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"Das ist nicht schön, aber es ist so"

Wolfgang Clement (SPD) hat sein Bedauern über eigene Äußerungen zur hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti ausgedrückt. Dann legte er im ZDF "heute-journal" nach. Für Ludwig Stiegler, stellvertretender Fraktionsvositzender der SPD, kein Grund mehr zur Aufregung - Clements Äußerungen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt.

Ludwig Stiegler im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.08.2008
    Christoph Heinemann: "Entschuldigung" hat er nicht gesagt, aber immerhin kam Wolfgang Clement gestern das Wort "Bedauern" über die Lippen. Damit war Andrea Ypsilanti aber offenbar nicht gemeint. Zu der ging Clement in einem Interview mit dem ZDF abends gleich wieder auf Distanz.

    O-TON Clement im ZDF "heute-journal": Ich hätte sie nicht gewählt - zur damaligen Zeit mit der Politik, die sie dort vertreten hat, in der Energiepolitik vor allen Dingen.

    Heinemann: Wolfgang Clement über Andrea Ypsilanti. - Über die Causa Clement und die SPD wollen wir mit Ludwig Stiegler sprechen, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Ludwig Stiegler: Guten Morgen, aber ich rede hier nicht für die Bundestagsfraktion, sondern als Landesvorsitzender der Bayern-SPD. Man muss schon die Hüte unterscheiden, weil die Fraktion hat sich mit der Causa Clement noch nicht befasst.

    Heinemann: Und damit kommen wir zur ersten Frage. Clement gibt öffentlich bekannt, er hätte Andrea Ypsilanti nicht gewählt. Ist das abermals parteischädigend?

    Stiegler: Nein. Ich denke, das hat er damals so gesagt. Es wäre ja geradezu lächerlich, wenn er jetzt angesichts der Aufzeichnungen sagen würde, ich habe das so nicht gemeint. Das ist ein Unterschied, ob ich jetzt aufrufe, die SPD oder einen Landesverband nicht zu wählen, oder ob ich meine eigene Wahlentscheidung mitteile. Das ist sozusagen auf der Seite der Meinungsfreiheit. Das ist nicht schön, aber es ist so.

    Heinemann: Aber eine Werbung für Frau Ypsilanti war das auch nicht gerade?

    Stiegler: Nein, das war auch nicht seine Pflicht. Ich meine, er steckt in einem erheblichen Dissens zur Hessen-SPD, nämlich in der Energiepolitik, und er steckt dann nicht nur im Dissens zur Hessen-SPD, sondern auch zur Bayern-SPD oder zur ganzen Sozialdemokratie. Wir haben uns nach langer Diskussion - 15 Jahre hat das insgesamt gedauert - zu einer sicheren Energieversorgung ohne Atomkraft entschieden und Wolfgang Clement war schon in seiner Zeit als Bundesminister der Meinung, dass man eben die Kernenergie jedenfalls nicht in überschaubarem Zeitraum wegschieben sollte. Das ist ein Dissens und da ist er in einer absoluten Minderheit und spricht nicht für die SPD. Er hat ja auch gar keine Ämter mehr in der SPD und keine Delegierten und auch auf die Politik der SPD insoweit keinen Einfluss mehr. Er hat allerdings, weil die Medien ihn aufgreifen - und jeder ehemalige Promi, der zu seiner alten Partei dissidiert, ist natürlich einer, der hohen Aufmerksamkeitswert hat - öffentlichen Meinungseinfluss, aber auf die Politik der SPD ist der Einfluss denkbar gering.

    Heinemann: Sollte er denn in der SPD bleiben?

    Stiegler: Ich will hier keinen rausekeln. Ganz im Gegenteil! Wolfgang Clement hat ja auch Riesen Verdienste um die SPD. Er war bei Willy Brandt, bei Johannes Rau. Er war Chef der Staatskanzlei, Ministerpräsident, Bundesminister. Wenn ich denke, wie er damals durch NRW getingelt ist, um Lehrstellen hier einzusammeln. Also Wolfgang Clement hat auf seinem Kerbholz nicht nur ein paar Sünden und ein paar abweichende Meinungen, sondern auch unglaublich viele Leistungen. Deswegen habe ich von Anfang an gesagt, dass das NRW-Urteil grottenfalsch war und ein krasses Fehlurteil war, weil es eben diese Lebensleistung nicht abgewogen hat. Das ist jetzt durch die Pressekonferenz gestern leichter geworden. Ich bin überzeugt, dass die Bundesschiedskommission "Sine ira et studio", wie man unter Juristen so schön sagt, ein vernünftiges Urteil fällen wird.

    Heinemann: Gleichwohl hat Clement gestern auf dieser Pressekonferenz vielleicht nicht nur der hessischen SPD bescheinigt, dass sie energiepolitisch auf dem Holzweg ist.

    Stiegler: Ja.

    O-Ton Clement bei eigener Pressekonferenz am Donnerstag: Wer der Meinung ist, wir könnten in Deutschland in überschaubarer Zeit auf Kohle und auf Atomenergie verzichten, und wer glaubt, den vollständigen Wechsel zu erneuerbaren Energien in zehn Jahren vollziehen zu können, der würde den Industriestandort Deutschland und damit zig Tausende von Arbeitsplätzen aufs Spiel setzen.

    Heinemann: Herr Stiegler, zig Tausende Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. Kann man solche Leute wählen?

