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"Das ist doch wie in der DDR"

Karl-Günther Barth, Lokalchef und stellvertretender Chefredakteur beim "Hamburger Abendblatt", ist fassungslos, dass er wahrscheinlich systematisch im Auftrag des Bundesnachrichtendienst von einem Kollegen bespitzelt wurde. Die getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung seien nicht ausreichend, eine strengere Aufsicht sei notwendig, betonte Barth.

16.05.2006
    Heckmann: Wenn heraus kommt, dass der Bundesnachrichtendienst Journalisten beschatten und darüber aushorchen ließ, woran sie denn gerade arbeiten, wer ihre Quellen sind, dann ist das alles andere als eine Petitesse. Dann ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie berührt: die Pressefreiheit. Vergangene Woche schon wurde bekannt: Die Aktivitäten des BND zur Überwachung von Reportern ging viel weiter als bisher angenommen und sie wurden offenbar bis in die jüngste Zeit hinein verfolgt. Gestern sah sich die Bundesregierung nun veranlasst, dem Geheimdienst sämtliche derartige Aktionen zu untersagen, ein bis dato einmaliger Vorgang.
    Karl-Günther Barth ist stellvertretender Chefredakteur des "Hamburger Abendblatts" und einer derjenigen, die ins Visier des BND geraten sind. Schönen guten Morgen Herr Barth!

    Barth: Guten Morgen!

    Heckmann: Wann und wie haben Sie denn erfahren, dass der Bundesnachrichtendienst Informationen über Sie sammelt?

    Barth: Zunächst habe ich das in Umrissen, in äußerst wagen Umrissen durch Kollegen vom "Spiegel" erfahren. Das war am Freitag und später dann am Sonntag hat mich auch ein anderer Kollege, der genauer Bescheid wusste, informiert. Ich kann nur sagen: ich war fassungslos!

    Heckmann: Womit haben Sie sich denn beschäftigt? Was hat Sie für den BND interessant gemacht?

    Barth: Ich war in den 90er Jahren beim "Stern", war dort Autor und habe beispielsweise über die Affäre Elf Aquitaine berichtet und recherchiert. Da ging es beispielsweise darum, ob der französische Mineralölkonzern Schmiergelder nach Deutschland hat fließen lassen. Dreh- und Angelpunkt war unter anderem ein Herr Holzer, ein Unternehmer, der früher im Saarland lebte, heute in Frankreich, der schon lange eng mit dem BND zusammengearbeitet hatte. Ich war dem schon in den 80er Jahren auf der Spur, weil er im Verdacht stand, Waffenlieferungen an den christlichen Teil des Bürgerkrieges im Libanon vermittelt zu haben. Der war auch beteiligt als Helfer des BND bei der Befreiung von deutschen Geiseln im Libanon. Also ich hatte mit dem BND eine ganze Menge zu tun. Ich habe über Uran-Schmuggel geschrieben. Ich habe auch über Missstände im BND geschrieben. Dass sie sich mit mir befassen, dass sie wissen wollen, wer ich bin, das war mir eigentlich klar. Ich hatte ja auch offiziell Kontakt mit denen. Dabei habe ich mir nichts gedacht, außer zu sagen okay, die gucken mir auf die Finger. Man hat auch schon mal zu Kollegen oder zu Informanten gesagt, bitte nicht am Telefon. Das war so ein Reflex. Aber dass ein Kollege, den ich seit fast 20 Jahren kenne, mit dem ich zusammengearbeitet habe, mit dem ich zusammen recherchiert habe, anschließend Dossiers über mich anlegt, also ich muss sagen das ist die Methode Mielke.

    Heckmann: Was sind das für Leute, die sich dem Bundesnachrichtendienst andienen, mit ihm zusammenzuarbeiten?

