ist ein faszinierendes Wesen, das noch Merkmale der Saurier trägt, aber auch schon viele vom modernen Vogel. Seit seiner Entdeckung wird auch gerätselt, wie gut Archaeopteryx fliegen konnte - und wie sich der Vogelflug überhaupt entwickelt hat. Nun ist man der Antwort auf diese Frage mit Hilfe hochmoderner Technik einen Schritt näher gekommen.

Von Dagmar Röhrlich | 11.08.2004
    Vor 147 Millionen Jahren haben sieben Archaeopteryx einen wenig schönen Tod gefunden: Sie ertranken in einer Lagune, die sich dort erstreckte, wo heute die Steinbrüche von Solnhofen und Eichstätt sind. Zumindest die Flugkünste dieser sieben waren also nicht perfekt. Aber auch ansonsten ist bis heute umstritten, ob Archaeopteryx schon richtig fliegen konnte, oder ob er sich nur von Bäumen herab gleiten ließ, auf die er zuvor mit seinen krallenbewehrten Füßen geklettert ist. Um bei dieser Frage weiterzukommen, sind nun die Hirnschale und das Innenohr eines Archaeopteryx genau unter die Lupe genommen worden. Angela Milner vom naturhistorischen Museum in London:

    Die Hirnschale, die rund 20 Millimeter lang ist, wurde schon vor langer Zeit vom Rest des Fossils abgetrennt, damit man sie untersuchen kann. Jetzt haben wir sie in Austin Texas in einem Labor für hoch auflösendem Computer-Tomographie untersuchen lassen und haben die Daten dieser dreidimensionalen Röntgenuntersuchung in London ausgewertet.

    Weil bei den kleinen, Fleisch fressenden Sauriern ebenso wie bei den Vögeln das Gehirn sehr eng am Schädel sitzt, übertragen sich die Hirnkonturen auf den Knochen. Dank dieses perfekten Abdrucks lässt sich die Form des Gehirns rekonstruieren und anschließend mit der von Sauriern und heute lebenden Vögeln oder Reptilien vergleichen. Das erstaunliche Ergebnis: Das Gehirn des Archaeopteryx gleicht schon dem eines Vogels:

    Dass der größte Hirnlappen, die Großhirnhälfte, in der die Koordination des Flugs stattfindet, vergrößert war, legt nahe, dass das Tier fliegen konnte. Auch die beiden optischen Zentren im Gehirn, sind sehr groß. Und sie sitzen an der Seite des Hirns, genau wie bei modernen Vögeln, während sie bei Dinosauriern und anderen Reptilien oben auf dem Gehirn sitzen. Aufgrund dieser Muster glauben wir, dass Archaeopteryx von seinem Gehirn her bereits flugfähig war.

    Auch das Innenohr belegt, dass er - sozusagen theoretisch - alle Anlagen für den Vogelflug besaß.

    Er hatte sehr große Bogengänge im Gleichgewichtsorgan des Innenohrs, die durchaus vergleichbar sind mit denen moderner Vögeln. Das zeigt uns, dass auch sein Ohr für den Flug bereit war. Er konnte seine Position im Raum hervorragend wahrnehmen und ebenso hervorragend das Gleichgewicht halten. Das ist auch grundlegend, wenn man fliegen können will.

    Gehirn und Innenohr waren also fertig für den Abflug - aber Archaeopteryx selbst war es wohl noch nicht so ganz. Denn seine Brustknochen waren noch nicht vergrößert und auch die Muskelansätze daran reichen wohl nicht für den kräftigen Flügelschlag eines modernen Vogels. Er konnte wohl gut segeln und flattern, aber er war noch längst kein Albatross.

    Aber es ist sehr interessant, dass das Gehirn des Archaeopteryx schon flugbereit war. Er hatte auch Federn wie ein moderner Vogel. Der Rest des Tiers war eher noch Saurier. Das bedeutet, dass während der Evolution, die schließlich zu Vögeln führte, besonders große Veränderungen im Gehirn ablaufen mussten. Und dass wir den Beginn dieser Entwicklung sehr viel weiter zurück in der Erdgeschichte suchen müssen, mindestens 50 Millionen Jahre weiter in die Vergangenheit.

    Nun wollen die Paläontologen in rund 200 Millionen Jahre alten Gesteinen nach den Anfängen des Vogelflugs suchen. Vielleicht haben sie ja Glück.