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"Das ist keine Fluchtliteratur"

Es sei keine Absage an das Heutige, wenn sie in ihren Büchern über Ritter oder Abenteurer schreibe, sagt die frisch gekürte Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe. Die Literatur sei eben ihr Weg, "die Welt zu betrachten und zu gestalten" - ein Feld schier unerschöpflicher Möglichkeiten.

Karin Fischer sprach mit Felicitas Hoppe | 15.05.2012
    Karin Fischer: Herzlichen Dank an Hubert Spiegel für diese Einschätzung der neuen Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe. Mit ihr war ich vor der Sendung telefonisch verbunden und habe sie gefragt: Wir leben in einer ziemlich Ich-bezogenen Welt, die sich auch in der Literatur ja wiederfindet. Sie sprechen von Rittern und Heiligen oder von Weltumseglern wie Antonio Pigafetta. Ist dieser andere Weltentwurf auch eine Absage an das Heutige oder das Politische in der Literatur, das ja auch schon von Autoren gefordert wurde?

    Felicitas Hoppe: Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass die Welten alle viel mehr miteinander zu tun haben, als wir denken, und ich bin doch eine entschiedene Gegnerin des Programmatischen in dem Sinne, dass man Autoren permanent Richtungen zuschlägt oder in ihrem Werk Programme vermutet. Ich gestalte die Welt auf meine Weise, und ich glaube, wenn ich über Pigafetta oder Abenteurer oder Ritter schreibe, dann bin ich nicht in der Vergangenheit, sondern hole sie eigentlich in die heutige Gegenwart hinein. Das ist also keine Fluchtliteratur, sondern es ist mein Weg, die Welt zu betrachten und zu gestalten.

    Fischer: Bei aller Märchen- und Mirakelhaftigkeit, bei allen Fantastereien und surrealistischen Abenteuern, bei aller Komik, es geht ja doch aber wohl immer um Identität. Nun ist die Literatur wie das Theater ja prädestiniert fürs imaginierte Rollenspiel. Wenn Sie Ihre Figuren verorten sollen, wären die eher selbst auf der Suche oder fungieren die irgendwie als Spiegel unserer Möglichkeiten?

    Hoppe: Ich glaube, sie sind beides. Sie sind Spiegel unserer Möglichkeiten und sind in dem natürlich auch auf der Suche. Denn Möglichkeiten zu spiegeln, heißt ja, auch Suchmuster zu zeigen. Das heißt, wir gehen irgendwo hin und erforschen die Welt und hoffen, dadurch natürlich auch etwas über uns selbst zu erfahren. Und das tun wir in wechselnden Kostümen, glaube ich. Also wir probieren ständig Möglichkeiten aus, und die Literatur potenziert das. Da kann man ja alles ausprobieren, und deshalb schreibe ich, weil das ein Feld ist, das unerschöpflich ist.

    Fischer: Ihr jüngster Roman heißt einfach "Hoppe", ist eine Art Wunschbiografie und ein literarisches Vergnügen der Extraklasse, wie ich gelesen habe. Macht Ihnen diese fantastische Selbsterkundung, Welterkundung selber auch Spaß?

    Hoppe: Ja, es ist zweierlei, oder ist beides. Es ist ein großes Vergnügen und es ist zugleich ein großes Risiko, denn wenn man sich ernsthaft erlaubt, sich selbst zu erkunden und auch andere zu erkunden, stößt man dabei im Schreiben manchmal auf Dinge, die einem vielleicht gar nicht so angenehm sind. Das heißt, es sind auch Formen der Selbsterkenntnis darin und der Selbsterforschung, die vielleicht manchmal schmerzhaft sind, aber so ist das eben. Jedes gute Vergnügen hat auch seinen ernsten Anteil.

    Fischer: Ein ganz anderes Thema, Frau Hoppe, über das in Deutschland viel diskutiert wird, das Urheberrecht beziehungsweise die versuchte Spaltung von Urhebern und Verlegern, wie sie derzeit stattfindet – ich wüsste gerne ganz kurz Ihre Meinung dazu.

    Hoppe: Ich habe ja diesen Aufruf mit unterzeichnet – "Wir sind die Urheber" –, ich glaube, dass wir ...

    Fischer: Letzte Woche in der "Zeit".

    Hoppe: ... – ja – ich glaube, dass wir tatsächlich unglaublich viel aufgeben würden, wenn wir sozusagen diesen Pakt, der zwischen den Urhebern und den Verwertern besteht, wenn wir den nicht weiterhin nutzen würden. Ich glaube, es ist vielen Menschen nicht klar, welche Freiräume einem geboten werden, wenn man sich in einer ausdifferenzierten Verlagslandschaft befindet, die es überhaupt erst möglich macht, dass in Ruhe und mit Bedacht und mit einem wunderbaren Vertriebssystem Bücher entstehen können. Das ist ein ungeheurer Luxus, das ist etwas, was eine lange Tradition hat, und diejenigen, die meinen, das könne man alles – ich sage mal lax – in die Tonne hauen, haben sich, glaube ich, nie damit befasst, um was es sich da eigentlich handelt.

    Fischer: Felicitas Hoppe über ihr Schreiben und die funktionierende Literaturlandschaft in Deutschland.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.