    Barth: Der Kollege, der in meinem Fall offensichtlich Berichte über mich geliefert hat – es ist ja noch nicht abschließend geklärt; der Bericht liegt noch nicht vor -, ist selber Journalist, ist Buchautor, ist ein durchaus erfolgreicher Autor, ist einer, der oft sehr, sehr kenntnisreich über den BND berichtet hat. Jetzt wundern wir uns natürlich nicht. Dass er eng mit dem BND zusammengearbeitet hat, war mir immer klar. Für mich war er aber immer auch ein Journalist und das heißt ein Journalist, der sozusagen bei aller Nähe zu dem Objekt, was er beschreibt, eine letzte Grenze immer bestehen lässt. Das heißt, er wird nicht Täter.

    Heckmann: Haben Sie denn in den langen Jahren, in denen Sie in diesem Bereich tätig waren, irgendetwas davon gemerkt, dass der BND Ihnen auf den Fersen ist?

    Barth: Ich muss Ihnen sagen wenn man so viel mit Geheimdiensten zu tun hat – das war ja nicht nur der BND; ich habe ja auch mit anderen Diensten zu tun gehabt -, dann fängt man automatisch an, ein bisschen konspirativ zu denken. Man wundert sich, dass beispielsweise man recherchiert und dann passieren merkwürdige Dinge. Leute wissen eigentlich schon Bescheid, haben einen erwartet, dass man sie anruft oder aufsucht. Dann denkt man sich seinen Teil, aber beweisen konnte man das nie. Man hat gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wie ich eben schon sagte: man hat am Telefon die wesentlichen Dinge nicht besprochen.

    Aber ich habe auch nicht mal geglaubt, dass der BND selber abhört. Wenn, dann habe ich gedacht, das machen die Amerikaner. Die konnten ja bis in die 90er Jahre hinein auf Grund des Alliiertenstatuts hier abhören, ohne irgend jemand zu fragen, und haben sicherlich auch mal dem BND dann auf dem kleinen Dienstwege ein paar Protokolle zugeschoben. Damit haben wir alles gerechnet, aber dass ein Kollege das macht, das ist eine Stasi-Methode. Das kann ich nicht anders sagen. Das ist doch wie in der DDR, wo Kollegen Kollegen bespitzelt haben, am Arbeitsplatz, im Job, im privaten Bereich. Ich glaube ja nur, dass von diesem Kollegen über mich Dossiers aus persönlichen Gesprächen angefertigt wurden.

    Was aber noch viel schlimmer ist, wovon ich gehört habe, dass beispielsweise der Chefredakteur des "Spiegels", Stefan Aust, bis in den privaten Bereich bespitzelt und beschnüffelt worden ist. Da gibt es Observationsfotos aus dem privaten Bereich, auf seinem Hof. Der hat ein paar Pferde. Der Kollege Wolfgang Krach, der damals auch beim "Stern" war, jetzt bei der "Süddeutschen Zeitung "ist, ist verfolgt worden bis zu seiner Wohnung offenbar. Am allerschlimmsten ist es dem Kollegen Hufelschulte vom "Focus "ergangen. Der ist ja über Monate observiert worden. Die sind dem bis in die Tiefgarage des Burda-Verlages gefolgt. Die haben ihn auf dem Wochenmarkt verfolgt, wenn er mit seiner Familie einkaufen war. Die haben versucht, Privates aufzuschnappen. Die haben offenbar auch in seinem Umfeld recherchiert.

    Das geht nun wirklich nicht und ich glaube auch nicht, dass das mit einer öffentlichen Entschuldigung getan ist. Das muss erstens rechtliche Konsequenzen haben und das muss politische Konsequenzen haben. Ich persönlich habe mir einen Anwalt genommen. Ich will jetzt Einsicht in meine Akten haben. Da gibt es den Paragraf 7 des BND-Gesetzes. Das ist möglich, wenn nicht die nationale Sicherheit gefährdet ist, und ich glaube im Moment ist die nationale Sicherheit durch Einsicht in meine Akten nicht gefährdet. Dann überlege ich mir, ob ich die Kameraden verklage!

