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Das jüdische Fest Purim
Vom Spaß in schwierigen Zeiten

Purim gilt als eine Art jüdischer Karneval. Die Menschen verkleiden sich, machen Lärm und trinken viel Alkohol. Doch das Fest hat einen ernsten Hintergrund: Es erzählt davon, wie Juden im antiken Persien nur knapp einem Pogrom entkommen sind. Manche ziehen daraus Lehren für heute.

Von Gerald Beyrodt | 20.03.2019
Bürger feiern im März 2018 in den Straßen von Tel Aviv das Purim-Fest
An Purim verkleiden sich viele Juden und feiern das Überleben (imago / Sergey Orlov)
An Purim steht die Synagoge kopf. Die Juden kommen verkleidet, machen jede Menge Krach, der Alkohol fließt reichlich. In vielem erinnert Purim an Karneval. Doch für Rabbiner Walter Rothschild ist das Fest viel mehr als ein Jux:
"Für mich ist es eigentlich der wichtigste Feiertag in persönlicher Art und Weise. Liturgisch gesehen ist es nicht so, aber es spricht um einen möglichen Genozid, und es spricht um Widerstand. Und in dem Kontext von einem Rabbiner in Europa nach dem letzten Jahrhundert, ich denke, das hat uns sehr viel zu sagen."
Mit Lärm gegen den bösen Haman
Womit wir bei der Geschichte von Purim wären - die steht im biblischen Buch Ester. Jedes Jahr lesen es Kantoren oder Gemeindemitglieder vollständig vor. Gut möglich, dass der Vortragende dabei eine rote Nase oder blonde Perücke trägt. Der Text erklingt im Sprechgesang.
Die Geschichte spielt im persischen Reich der Antike. Haman, ein hoher Regierungsbeamter des Königs, ist erbost über die Juden des Reichs. Denn sie wollen nur Gott anbeten und vor niemand anders niederknien, auch nicht vor dem König. Haman will deshalb sämtliche Juden des Reiches umbringen lassen.
Walter Rothschild
Walter Rothschild ist Rabbiner, Autor, Kabarettist, Liedermacher und Jazz-Sänger (privat)
Während der Lesung zeigen jüdische Gemeinden sehr deutlich, was sie von Haman halten, sagt Walter Rothschild.
"Man wartet normalerweise, bis der Name von diesem bösen Haman erwähnt wird. Und dann macht man so viel Lärm, dass man das nicht mehr hören kann. Also: Und dann sagte der Haman - Ratsche und so fort."
"Es ist eine geschichtliche Erzählung, aber sie ist hochaktuell"
Walter Rothschild hat einen Krachmacher, eine Ratsche in der Hand. In der Synagoge machen fast alle Lärm, auch mit den Füßen, mit Rasseln und mit Trillerpfeifen. Viele Kinder und Erwachsene haben einen Heidenspaß.
"Den Haman schlagen" nennt sich der Brauch. Aber bei der Figur des Haman haben Juden in ihrer Geschichte an alle möglichen Machthaber gedacht. Es gibt auch Purim-Ratschen, bei denen der Benutzer auf einen Hitlerkopf aus Holz schlägt.
Der Journalist Philipp Engel zu Gast in Studio 9 bei Deutschlandfunk Kultur
Die Familie von Philipp Peymann Engel stammt aus dem Iran (Deutschlandradio – Laura Lucas)
Philipp Peyman Engel möchte am liebsten die Namen iranischer Politiker mit der Ratsche übertönen. Der Redakteur der Jüdischen Allgemeinen stammt aus einer jüdisch-iranischen Familie und fühlt sich von der Purim-Geschichte besonders angesprochen, denn sie spielt im antiken Persien - und damit geografisch im heutigen Iran.
"Es ist eine geschichtliche Erzählung, aber sie ist natürlich hochaktuell und sehr, sehr gegenwärtig und präsent, besonders für uns persische Juden. Das Herz schlägt noch mal höher an Purim."
