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"Das ist eine Pseudoregelung"

Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, hat sich gegen die vorliegenden Gesetzentwürfe zu Patientenverfügungen ausgesprochen. Die vielen individuellen Situationen von Schwerkranken seien gesetzlich nicht regelbar. Bei der Behandlung müsse immer die aktuelle Situation im Vordergrund stehen. Die Meinung der Patienten ändere sich aber oft bei einer schweren Erkrankung.

Jörg-Dietrich Hoppe im Gespräch mit Bettina Klein | 18.06.2009
    Bettina Klein: Der Deutsche Bundestag wird also heute darüber abstimmen, ob er eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung beschließen wird. Mehrere Anträge liegen vor, die Unterschiede sind im Detail erkennbar, mitunter fallen sie erst auf den zweiten Blick auf.

    Es wird vermutlich also heute im Bundestag keine eigene Debatte über das Abstimmungsverfahren geben. Zufrieden, wenn tatsächlich heute im Bundestag gar kein Gesetz rauskommt, das die Patientenverfügung regelt, wären erstaunlicherweise die Ärzte, besser gesagt die Bundesärztekammer. Ausgerechnet sie wehren sich gegen eine gesetzliche Regelung, und darüber möchte ich nun sprechen mit dem Präsidenten des Gremiums, mit Jörg-Dietrich Hoppe. Er ist am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Hoppe.

    Jörg-Dietrich Hoppe: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Immerhin würde ja der Patientenwunsch festgeschrieben und dem hätten sich die Ärzte dann zu beugen. Das wäre de facto so eine Art Einmischung. Ist das der wahre Grund dafür, dass Sie kein Gesetz wollen?

    Hoppe: Der wahre Grund der derzeitigen Entwürfe, die wir haben, ist, dass wirklich die Patient-Arzt-Beziehung dadurch beeinträchtigt wird. Patientenverfügungen, die ausgestellt werden, wenn Menschen gesund sind, unter dem Eindruck vielleicht eines Erlebnisses in der Verwandtschaft oder auch im Fernsehen, sind häufig aus einer Distanz verfasst. Man betrachtet sich als dritte Person und glaubt nicht so recht, dass es wirklich passiert. Und wir erleben sehr oft, dass die Meinung von solchen Menschen sich ändert, wenn sie selbst in eine lebensbedrohliche Situation gekommen sind und von ihren Ärzten dann doch etwas anderes erwarten, als sie vorher in einer Verfügung schriftlich niedergelegt haben.

    Deswegen möchten wir gerne, dass die aktuelle Situation ganz im Vordergrund steht, und die kann nun einmal nur in jedem individuellen Fall am Krankenbett sozusagen mit anderen zusammen, auch nicht nur zwischen Patient und Arzt, sondern auch in Teams, besprochen und dann gelöst werden. Das kann man für die vielen Millionen Fälle, die es da gibt, nicht gesetzlich regeln.

    Klein: Herr Hoppe, aus Ihren Worten spricht aber auch ein deutliches Misstrauen gegen den Wunsch und den Willen eines Menschen der sagt, wenn ich in der und der Situation bin, möchte ich gerne das und das. Muss Ihnen nicht der Wunsch des Patienten im Grunde genommen heilig sein?

    Hoppe: Ja, das ist er uns auch. Deswegen befürworten wir Patientenverfügungen und haben auch selbst Vorschläge dafür erarbeitet und wir haben ja die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung aus dem Jahre 2004 und wir haben die Empfehlungen zum Umgang mit Patientenverfügungen für unsere Kolleginnen und Kollegen im Jahre 2007 verabschiedet, so dass da überhaupt gar keine Frage besteht. Patientenverfügungen sind bindend und je verbindlicher, umso näher an der aktuellen Situation sie sind, umso näher sie zu dieser aktuellen Situation passen. Wir möchten allerdings auch darauf aufmerksam machen, dass es neben der Patientenverfügung, die in der Regel schriftlich verfasst sein sollte, auch eine Person geben sollte oder mehrere, die bevollmächtigt werden, im Falle der Geschäftsunfähigkeit eines Erkrankten die Wünsche dieses Erkrankten - und zwar berechtigt und legitimiert - den Ärztinnen und Ärzten und den Pflegenden gegenüber äußern zu können, damit es Ansprechpartner gibt, die helfen, den mutmaßlichen Willen - um den geht es ja bei diesen geschäftsunfähigen Erkrankten - zu ergründen, um diesen Willen tatsächlich feststellen zu können.

