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"Das kann es nicht gewesen sein"

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, erwartet von US-Präsident Barack Obama Aufklärung der NSA-Abhöraffäre. Das Thema müsse auf Regierungsebene in den nächsten Wochen weiter besprochen werden.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Dirk Müller | 19.06.2013
    Dirk Müller: Barack Obama in der deutschen Hauptstadt, die anhaltende Kritik am amerikanischen Präsidenten – darüber sprechen wollen wir nun mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich. Guten Tag.

    Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Mützenich, finden Sie ihn immer noch gut?

    Mützenich: Ich glaube, man muss insbesondere vergleichen, und wenn ich vergleiche, was sein Vorgänger Präsident Bush sowohl in der internationalen Politik, aber auch in der Innenpolitik in den USA zu verantworten hat, auch die Verbindungen zu den Partnern, dann glaube ich immer noch, ist Präsident Obama jemand, der versucht, Partner zu finden und multilaterale Zusammenarbeit auch zu leben.

    Müller: Bei der Internetüberwachung ist er aber absolute Spitze?

    Mützenich: In der Tat, weil dies ist natürlich sozusagen auch eine Wirkung aus dem 11. September, und es ist wichtig, dass alle Gesprächspartner, die mit Obama reden, auch genau diesen Aspekt ansprechen. Die Bundeskanzlerin hat das getan, möglicherweise wird es Herr Steinbrück in dem kurzen Gespräch auch tun können, und das finde ich sehr wichtig.

    Müller: Jetzt können Sie nicht immer alles verraten, was Sie wissen, Rolf Mützenich. Dennoch reden wir ja in bestimmten Abständen miteinander. Außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: Sie sind nicht in der Regierung. Dennoch haben Sie auch dort viele Kontakte, auch zu Abgeordneten in der Regierungskoalition. Die Internetüberwachung, diese Abhöraffäre, NSA, der amerikanische Geheimdienst, auch die Abhöraffäre um Journalisten in den USA, das wird ganz groß gefahren von den Medien, auch von der Politik, auch rhetorisch immer wieder in den Vordergrund gestellt. Ist es denn für die beteiligten Politiker tatsächlich ein derart großes Problem?

    Mützenich: Ja, es war auf jeden Fall auch für mich persönlich ein Schock gewesen, dass offensichtlich dieser Sicherheitsapparat, der in der Präsidentschaft Bush aufgebaut worden ist und wo auch das Denken vom 11. September versucht worden ist, stärker abzubauen, dass es offensichtlich einzelner Menschen bedarf, die solche Dinge aufdecken. Ich finde, da müsste auch der Kongress ein stärkeres kritisches Element in den USA spielen. Das tut er nicht, er setzt im Gegenteil Präsident Obama immer wieder stärker unter Druck, und das ist durchaus auch etwas, was wir immer mit unseren Kollegen vom Kongress besprechen.

    Müller: Jetzt wird der amerikanische Präsident mit großer Wahrscheinlichkeit – Klaus Remme hat das eben angedeutet – auf diese Abhöraffäre auch in seiner Rede, die ja gegen 15:20 Uhr, wie wir gehört haben, beginnt, eingehen, das versuchen zu erläutern. Und damit basta?

    Mützenich: Nein, das kann es nicht gewesen sein, sondern das muss jetzt auf Regierungsebene insbesondere noch weiter besprochen werden. Ich hoffe, dass in den nächsten Wochen auch Aufklärung kommt. Er hat ja offensichtlich auch angekündigt, dass er stärker mit deutschen Regierungsstellen hier zusammenarbeiten will. Und dann muss natürlich auch die Bundesregierung uns Parlamentarier über die Erkenntnisse informieren.

    Müller: Wie glaubwürdig sind die Vereinigten Staaten noch?

    Mützenich: Ich glaube, dass die Vereinigten Staaten unter der Präsidentschaft Obama immer noch versuchen, sozusagen regelgeleitet in der internationalen Politik mit Partnern zu arbeiten, und es ist wichtig gewesen, dass der amerikanische Außenminister, als er damals als Erstes zu Besuch in Berlin gewesen war, mit dem russischen Außenminister versucht hat, insbesondere den Syrienkonflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen, Genf II angekündigt hat. Das ist ein schwerer Weg, das wussten wir auch von Anfang an, aber dass es nicht aufgegeben worden ist, das haben wir auch den USA und das haben wir auch Präsident Obama zu verdanken. Ich hoffe, dass es jetzt auch zu konkreten Schritten kommt.

    Müller: Und all die Dinge, die sich nicht verändert haben, die er versprochen hat und die er nicht gehalten hat oder nicht halten konnte, wie viele sagen, trüben nicht Ihr Bild?

