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"Das ist eine wirklich dramatische Krankheit"

Medizin.- Tuberkulose zählt noch immer zu den lebensbedrohlichen Krankheiten. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit dem Tuberkelbazillus infiziert. Die WHO hat nun ihren Bericht zu der Erkrankung vorgestellt.

Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth im Gespräch mit Monika Seynsche | 11.11.2010
    Monika Seynsche: Schwindsucht - das klingt nach alten Zeiten, nach trostlosen Mietskasernen im England des 19. Jahrhunderts und nach Sanatorien in der Schweiz. Aber das Tuberkelbazillus ist beileibe nicht verstaubt. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung ist heute infiziert, bei neun Millionen bricht die Krankheit aus und allein 2009 sind 1,7 Millionen Menschen an der Tuberkolose gestorben. Diese Zahlen stammen aus dem Tuberkulosebericht der WHO, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Mein Kollege Volkart Wildermuth war dabei, er ist jetzt in Berlin im Studio: Herr Wildermuth, wie schätzen die Experten diese Zahlen ein?

    Volkart Wildermuth: Die schätzen sie mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge ein. Das weinende Auge, die Tuberkulose, ist zusammen mit dem Aidsvirus gleichauf, wenn es um die tödlichste Infektionskrankheit weltweit geht. Das heißt, das ist eine wirklich dramatische Krankheit, die sehr viele Menschen betrifft. Dabei hat schon Robert Koch gesagt, dass ein endgültiger Sieg über die Tuberkulose möglich sei. Es gibt ja in der Zwischenzeit wirksame Medikamente, die das Bakterium abtöten können, aber die sind eben nicht überall verfügbar. Es gibt aber eine Kampagne, "Stop TB" heißt die. Und die will bis zum Jahr 2015 die Tuberkulosesterblichkeit und auch die Zahl der Neuinfektionen halbieren, gemessen am Jahr 1990. Und jetzt kommt das lachende Auge: In den letzten 15 Jahren sank die Sterblichkeit tatsächlich um 35 Prozent. Also hier ist diese Kampagne "Stop TB" auf einem guten Weg. Und diese Halbierung der Sterblichkeit ist tatsächlich in Sicht bis zum Jahr 2015. Weniger gut sieht es bei den Neuinfektionen aus. Die sind auf dem Rückmarsch, aber sehr, sehr langsam. Und da ist das Ziel dieser Halbierung wahrscheinlich nicht zu erreichen. Ganz zu schweigen von dem Plan, die Tuberkulose bis zur Mitte des Jahrhunderts komplett zu besiegen.

    Seynsche: Woran liegt es denn, dass die Neuinfektionen nicht so stark abnehmen, wie man sich das wünscht?

    Wildermuth: Dafür gibt es eine ganze Reihe an Ursachen. Eine ist sicher, dass der Zugang zum Gesundheitswesen zum ersten in vielen Ländern sehr schwer ist. Zum Teil ist die medizinische Hilfe zu weit weg, zum Teil ist sie zu teuer. Es gibt vielleicht keine vernünftige Versicherung. Das sind gesundheitspolitische Probleme, die jeweils vor Ort angegangen werden müssen. Und während Medikamente den Ländern, die sie sich nicht leisten können, zu Verfügung gestellt werden, zum Beispiel über den sogenannten Global Fund, gehen diese Veränderungen im Gesundheitswesen direkt zu Lasten der Staatsfinanzen. Und da hat die Tuberkulose eben nicht immer die höchste Priorität. Das gilt für einige Länder des Südens, aber das galt zum Beispiel auch für die Sowjetunion, als diese zusammengebrochen ist.

    Seynsche: Wieso denn das? Was ist damals passiert?

    Wildermuth: In der UDSSR gab es eigentlich eine hervorragende Tuberkulosebehandlung. Dann gab es kein Geld mehr fürs Gesundheitssystem. Die Ärzte haben privat behandelt und dann nicht mehr systematisch, sondern die haben den Patienten mal diese, mal jene Pille verschrieben, was gerade verfügbar war. Und das ist fatal, weil das Tuberkelbazillum ist sehr widerstandsfähig. Dem muss man vier Medikamente über sechs Monate kontinuierlich geben, um das in den Griff zu kriegen. Die Patienten fühlen sich nach zwei Monaten wieder gesund und wenn der Arzt da nicht drauf besteht - 'nehmen Sie das!' - dann hört er mit der Therapie auf, das Bakterium kommt wieder und dann aber noch gefährlicher, nämlich resistent. Dann greifen die normalen Wirkstoffe nicht mehr. Das ist die sogenannte multiresistente, die MDR-Tuberkulose, die sich da entwickelt hat. Das ist ein riesen Problem. Die WHO schätzt, dass es weltweit 440.000 Fälle gibt, und die lassen sich wirklich nur ganz schwer behandeln.

    Seynsche: Sie hatten, das ist ein Problem in Osteuropa. Ist es denn auch in Deutschland ein großes Problem?

    Wildermuth: Durchaus. Also hierzulande sind die Tuberkulosezahlen sehr niedrig, werden immer noch niedriger. Meist sind ältere Menschen betroffen, die sind schon zu Kriegszeiten infiziert worden und jetzt, mit dem Alter, lässt das Immunsystem nach und das Bakterium erhält sozusagen eine zweite Chance und wird dann wirklich tödlich.

    Seynsche: Das heißt, das kann auch noch 40, 50 Jahre nach der ersten Infektion passieren?

    Wildermuth: Genau. Das überdauert, das Immunsystem drängt es zurück, aber das kann es nicht vernichten. Und dann kommt es eben zu Neuinfektionen im Alter. Wir haben ja auch viele Russlanddeutsche, die hierher gekommen sind. Und die haben eben die Bakterien mitgebracht. Und deshalb hat Deutschland innerhalb der europäischen Union eines der größten MDR-Tuberkuloseprobleme. Aber keine Panik. Absolut sind die Zahlen sehr gering. Und hierzulande kann man das auch gut behandeln. Und die Bundesregierung unterstützt auch Programme in Osteuropa, um das Problem sozusagen an der Wurzel zu packen.

    Seynsche: Was kann man denn generell tun, um diese Ziele der Stop-TB-Aktion noch zu erreichen?

    Wildermuth: Wichtig ist, dass es Geld gibt. Denen hat im letzen Jahr eine Milliarde Dollar gefehlt für die Erreichung dieser Ziele. Das andere ist die Forschung. Man braucht bessere Medikamente - da sind jetzt einige am Horizont. Man braucht Impfstoffe, auch da sind zwölf in der Entwicklung, und man braucht eine Schnelltest. Da wurde einer vorgestellt, der funktioniert sehr einfach, sehr schnell - sozusagen das Ausgehustete in eine Maschine stecken, dann weiß man ob es Tuberkulose ist oder nicht. Aber das ist auch wieder teuer. Da steht eben viel an der Finanzierung.