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"Das ist keine Option"

Der ehemalige Innenminister Afghanistans, Ali Jalali, hat den Westen davor gewarnt, sich aus dem Land zurückzuziehen. "Der Preis wäre zu hoch", sagte er dem Deutschlandfunk. Ein Rückzug würde die gesamte Region destabilisieren. Das Erstarken der Taliban erklärte Jalali damit, dass der Wiederaufbau in Afghanistan nicht vorankomme.

Moderation: Michael Groth | 09.10.2007
    Elke Durak: Afghanistan sei weiter eine Front im Krieg gegen Terrorismus, auch wenn es schon viele Erfolge gäbe, erklärte NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer gestern. Er hat die Verbündeten erneut aufgefordert, mehr Solidarität nicht nur mit Afghanistan zu zeigen, sondern auch untereinander, indem sie die Lasten dieses Krieges gerechter teilte. Unterdessen muss fast jeden Tag von Anschlägen gegen die ISAF-Truppen berichtet werden in dieser Woche der Bundestagsabstimmung über die Bundeswehrmandate auch öfter über Angriffe auf die deutschen Lager. Daneben gibt es eine Debatte über die Schwäche der afghanischen Regierung, sich des wachsenden Widerstandes der Taliban zu erwehren und gleichzeitig eine halbwegs funktionierende Demokratie aufzubauen. Darüber u. a. sprach mein Kollege Michael Groth mit dem ehemaligen Innenminister Afghanistans Ali Jalali. Er war das zwischen 2005 und 2005. Heute ist er Professor an der National Defense University in Washington.

    Michael Groth: Herr Prof. Jalali, was sind die Ursachen des wachsenden Einflusses der Taliban in Afghanistan?

    Ali Jalali: Der Wiederaufbau im Süden kommt nicht voran. Die Bevölkerung vertraut der Regierung nicht. Das Unvermögen, die Lebensbedingungen zu verbessern, brachte ein Vakuum hervor, dass die Taliban-Rebellen jetzt ausfüllen. Das heißt aber nicht, dass die Mehrheit der Leute die Taliban unterstützt. Die Leute wollen Demokratie, aber sie wollen eben auch eine leistungsfähige Regierung und sie wollen Sicherheit. Ein weiterer Grund für das Erstarken der Taliban ist ihr Rückzugsgebiet in Pakistan. Die Taliban wurden von der Macht entfernt, aber sie wurden nicht vernichtet und nun nutzen sie jede sich bietende Gelegenheit zurückzukommen.

    Groth: Es gibt Stimmen, die sagen, die Taliban sollten an den Verhandlungstisch. Sehen Sie dafür Voraussetzungen?

    Jalali: Mit denen, die die afghanische Verfassung und den Demokratisierungsprozess anerkennen, sollte man verhandeln. Das sieht auch die Regierung in Kabul so. Aber über die Verfassung werden wir nicht verhandeln. Ebenso wenig wie über die Wahlergebnisse und das neue politische System. Mit denen, die zurück wollen in die Regierungszeit der Taliban kann man nicht sprechen. Das ist weder im Interesse Afghanistans noch im Interesse der internationalen Gemeinschaft.

    Groth: Gibt es eine Chance, dass sich die Entwicklung in Afghanistan friedlich vollzieht, wenn nicht gleichzeitig Pakistan für Ruhe und Ordnung in seinen unruhigen Grenzgebieten sorgt?

    Jalali: Pakistan ist ein wichtiger Verbündeter. Ohne die Hilfe Pakistans werden auch wir nichts erreichen. Auch Pakistan ist von Terroristen bedroht. Extremisten schüren Unruhen. Und wenn man die Ursachen dafür nicht bekämpft, dann wird es sehr schwer, der Region Frieden und Stabilität zu bringen.

    Groth: Wo stehen wir, wenn wir auf die Ausbildung der Polizei und der afghanischen Armee schauen?

    Jalali: Eigentlich sollten die Sicherheitsreformen greifen. Aber der Aufschwung der Taliban schuf eine neue Lage. Polizisten, die sich eigentlich um Verkehrsprobleme oder Alltagskriminalität kümmern sollten, befinden sich nun im Kampf gegen die Aufständischen. So war das nicht geplant. Wir haben zwar mehr Polizisten als früher, aber wir haben auch zunehmend Anschläge auf die Polizei mit entsprechenden Verlusten. Wir beklagen mehr tote Polizisten als tote Soldaten in Afghanistan. Das muss sich ändern. Die Polizisten sollten sich darum kümmern, wofür sie ausgebildet werden. Sie sollten Teil des neuen Rechtsstaates sein.

    Groth: Ist die Staatlichkeit Afghanistans nach wie vor gefährdet?

    Jalali: Afghanistan war ein starker Staat. Trotz der vielen Bürgerkriege gab es nie eine Sezessionsbewegung. Nun haben die jüngsten Kriege die staatlichen Institutionen zerstört. Aber die afghanische Nation, die gibt es noch. Und in dieser Nation sehnt sich die Mehrheit nach Frieden. Nun müssen die Institutionen wieder aufgebaut werden. Nur so können wir die Bevölkerung schützen. Nur so können wir ihr dienen.

    Groth: Was könnte passieren, wenn der Westen in Afghanistan versagt?

    Jalali: Das ist keine Option. Der Preis wäre zu hoch. Die gesamte Region würde destabilisiert. El Kaida hätte wieder ein sicheres Gebiet. Und mit einer solchen Basis könnten Dinge passieren, die schlimmer sind als der 11. September. Nicht nur in Afghanistan, sondern in allen Ländern, in Asien und darüber hinaus.

    Groth: Ist das kommende Jahr ein entscheidendes Jahr für die Region?

    Jalali: Im Süden des Landes haben die Menschen die Hoffnung auf Stabilität und Frieden noch nicht aufgegeben. Wenn Pakistan aber im kommenden Jahr die Kontrolle über die paschtunischen Grenzgebiete verliert, dann werden die Taliban ihre Angriffe verstärken. Wenn die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung dann keine überzeugende Strategie haben, wie dieser Bedrohung zu begegnen ist, dann wird es schwierig. Entscheidend ist dabei der gemeinschaftliche Ansatz von Militär und Entwicklungshelfern. Man muss die Orte, in denen die Taliban oder ihre Verbündeten herrschen, erobern. Man muss sie sichern. Und man muss sie wieder aufbauen. Gelingt das nicht im kommenden Jahr, gibt es eine Katastrophe. Die Zeit wird knapp.