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"Das ist kein Beruf für anständige Leute!"

21 Oscarnominierungen und 6 gewonnene Oscars - soweit die glamouröse Bilanz von Billy Wilder, der heute vor zehn Jahren in Los Angeles gestorben ist. Über das Wesen solcher Auszeichnungen meinte der Filmregisseur einmal: "Preise sind wie Hämorrhoiden. Irgendwann kriegt sie jedes Arschloch."

Von Katja Nicodemus | 27.03.2012
    Seine Bilder sind nicht verschwunden, das Zelluloid von 26 Filmen, die großen ikonografischen Billy-Wilder-Augenblicke: Jack Lemmon und Shirley MacLaine, die am Ende von "Das Appartment" zwischen Spielkarten und Champagner im Glück versinken, Marilyns weißes Kleid, das sich im Luftzug der U-Bahn bauscht, Gloria Swansons wahnsinnige Stummfilmdiva, die in "Sunset Boulevard" mit weit aufgerissenen Augen eine Treppe herunter schreitet. Es bleiben die Figuren, das Opus, das ganze Programm. Und doch, man spürt es immer noch, ist mit Billy Wilders Tod am 27. März 2002 eine Ära zu Ende gegangen: die Zeit der großen hintersinnigen Leinwand-Humoristen, von denen er selbst einer der größten war.

    "Wenn man das Publikum dazu bringt, zu sich zu sagen: "Hey, das ist lustig!", dann kann man alles machen. Dann sagt jemand: "Heute ist Montag." - und alle lachen. Es ist wie ein Schneeballeffekt. Und dann wieder leiden Sie, weil niemand lacht, und Sie schwitzen und wünschten, Sie wären tot. Nein, das ist kein Beruf für anständige Leute!"

    Vielleicht wirkt Billy Wilder zehn Jahre nach seinem Tod so nahe und fassbar, weil sein Wesen in jedem seiner Filme so präsent ist. Weil seine Komödien seinen persönlichen Wilder-Blick auf die Moderne und auf den manchmal ins Verderben tapsenden Menschen werfen. Sie zeigen eine Welt, der man nur mit wohlplatzierten Gags und sarkastischen Bemerkungen beikommen kann. So wie Horst Buchholz, der junge Kommunist in "Eins, zwei, drei":

    "Schaut Euch doch nur diese Verschwendung hier an. Kapitalismus ist wie ein toter Hering im Mondenschein. Er glänzt, aber er stinkt."

    Es ist Wilders Humor, der seine Figuren schützt und umsorgt - mit Pointen, in denen ihre Sehnsüchte immer wieder auf berührende Weise aufgehoben sind. Etwa wenn der einsame Junggeselle Jack Lemmon in "Das Apartment" die Spaghetti mit dem Tennisschläger abschüttet und dabei auch Shirley MacLaines selbstmordgefährdete Seele bekocht.
    Samuel Wilder, der sich erst später, in Hollywood, Billy Wilder nannte, wurde am 22. Juni 1906 in Galizien als Sohn jüdischer Eltern geboren. 1934 emigrierte er von Wien in die USA, wo er zunächst als Drehbuchautor arbeitete, unter anderem für sein Vorbild Ernst Lubitsch. Ob als Autor oder als Regisseur: Für Wilder war jeder neue Film ein Job. Er dachte in "plot points" und wusste, dass der dritte Akt zusammenkracht, wenn der erste nicht funktioniert, er brauchte keine großen Ideen, weil seine Figuren und ihre Pointen schon welthaltig waren. Etwa das Ende von "Manche mögen’s heiß": ein Männerpaar im Boot, und eine unbedingte Liebe, die sich nicht um Geschlechterfragen schert:

    "Osgood, ich will ehrlich mit dir sein, wir beide können überhaupt nicht heiraten.
    - Warum nicht?
    - Warum? Also erstmal bin ich nicht naturblond.
    - Das macht nichts.
    - Zweitens rauche ich, ich qualme den ganzen Tag.
    - Ist mir gleich.
    - Ich kann niemals Kinder kriegen.
    - Wir adoptieren welche.
    - Verstehst du denn nicht, Osgood? Ich bin ein Mann!
    - Na und? Niemand ist vollkommen."

    In vielen Wilder-Filmen gibt es die Sehnsucht nach Travestie, Entgrenzung und Überschreitung. Immer wieder äußert sie sich im Tanz, in frivolen Körperchoreografien, sich überschlagenden Auftritten. Man denke nur an die ultimative Betriebsfeier in "Das Apartment": eine gigantische, alle Stockwerke und Abteilungen verbindende Weihnachtsparty, bei der die angeheiterten Angestellten eines Versicherungskonzerns völlig enthemmt barfuß auf den Schreibtischen tanzen.

    In solchen Momenten, in denen sich Wilders Figuren selbst vergessen und die Schwerkraft der Verhältnisse für einen Moment außer Kraft gesetzt scheint, entwickeln seine Filme ihre utopische Kraft. Und natürlich traute Wilder keiner Utopie, die jenseits des Horizonts seiner Figuren lag. Es ist James Cagney, der in "Eins, zwei, drei" die letzte Wahrheit stellvertretend für seinen Regisseur sagt:

    "Nimm's doch von der Seite, Junge: Eine Welt, die Dinge hervorbringt wie die Venus von Milo, William Shakespeare und Briefmarken mit Pfefferminzgeschmack ist nicht ganz verdorben."

    Wenn Billy Wilder, der große kleine Österreicher in Hollywood, seinen bescheidenen Angestellten, mittellosen Musikern, Chauffeurstöchtern und Prostituierten ein Happy End gönnte, dann fand er dafür die zarten Formen eines Regisseurs, der den Glauben an die Welt nicht ganz aufgegeben haben konnte. Obwohl er in seinen Filmen keinen Zweifel daran ließ, dass für manche tatsächlich nur der Pfefferminzgeschmack blieb.

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    "Das war manchmal eine stürmische Freundschaft" - Regisseur Schlöndorff über Billy Wilder und die Retrospektive im Berliner Babylon

    "Manche mögen's heiß"
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