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"Das ist der Tiefpunkt der demokratischen Kultur"

Der Grünen-Abgeordnete Werner Schulz hat das geplante Scheitern der Vertrauensfrage als ein "billiges Schmierentheater" bezeichnet. Auf diese Weise Neuwahlen herbeizuführen sei verfassungsrechtlich mehr als bedenklich. Sollte Schröder das Vertrauen verlieren, will Schulz gegen die Parlamentsauflösung beim Bundesverfassungsgericht klagen.

Moderation: Hans-Joachim Wiese | 29.06.2005
    Hans-Joachim Wiese: Herr Schulz, mangelnde Handlungsfähigkeit seiner Regierung führt Bundeskanzler Schröder angeblich nach Angaben der Deutschen Presseagentur für seinen Schritt an. Meint er damit eventuell auch diese Erpressbarkeit durch linke Abgeordnete in seiner eigenen Partei, die er schon mal angeführt hat?

    Werner Schulz: Das müsste er dann beweisen oder klar beim Namen nennen. Das sind ja alles solche Gerüchte, die da mehr oder weniger verbreitet werden. Bisher ist das nicht nachweisbar. Wir haben 31 Mal die Kanzlermehrheit bringen müssen und haben sie 31 Mal gebracht in diesen sieben Jahren von Rot-Grün. Einmal hat Gerhard Schröder die Vertrauensfrage gestellt bei dieser doch sehr schwierigen Entscheidung, Militäreinsatz in Afghanistan, und er hat es verstanden, eine Krise der Koalition - dafür ist ja eigentlich der Artikel 68 auch gedacht - zu vermeiden, indem er gezeigt hat, er hat die Mehrheit, er hat die Kanzlermehrheit, auch wenn er das durchaus rabiat verstanden hat, sich diese Kanzlermehrheit da zu holen.

    Wiese: Nun hat er sich aber entschlossen und bleibt auch entschlossen, den Bundestag auflösen zu lassen. SPD-Chef Müntefering empfiehlt für die Abstimmung am Freitag Enthaltung, was durchaus nicht alle Abgeordneten der SPD gut finden, haben wir gerade gehört. Wie werden Sie denn abstimmen?

    Schulz: Zunächst muss man sagen, das ist natürlich ein absurdes Theater, wenn ein Fraktionschef Enthaltung empfiehlt. Normalerweise empfehlen Fraktionschefs nichts, sondern sie sind Führungspersönlichkeiten, und sie dringen darauf oder sie versuchen, die Disziplin jedenfalls herzustellen, dass Fraktionen möglichst geschlossen die Politik ihrer Regierung unterstützen. Das ist ja, wenn man so will, doppelt absurd.

    Wiese: Aber die Politik der Regierung heißt ja jetzt Parlamentsauflösung.

    Schulz: Nein, die Politik der Regierung heißt Antrag von Gerhard Schröder, ihm das Vertrauen am Freitag auszusprechen.

    Wiese: Ja, aber das ist doch ein Trick.

    Schulz: Das ist sein Antrag. Vielleicht ist dieser Antrag ja schon eine Lüge. Vielleicht ist dieser Satz schon eine Lüge, dass er gar nicht das Vertrauen will. Dann müsste er bloß sagen, er möchte, dass ihm am Freitag nicht das Vertrauen ausgesprochen wird.

    Wiese: Ja, aber das ist doch eine Binsenweisheit. Jeder weiß er, dass er diese Abstimmung verlieren will.

    Schulz: Was heißt Binsenweisheit? An dieser Stelle kommt es darauf an, ob wir das Grundgesetz noch ernst nehmen oder ob wir der Meinung sind, Politik ist nur noch Schmierentheater und Manipulation, und man kann im Grunde genommen, wenn man einen politischen Willen hat, auch den jeweiligen juristischen Weg dazu finden. Nein, das ist wirklich eine Farce, die abläuft. Es ist für meine Begriffe der Tiefpunkt der demokratischen Kultur, was sich momentan ereignet, das in einer Vertrauenskrise, die die Politik im Allgemeinen durchzumachen hat. Worauf kann man denn noch vertrauen? Noch nicht mal die Vertrauensfrage ist eine echte Sache, sondern da wird zur gleichen Zeit in der Fraktion die Empfehlung gegeben, dem Kanzler am besten dadurch zu vertrauen, indem man sich der Stimme enthält. Also was ist das, weder ja noch nein, weil man mit dem gleichen Kanzler in den Wahlkampf gehen will? Das durchschauen doch die meisten Leute. Die wenden sich doch ab von solch einem Theater.