    Heckmann: Herr Barth, zu den Konsequenzen gehört auch, dass die Bundesregierung dem Bundesnachrichtendienst gestern strikt verboten hat, solche Schritte zu unternehmen. Halten Sie diesen Schritt für ausreichend?

    Barth: Wenn die Bundesregierung so etwas verbietet, dann ist dies das Selbstverständlichste auf der Welt. Ich halte das nicht für ausreichend. Ich glaube es muss eine noch strengere Aufsicht daher. Das einzige was mich bei aller Erregung in der ganzen Affäre zuversichtlich stimmt ist, dass diese Affäre durch das Parlament aufgeklärt worden ist oder dabei ist, aufgeklärt zu werden. Denn immerhin hat ein vom Parlament beauftragter Sonderermittler die ganzen Akten gekriegt und die ganze Vorwurfslage wurde so klar. Das ist für mich das einzig Erfreuliche, dass sozusagen die Selbstreinigungskräfte der Demokratie noch funktionieren, denn das was der BND gemacht hat, ist absolut undemokratisch.

    Heckmann: Herr Barth, derzeit steht der BND im Fokus. Ist damit zu rechnen, dass auch Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst ähnliche Methoden angewandt haben?

    Barth: Schwere Frage. Ich glaube man muss dort zurückhaltend sein. Vorstellen kann man sich das, vor allen Dingen vor dem, was wir jetzt wissen. Aber ich hoffe nicht, dass es so war, muss ich mal sagen. Ich hoffe nicht, denn dann wäre mein Bild vom Staat doch ein bisschen sehr eingeschränkt. Dann wäre das, was wir jetzt auch befürchten, Fakt, dass die Pressefreiheit in Gefahr wäre. Die Pressefreiheit ist in viererlei Weise schon in Gefahr. Das ist jetzt nicht nur durch Einflussnahme staatlicher Organe. Das ist durch die Rechtsprechung auch im zivilrechtlichen Bereich. Man darf als Journalist über Vieles nicht mehr berichten, weil angeblich Persönlichkeitsrechte verletzt werden.

    Lassen Sie mich nur einen Fall benennen. Da ging es um einen Fall von Betreuung. Meine Zeitung hat über eine ältere Dame recherchiert, die einen Betreuer hatte. Der hat ihr Haus verkauft. Wir wollten darüber berichten, Kollegen aus einer Lokalredaktion hier im Umland. Dann hat sich dieser Betreuer einen Anwalt aus Berlin genommen, einen, der im Mielke-Prozess und in anderen Prozessen tätig war, der in der Tagesschau auftrat. Der hat eine einstweilige Verfügung gegen diese kleine Lokalzeitung erwirkt. Wir durften nicht den Namen der alten Dame nennen. Wir durften nicht den Namen des Betreuers nennen. Wir durften nicht den Namen des Amtsgerichtes nennen, das dies alles sanktioniert hat. Wir durften nicht den Namen des Anwaltes nennen, der die einstweilige Verfügung auf Unterlassung und so weiter durchgesetzt hat, mit der Begründung, das sei alles privat. Wir haben ein Interview mit dem Gemeindebürgermeister gemacht und durften seinen Namen nicht nennen und nicht schreiben, in welcher Gemeinde er Bürgermeister ist. Obwohl Männer im Fernsehen auftreten, werden die plötzlich für privat und förderungswürdig erklärt. In diesem Land passiert einiges mit der Pressefreiheit und das nicht nur über den BND und das Bundesamt für Verfassungsschutz oder Ähnliche. Wir müssen da insgesamt sehr aufpassen.

    Heckmann: Karl-Günther Barth war das, der stellvertretende Chefredakteur des "Hamburger Abendblatts", zur BND-Affäre und zum Stand der Pressefreiheit in Deutschland. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Barth: Danke!