    Klein: Herr Hoppe, die Ärzteschaft ist ja sich auch nicht einig und Kollegen von Ihnen wie der Palliativmediziner Borasio sprechen in Gutachten von einer quälenden Rechtsunsicherheit und von der Notwendigkeit, dass es geregelt werden muss. Es gibt ja offenkundig Ungewissheiten in den Situationen, deswegen drängt die Bundesjustizministerin ja auch darauf, dass man es rechtlich festlegt.

    Hoppe: Ja, aber das ist unregelbar. Das ist eine Pseudoregelung, die da stattfände, wenn das so geregelt würde, wie es in den derzeitigen Entwürfen geschieht. Deswegen sind wir ja nicht prinzipiell gegen ein Gesetz. Wenn beispielsweise das Vormundschaftsgericht angerufen werden soll, oder ob es schriftlich oder mündlich sein soll oder kann, das ist uns alles recht, wenn das geregelt wird, aber die vielen, vielen individuellen Situationen, die es gibt, die kann man einfach nicht regeln, das ist juristisch nicht fassbar und deswegen ist der Glaube daran, dass man das durch ein Gesetz regeln könnte, meines Erachtens verfehlt und ich glaube auch, dass es besser wäre, wenn man darüber doch mal wieder nachdenken würde und vielleicht die neue Legislaturperiode nach dem 27. September nutzt, um dieses Thema noch mal neu aufzuarbeiten.

    Klein: Herr Hoppe, Sie haben gerade angedeutet, dass es sehr wohl nach Ihrer Vorstellungen Regelungen geben könnte, die auch in Gesetzesform fließen könnten, die aber, wenn ich Sie richtig verstehe, nach Ihrer Meinung in keinem der gegenwärtig diskutierten Anträge vorhanden sind. Um welche konkreten Punkte geht es da?

    Hoppe: Es geht um technische Punkte. Die kommen schon vor, aber nicht alleine, sondern es werden zusätzliche Regelungen mit eingebracht und diese Regelungen sind uns zu viel. Das mischt sich zu sehr ein in diese aktuelle Situation und weil die nicht passen, können die Gesetzentwürfe, die wir jetzt haben, nicht gut werden.

    Klein: Sie gehen Ihnen alle zu weit, Sie hoffen auf einen Gesetzentwurf vielleicht in der nächsten Legislaturperiode, der dann eben nicht so weitgehende Regelungen vorsieht wie zum Beispiel das Anrufen eines Vormundschaftsgerichts?

    Hoppe: Das ist genau der Punkt. Wann wird ein Vormundschaftsgericht angerufen? Das ist eine technische Frage. Oder muss es schriftlich sein, kann es auch mündlich sein, wie sieht es aus mit dem Vorsorgebevollmächtigten und all diese Dinge, da kann man ruhig regeln. Da haben wir nie was gegen gehabt. Was wir nicht wollen ist eine juristische Einmischung in die Patient-Arzt-Beziehung vor Ort in den vielen Fällen, zu versuchen da einen Text zu erarbeiten oder ein Gesetz zu machen, das für alle Fälle gilt, denn das ist unmöglich, das ist unregelbar und deswegen meinen wir, dass es besser wäre, wenn man darüber noch mal nachdenkt. Das denken auch viele Bundestagsabgeordnete.

    Klein: Sie argumentieren ja damit, auch der Patient muss darauf vertrauen können, dass Ärzte konsequent für sein Leben eintreten. Aber die Frage ist ja, kann er darauf vertrauen, und mit dem Argument, dass Vertrauen reichen muss, da könnte man eine Reihe von Gesetzen abschaffen.

    Hoppe: Natürlich können die Patientinnen und Patienten darauf vertrauen, dass ihre Ärztinnen und Ärzte prinzipiell für ihr Leben eintreten. Wenn aber die Aussichten auf die Erhaltung des Lebens schwinden, weil die Erkrankung so weit fortgeschritten ist, dann wird umgeschaltet auf Palliativmedizin und die Palliativmedizin hat den Sinn, den Rest des Lebens so erträglich wie nur möglich zu machen, und das ist auch ein Therapieziel, denn wir haben nicht nur das Therapieziel, Menschen, bei denen es aussichtslos ist, wieder gesund zu machen, sondern auch ihnen den Rest des Lebens so angenehm wie möglich zu gestalten.

    Klein: Die Meinung von Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, zur heutigen Beratung im Deutschen Bundestag und möglicherweise Abstimmung über eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Hoppe.

    Hoppe: Gerne!