    Stiegler: Das ist das Argument derer, die an den alten Strukturen festhalten wollen. Ich denke die zehn Jahre stammen etwa von Al Gore, der gesagt hat, lass es uns vornehmen, dass wir in zehn Jahren in Amerika den Strom nur noch von erneuerbaren Energien beziehen. Das ist ein Riesen Projekt, das man anpacken muss, und Wolfgang Clement war immer auf der anderen Seite, wobei man zusehen muss: die SPD hat nicht beschlossen, Kohle und Kernenergie gleichzeitig zu verlassen. Wir haben gesagt, wir brauchen über einen überschaubaren Zeitraum die Kohle. Das ist eine Besonderheit der Hessen, die eben in ihrem Land die Solarenergie und alle Formen der erneuerbaren Energien und vor allem die Energieeffizienz und Kraftwärmekopplung und so weiter besonders vorantreiben wollen. Das ist aber nicht die Politik der SPD. Die Politik, die der Bundesparteitag in Hamburg beschlossen hat, ist, dass wir für einen überschaubaren Zeitraum hoch effiziente Kohlekraftwerke wollen, dass wir die jetzigen Dreckschleudern durch hoch effiziente ersetzen wollen und dass wir auch die Frage der CO2-Speicherung vorantreiben wollen. Insofern hat er mit Hypothesen gesprochen, die für Hessen zutreffen, aber für die Gesamtpartei nicht. Da muss man schon viel wissen, um hier zu verstehen, wo da die Konfliktlinien entlanglaufen.

    Heinemann: Wenn Herr Clement der Auffassung ist, dass das Land durch die Energiepolitik der hessischen SPD Schaden nähme, muss er dann nicht sogar als Demokrat vor einer Wahl der SPD in Hessen warnen?

    Stiegler: Er kann in der innerparteilichen Auseinandersetzung seine Stimme erheben und kann sagen Leute, ich bin anderer Meinung. Ich glaube nicht, dass das geht. Dann muss er sich mit Hermann Scheer zusammensetzen. In der SPD war es immer so: dann hat man die Argumente pro und contra abgewogen und am Ende haben die Delegierten entschieden. Aber in den Medien quasi ex katedra wie einer, der höhere Eingebung hat, etwas zu behaupten und zu sagen, wer das macht, der erzeugt den Weltuntergang, das erinnert mich ein wenig an die frühe Umweltdiskussion, wo ja diejenigen, die auf die Umwelt geachtet haben, auch als Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft bezeichnet worden sind und weiß der Teufel was alles. Hier denke ich ist Dialog angesagt und ich fand es gut, dass zum Beispiel Hermann Scheer Wolfgang Clement zu einem öffentlichen Streitgespräch aufgefordert hat. Dann kann man Fakt für Fakt darlegen und dann kann man sehen: was sind alte Vorurteile und was sind neue Hoffnungen. Das ist ein ganz normaler politischer Prozess. Daraus würde ich niemandem einen Vorwurf machen, sondern die heutigen, die in der Mehrheit in der SPD sind, haben als Minderheit begonnen. Der Ausstieg aus der Kernenergie war ja etwa 1970 noch keineswegs ausgemacht. Es hat gedauert bis 1986.

    Heinemann: Herr Stiegler, was ist für Sie parteischädigender, Wolfgang Clements Bekenntnis zu seinen Grundsätzen, oder Andrea Ypsilantis Wortbruch?

    Stiegler: Es ist beides nicht mit der Vokabel "parteischädigend" zu bezeichnen. Der Wolfgang Clement kann seine Überzeugungen in der SPD vertreten und er soll sie vertreten. Er soll sich der Diskussion stellen. Und Andrea Ypsilanti hat eine politische Lage vorgefunden, die einerseits sehr gut war, andererseits eben nicht in die Richtung geführt hat, die man sich ursprünglich erhofft hat. Das sind beides Fragen der politischen Alltagstaktik und deswegen nicht mit der Kategorie "parteischädigend" zu verbinden. Parteischädigend meint immer ein moralisch fragwürdiges Fehlverhalten gegen die Grundsätze der Partei und nicht hier die Antwort auf aktuelle politische Fragen.

    Heinemann: Und wenn Sie es jetzt abermals versucht, in Hessen mit der Linkspartei zur Ministerpräsident gewählt zu werden, welche Folgen hätte das für den Bundestagswahlkampf der SPD?

    Stiegler: Die Hessen entscheiden das selber und ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass das große Folgen für die Bundestagswahl hätte, denn glauben Sie denn im Ernst, die CSU oder die CDU oder Roland Koch oder irgendjemand würde sagen, dass jetzt nicht mehr die große Gefahr besteht. Früher war es der Kommunismus, jetzt ist es die Linke oder was auch immer. Die schwarzen Brüder und Schwestern müssen immer Politik mit der Angst machen. Die können gar nicht anders. Wenn sie sich jetzt nicht wählen lassen würde, dann würden sie sagen, unserem Druck hat sie sich gebeugt, die traut sich nur nicht, aber in Wahrheit würde sie gerne. Wenn sie es tut und Erfolg hat, dann kräht in einem Jahr kein Hahn mehr darüber, und wenn sie es tut und keinen Erfolg hat, ja dann hat sie eben einen großen Schaden. Aber das müssen die Hessen miteinander abwägen. Da haben wir von außen nicht reinzureden und ich als Bayer schon gleich gar nicht.

    Heinemann: Ludwig Stiegler, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Stiegler: Schönen guten Morgen!