    Wiese: Eine Farce, sagen Sie, eine bewusst herbeigeführte Abstimmungsniederlage. Sie wollen dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Mit welcher Begründung?

    Schulz: Also ich will dagegen klagen, weil das Grundgesetz keine Stimmungsdemokratie zulässt. Der Bundeskanzler hat ja von Anfang an immer gesagt, er suche eine neue Legitimation für seine Politik. Die braucht er nicht. Er hat einen klaren Verfassungsauftrag. Er ist 2002 gewählt worden, Rot-Grün ist gewählt worden, mit einem Mandat für vier Jahre. Er hat es vermocht, in diesen vier Jahren Politik zu gestalten trotz seiner dünnen Mehrheit, trotz der Mehrheit der Union im Bundesrat. Das hat bisher alles so weit funktioniert, dass er seine Agenda ja durchbringen konnte und die wesentlichen Reformen eingeleitet hat. Nun braucht man Kraft, Mut, die Ausdauer, Überzeugungskraft vor allen Dingen, um diese Reform auch bis zum Ende der Legislaturperiode durchzustehen. Eine neue Legitimation durch das Volk, eine Volksabstimmung, das sieht unser Grundgesetz nicht vor. Ich finde, man kann nicht diesen Verfassungspatriotismus Sonntags im Mund führen und Freitag anders handeln. Bei dem Willen des Volkes, über die EU-Verfassung abzustimmen, sagt man, das geht nicht, ein Referendum geht nicht, weil unsere Verfassung keinen Volksentscheid vorsieht. Dann möchte man wiederum für seine Politik, die man fortsetzen will, diesen Volksentscheid durch Wahlen haben.

    Wiese: Gesetzt den Fall, Sie haben Erfolg mit Ihrer Verfassungsklage, dann müsste eine Regierung im Amt bleiben, die gar nicht mehr regieren will, die sich eigentlich schon mit ihrem Ende abgefunden hat, jedenfalls an ihrer Spitze. Sie können doch nicht ernsthaft diese Agonie verlängern wollen.

    Schulz: Das ist aber ein völlig anderer Fall, den Sie jetzt schildern. Eine Regierung, die nicht mehr will, kann zurücktreten, das gibt unser Grundgesetz her. Insofern werde ich erst klagen können, wenn der Bundespräsident sich entschieden hat, und ich hoffe darauf, dass er diese Farce nicht mitträgt, sondern dass der Bundespräsident klar erkennt, es gibt hier eine Regierung, die nicht mehr regieren will, es gibt möglicherweise auch einen Wunsch der Bevölkerung nach Neuwahl, wobei ich glaube, es gibt keinen Wunsch nach Neuwahl, sondern eher einen Wunsch nach Abwahl, und dass der Bundespräsident sagt, hier sieht die Verfassung durchaus einen Weg vor, und zwar den Rücktritt des Bundeskanzlers.

    Wiese: Also ist das Ihr Ratschlag an die Regierung, tretet zurück?

    Schulz: Also ich bin der Meinung, dass wir diese anderthalb Jahren nutzen sollten und ausfüllen sollten, weil wir handlungsfähig sind. Wir haben in der letzten Woche 50 Abstimmung gehabt, wo jedes Mal die rot-grüne Mehrheit stand. Das ist nach wie vor gegeben, und insofern bin ich jemand, der sagt, wir haben anderthalb Jahre, um zu beweisen, dass diese Reformen positive Wirkungen haben. Wir stehen auch im nächsten Jahr anders da. Das ist meine Position. Ich kann allerdings einen mutlos gewordenen Kanzler nicht dazu zwingen, dass er weiter Politik macht, und ich kann auch nicht verhindern, wenn er diesen unwürdigen Abgang durch Neuwahlen anstrebt und sich aus der Verantwortung wegstehlen will. Dafür gibt es allerdings dann wirklich - und das ist auch politisch korrekt, da weiß man auch Bescheid, was hier gespielt wird - den Weg des Rücktritts.

    Wiese: Vielen Dank für das Gespräch.