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Das Innerste nach außen kehren

Einen Aufbruch in die Emanzipation wagten um 1800 die Romantikerinnen, die in Dichtungen, Prosa und vor allem in Briefen ihr Innerstes nach außen kehrten. Unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen strebten die Dichterinnen nach Bildung, Freiheit und Selbstbestimmung. Katja Behrens stellt in "Alles aus Liebe, sonst geht die Welt unter" sechs Romantikerinnen und ihre Lebensgeschichte vor.

Von Nicole Strecker | 26.08.2006
    Welch' ein Stoff für Romanciers, was für eine Fülle an Geschichten, Zufällen, Katastrophen, Seelenqualen. Die eine, Bettine von Arnim, verliebt sich in den eigenen Bruder, die andere, Caroline Schlegel-Schelling, wird als Sympathisantin der Französischen Revolution ins Gefängnis geworfen. Wieder eine andere, Sophie Mereau-Brentano, verliert ein Kind nach dem nächsten. Alle haben sie Affären und heimliche Lieben, gieren nach Bildung und Lektüre, schreiben sich die Finger wund, und die Dramatischste von allen, Karoline von Günderode, rammt sich schließlich den Dolch ins Herz, als sie von ihrem Geliebten endgültig verlassen wird.

    Sechs Frauen, sechs schmerzgebeutelte Romantikerinnen-Leben in einem Band - ein unglaubliches Dichterpotential. Doch "weh und ach", möchte man mit den Heroinen dieser Lebenstragödien ausrufen. All die Ekstasen, Schmerzen, Schwärmereien - verschenkt an eine Prosa, wie sie spröder kein Aufklärungs-Apostel hätte verfassen können.

    "Sophie schreibt Gedichte. Karl Mereau vermittelt zwischen ihr und Schiller, der ihre Begabung erkennt, sie ermutigt und fördert, erste Gedichte von ihr veröffentlicht. Sophie ist Mereau dankbar. Und sie weiß, dass sie es allein, ohne Mann, nicht schaffen kann. Sie will schreiben. Sie muss schreiben. Der sprachliche Ausdruck ist ihr so notwendig wie das Atmen. Später wird sie ihrem zweiten Mann - Clemens Brentano - in allem nachgeben, nur in einem nicht: Sie wird es durchsetzen, dass der Vormittag ihr gehört - zum Schreiben. Und sie wird die erste Frau in Deutschland sein, die das Schreiben zum Beruf macht."

    So die Autorin Katja Behrens in nüchternem Ton über eine Obsession, die Sophie Mereau-Brentano damals wider alle gesellschaftliche Konvention vorgehen ließ. Das Schreiben gehörte zum Dasein höherer Töchter. Hübsche Episteln an die Freundinnen waren gern geduldet, auch kleine Verslein zur Erbauung erfreuten die Gatten und Verwandten. Doch stürmische Lyrik, empfindungsreiche Prosa und Selbstoffenbarungen, die zudem - so setzte es Sophie Mereau-Brentano bereits in jungen Jahren als erste Frau durch - unter dem realen Namen der Autorin publiziert wurden - das war selbst für viele der rebellisch-liberalen Romantiker zuviel.

    Die Romantiker-Herren schätzten ältere Frauen als Gefährtinnen im Geiste, nutzten ihre Dienste für Übersetzungen und Artikel - doch bei ihren Literaturtreffs und Zeitschriften blieben sie lieber unter sich. Sophie Mereau-Brentano forderte trotzdem ihren Platz in der Literaturszene. Sie nahm die Missbilligung klatschsüchtiger Salondamen in Kauf und focht harte Kämpfe mit ihrem Gatten aus. Dichten sei gefährlich für ein Weib, mokiert sich Clemens Brentano. Und sie antwortet spitz:

    "Was Sie mir über die weiblichen Schriftsteller, und insbesondere, über meine geringen Versuche, sagen, hat mich recht ergriffen, ja erbaut. Gewiss ziemt es sich eigentlich gar nicht für unser Geschlecht und nur die außerordentliche Großmut der Männer hat diesem Unfug so lange gelassen zusehen können. Ich würde recht zittern wegen einiger Arbeiten, die leider! schon unter der Presse sind, wenn ich nicht in dem Gedanken an ihre Unbedeutsamkeit und Unschädlichkeit einigen Trost fände."

    In Katja Behrens Porträts zu den Romantikerinnen werden die Gemütsbewegungen, werden Zorn, Trauer, Spott und Hingabe allenfalls in solchen Zitaten erlebbar. Denn die Autorin hält Distanz. Von den Leben der sechs von ihr porträtierten Romantikerinnen hält sie sich fern wie die Kriegsreporterin vom Schlachtfeld.

    "Die Welt, in der sie sich bewegten, ist längst nicht mehr die unsere."

    beginnt Katja Behrens ihren Porträtband und führt die Leser zunächst einfühlsam und sachkundig in die Historie zurück. Wie eine Filmkamera schwenkt sie das innere Auge ihrer Leser durch einen Salon des 19. Jahrhunderts, zeigt Chippendale-Möbel, schwere Vorhänge und Rosentapeten, feuerschürende Dienstboten und sittsam-schöne Frauen, die in Briefen mit Worten wie "ewig" und "tief", "heilig" und "rein" nach kunstvoller Gedankenklarheit streben.