    Mützenich: Es trübt auf jeden Fall natürlich an der einen oder anderen Stelle, auch das. Aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch wissen: Ich glaube, diejenigen, die Obama als Heilsbringer gesehen haben, haben ihm auch unrecht getan, weil er ist als politische Institution in den USA eingebunden in ein breites politisches System, wo er zum Beispiel im Repräsentantenhaus keine Mehrheit hat, im Senat eine nur sehr knappe. Er trifft zum Beispiel bei der Abrüstungspolitik, bei der vertraglich basierten Abrüstungspolitik immer noch auf Widerstände, und das ist ein großes Problem.

    Müller: Sie sagen, zu Unrecht. Oder hat er einfach zu viel versprochen?

    Mützenich: Er hat möglicherweise natürlich vielleicht auch die eine oder andere Situation nicht richtig eingeschätzt. Davon hat er ja selbst gesprochen, dass er möglicherweise als jemand, der aus Chicago nach Washington gekommen ist, auch diesen Apparat nicht richtig durchschaut hat. Möglicherweise hat er die eine oder andere Initiative auch zu früh angekündigt. Aber zum Beispiel bei der Auflösung von Guantanamo hat er auch nicht die Partner an seiner Seite gehabt. Sehr früh in seiner ersten Präsidentschaft hat er ja versucht, einzelne Inhaftierte mithilfe auch von Partnern aus dem Gefangenenlager herauszubekommen. Auf der anderen Seite ist er auch auf sehr starke Widerstände im Kongress getroffen.

    Müller: Syrien, Waffenlieferungen – Barack Obama ist offenbar fest entschlossen. Ist das ein konstruktiver Weg?

    Mützenich: Das ist zumindest in der letzten Woche der Versuch gewesen, in Vorbereitung auf den G8-Gipfel den Druck möglicherweise noch mal auf Russland zu erhöhen. Ich sehe das von der Strategie her, dass es sehr zweifelhaft ist. Ich glaube, die Region und insbesondere Syrien leidet nicht an Waffen, sondern an Vertrauen und Diplomatie. Hier scheint aber gerade bei dem G8-Gipfel in Irland ein wichtiger Schritt gemacht worden zu sein, dass man an der Konferenz festhält.

    Ich würde mir wünschen, dass wir eine Waffenruhe herbeiführen können, die insbesondere den Zivilisten, die ja immer noch eingeschlossen sind, die verletzt oder auch als Binnenflüchtlinge in Syrien unterwegs sind, gerade in diesen Stunden der Waffenruhe geholfen werden kann. Das Zivile ist sozusagen die erste Priorität und dann müssen wir sehen, ob wir politische Lösungen finden.

    Müller: Sind die Deutschen in der Außenpolitik, ganz gleich ob Regierung oder auch jetzt Opposition, Sie für die SPD, wieder moralisch integerer, weil man Waffenlieferungen ausschließt, für den falschen Weg hält, und auf der anderen Seite darauf hofft, nach so vielen Monaten, nach so vielen Toten, eine politische Lösung zu finden?

    Mützenich: Es geht hier ja nicht um integer. Wenn man sich zum Beispiel anschaut, dass die Bundesregierung eine Menge Rüstungsexporte liefert, spricht das ja gegen diesen Aspekt. Aber in der Analyse, in der Möglichkeit, was können wir zurzeit in der Region tun, stehen nach meinem Dafürhalten in Syrien weiterhin im Vordergrund, diesen wirklich sehr seidenen Faden auch der Genf-II-Initiative weiterhin zu unterstützen und die Region letztlich zu stabilisieren. Dafür brauchen wir insbesondere auch Nachbarn, und ich hoffe zum Beispiel, dass durch den neuen iranischen Präsidenten hier Spielraum geschaffen wird, weil der Iran mit Sicherheit jemand ist, der diesen Konflikt in der Vergangenheit auch angeheizt hat.

    Müller: Iran, neuer Spielraum, sagen Sie. Barack Obama hat das wohl auch offenbar gegenüber Angela Merkel thematisiert, ohnehin im Weißen Haus ein großes Thema in den vergangenen Tagen. Sind das berechtigte Hoffnungen oder für uns dann doch lieb gewonnene Kosmetik?

    Mützenich: Wir dürfen den iranischen Präsidenten jetzt auch nicht überfordern, weil er genauso wie der amerikanische Präsident wohl im Iran noch viel undurchsichtiger in ein ganzes Netz von unterschiedlichen politischen Gruppen eingebunden ist. Aber dass diese Wahl friedlich stattgefunden hat, relativ friedlich stattgefunden hat, und dass auch sehr schnell ein Wahlergebnis akzeptiert worden ist, das deutet schon auf den Versuch hin, Stabilität zu schaffen, und diesen Moment müssen wir natürlich auch nutzen in der durchaus internationalen krisenhaften Situation in der Region, auch mit dem Iran über das eine oder andere zu sprechen.

    Müller: Bei uns heute Mittag live im Deutschlandfunk Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Mützenich: Vielen Dank, Herr Müller. Alles Gute.


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