Träumen von Teheran
Philipp Peyman Engels Familie ist nach der Islamischen Revolution aus dem Iran geflüchtet. Ein Leben in Freiheit sei dort nicht mehr möglich gewesen, genauso wenig Erfolg im Beruf für Juden. Der Antisemitismus, den es schon zu Zeiten des Schahs gab, sei noch stärker geworden. Immer noch lebt im Iran die zweitgrößte jüdische Gemeinschaft im Nahen Osten - nach Israel.
"Es ist der größte Traum von meiner Mutter, einmal mit uns Kindern, ich hab noch zwei Geschwister, einmal nach Teheran zu reisen, einmal ans Kaspische Meer und einmal wirklich den Ort zu sehen, von dem sie so lebendig erzählt jeden Tag. Ich kann mir auch sehr, sehr gut vorstellen, wenn wir wirklich mal die Gelegenheit haben sollten und sich die politischen Ereignisse ändern, sich vieles ganz anders darstellt als in der Fantasie. Aber nichtsdestoweniger ist es ein Traum."
Ein präventives Massaker
Ein Traum, der für Philipp Engel an Purim besonders präsent ist. "Purim" bedeutet übrigens Lose. Der Schurke Haman will den Tag auslosen lassen, an dem alle Juden sterben sollen. Die Geschichte von Purim geht aber gut aus für die Juden. Das ist der jüdischen Heldin dieser Geschichte zu verdanken, Königin Ester. Sie gibt ein Fest mit reichlich Alkohol und Essen. Walter Rothschild erzählt:
Ester zeigt ihrem Gatten Ahasveros den schuldigen Haman (Stich von Gustave Doré, illustrierte Bibel von 1866)
Ester zeigt ihrem Gatten Ahasveros den schuldigen Haman (imago stock&people / Gustave Doré)
"Und dann sagt sie dem König: 'Ich bin bedroht, mein ganzes Volk.' Und dann sagt der König: 'Wer kann das sein?' Und die Königin zeigt auf Haman und sagt: 'Dieser Kerl!' Und das ist das Ende von Haman. Und dann gibt es ein kleines Problemchen. Das werden besonders Deutsche sehr gut verstehen. Ein Befehl ist von dem König gegeben worden, gesiegelt, gestempelt. Das kann man nicht annullieren. Auch wenn die Umstände sich geändert haben. Was kann man tun? Man kann nur noch einen Befehl geben und sagen: Och, ja, und die Juden dürfen sich auch verteidigen. Und dann gibt es ein kleines Massaker, das ist für viele Leute ein peinliches Kapitel. Die Juden nehmen Rache oder vorsorgliche Verteidigung, gegen die Leute, die sich schon vorbereitet haben, die Juden selber zu vernichten."
"Wir Juden müssen nicht Opfer sein"
Manche Historiker glauben, dass Xerxes II. das Vorbild für den König Ahasveros war. Xerxes II. lebte im vierten und fünften Jahrhundert vor der allgemeinen Zeitrechnung. Dass allerdings eine Jüdin jemals Königin im persischen Reich war, ist historisch ziemlich unwahrscheinlich. Der Sieg über den Antisemiten gefällt vielen Juden bis heute, auch wenn mancher bei den blutigen Passagen schlucken muss.
"Es gehört zur jüdischen Ethik und zur jüdischen Moral, dass wir anderen Menschen kein Leid antun. Insofern kann mir das nicht gefallen, wenn in dieser Erzählung andere Menschen zu Schaden kommen. Diesen Teil der Geschichte mag ich auch nicht. Was natürlich sehr, sehr schön ist, und was eine aktuelle Aussage in der Geschichte ist, dass wir Juden nicht Opfer sein müssen, nicht Opfer sein sollten, sondern dass wir Juden wehrhaft sind."
Ähnlich wie der jüdische Journalist Philipp Peyman Engel sieht es auch Rabbiner Walter Rothschild.
"In schwierigen Zeiten braucht man immer ein bisschen Mut, ein bisschen Trost. Und wenn man dazu auch ein bisschen trinken kann, Parodien machen kann. Und man macht Spaß von Rabbiner und Könige und alle VSIPs, 'very self important people'. Einmal im Jahr dürfen Frauen sich wie Männer kleiden und umgekehrt, Kinder können mit falschem Bart Rabbiner spielen, das ist eine wunderbare Rauslass von Stress und Tension, Spannung."