    Und dann kommt sie zu einer kleinen Person, gerade mal einen Meter vierzig groß, die lebenstüchtig genug ist, sieben Kinder großzuziehen, Hilfsmaßnahmen für Cholerakranke zu organisieren und in mutigen Schriften politische Freiheit zu fordern. Und die zugleich so verrückt ist, sich erst schwärmerisch in ihren Bruder Clemens, dann in den Dichterstar der Zeit, in Goethe, zu verlieben: Bettine von Arnim, die Frau des Dichters Achim von Arnim, die fünfzigjährig aus ihrer vergeblichen Leidenschaft Kapital machen wird: "Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" publiziert sie dann und trifft den Nerv einer voyeuristischen Zeit.

    "Bettine Brentano, die aussieht wie eine kleine Berlinerjüdin und sich auf den Kopf stellt, um witzig zu sein, nicht ohne Geist, ist ein wunderliches kleines Wesen."

    wird sie von ihrer Zeitgenossin Caroline Schlegel-Schelling charakterisiert.

    "Sie leidet an dem Brentanoischen Familienübel: einer zur Natur gewordenen Verschrobenheit... Unter dem Tisch ist sie öfter zu finden wie drauf, auf einem Stuhl niemals."

    Zickenduelle allerorten. Über ganz Deutschland waren die Romantikerinnen eigentlich verstreut, aber irgendwie, das zeigt Katja Behrens mit ihrer Auswahl, hat jede mal den Weg der anderen gekreuzt, hat sie verehrt oder vernichtet, direkten Briefkontakt gesucht oder lieber hinter ihrem Rücken gelästert.

    Von einer "Familie" schreibt Behrens deshalb und folgt den komplizierten Verästelungen dieses Stammbaumes in knappen Nebensätzen - einfach und einleuchtend jedoch macht sie sie nicht. Gerade aus der Nähe dieser Frauen zueinander hätte sich soviel Spannung aus den Geschichten ziehen lassen. Doch weil es Behrens nicht gelingt, mit anschaulich erzählten Anekdoten, die Frauen unverwechselbar ins Hirn ihrer Leser zu brennen, bleibt es am Ende beim Namedroping. Ausnahme ist die Freundschaft zwischen Bettine von Arnim und Karoline von Günderode:

    "Die Günderode übernimmt die Rolle der mütterlichen Freundin und genießt die ins Erotische hinüberspielende Verehrung des jungen Mädchens."

    so Katja Behrens über das Verhältnis der beiden. Und dann widmet sie sich einer dramatischen Episode: Bettine provoziert mit einem Messer die todesverliebte Freundin.

    Karoline weicht zurück. Bettine dringt mit erhobenen Dolch auf sie ein. Karoline flüchtet in ihre Schlafkammer und sucht hinter einem Ledersessel Deckung. Bettine sticht auf den Sessel ein, Rosshaar quillt heraus, fliegt im Zimmer umher. "Sie stand flehend hinter dem Sessel und bat, ihr nichts zu tun. Ich sagte: "Eh ich dulde, dass du dich umbringst, tu ich's lieber selbst." ... Bettine sticht weiter auf den Sessel ein und wirft schließlich den Dolch weit von sich.

    Eine Szene, die die Überreiztheit, Exaltiertheit und den hemmungslosen Drang zur Selbstoffenbarung vieler Romantikerinnen auch für die Leser spürbar werden lässt. Doch an vielen anderen Stellen lässt die Autorin ihre Leser mit ausgewählten Textstellen allein. Sie unterschlägt Informationen und erklärt nicht, wer sich etwa hinter einem "wir" in einem Zitat verbirgt. Die Sprache der Romantikerinnen ist sperrig, eigentümlich verschachtelt. Sie hätte vielmehr der sensiblen Hinführung bedurft als Katja Behrens dies leistet.

    So sagen viele der seitenlangen und unkommentierten Auszüge aus den Briefen gar nichts aus über die schriftstellerischen Qualitäten der Porträtierten. Was bleibt ist der verschwommene Eindruck von einer sehr aufregenden und sehr harten Epoche, in der die Kinder starben wie die Fliegen, die Menschen sich mit Klatsch und Hinterhältigkeit das Leben beschwerten, die Frauen kein Geld und trotzdem Bedienstete hatten. Und die Männer? Die traten vor allem als egoistische Herzensbrecher aufs Salonparkett.

    Das ist nun nicht sehr Romantik-spezifisch, und es ist bedauerlich, dass Katja Behrens die Aktualität ihres Buches im Nachwort ausgerechnet mit dem bis heute unveränderlichen Geschlechterverhältnis belegt. Sollten uns diese sechs Frauenleben tatsächlich von nichts Neuem zu künden haben, als von den schon in den 80er Jahren von Christa Wolf oder Sarah Kirsch entdeckten Emanzipationsbestrebungen der weiblichen Romantik? So klang Feminismus damals - scheint Katja Behrens erzählen zu wollen - und zitiert Karoline von Günderode:

    "Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann! ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges aber unverbesserliches Missverhältnis meiner Seele; und es wird und muss so bleiben, denn ich bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd, so uneins mit mir."
    Vor dem Hintergrund ihres Freitods ein berührender rebellischer Aufschrei - und so bleibt die profilgebende Charakteranalyse in den besten Stellen des Buches den Dichterinnen selbst vorbehalten. Doch eine liebevollere Seelenschau hätte viel über die heutige Relevanz dieser Lebensgeschichten aussagen können.