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"Das Klima ist vergiftet"

Zwischen den beiden großen Parteien in den USA herrsche ein Kulturkampf, sagt der Politologe Christian Hacke. Demokratische Abgeordnete würden "rhetorisch wie Freiwild" behandelt. Insbesondere Tea-Party-Mitglieder fielen durch "verbale Gewalt" auf.

Christian Hacke im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.01.2011
    Martin Zagatta: Damit zu dem Mordanschlag auf die amerikanische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords. Sie hat schwer verletzt überlebt, sechs Menschen aber sind getötet worden und jetzt wird heftig über eine mögliche Mitschuld von Politik und Medien diskutiert. Verbunden sind wir nun mit Professor Christian Hacke, Politikwissenschaftler und ausgewiesener Amerika-Fachmann. Guten Tag, Herr Hacke.

    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt!

    Zagatta: Herr Hacke, in dem Beitrag war es zu hören: vergiftete Hassrhetorik, Vorwürfe gegen die Tea-Party, auch gegen die Medien. Und auf der anderen Seite heißt es, der mutmaßliche Täter sei geistesgestört. Wie ordnen Sie das jetzt ein? Hat da ein Verrückter durchgedreht, oder steckt dahinter tatsächlich ein politisches Problem?

    Hacke: Ich vermute, dass beides in gewisser Weise richtig ist. Da ist ein Mann, der nicht normal ist, das ist klar, aber der handelt ja nicht aus freiem Willen, sondern der ist ja zunehmend durch dieses Klima auch infiziert worden, durch diese verbale Gewalt, muss man sagen, die sich in den letzten Monaten, vielleicht schon seit ein, zwei Jahren immer mehr breitgemacht hat. Nein, das gesamte Klima in den USA ist hysterisch geworden. Wir haben eigentlich einen Kulturkampf schon seit längerer Zeit zwischen Republikanern und Demokraten. Aber dass es natürlich in diese Dimension geht, ein Attentat, wie wir gerade jetzt gehört haben, das war schwer zu erwarten.

    Zagatta: Sind da die Vorwürfe aus Ihrer Sicht gegen die Tea-Party berechtigt?

    Hacke: Zweifellos! – Zweifellos. – Wir haben es ja eben auch gehört und die Galionsfigur der Tea-Party, Frau Palin, hat ja diese bekannten Zielfernrohre auch auf die Abgeordnete Giffords gerichtet, und da kann man sich nachher nicht rausschleichen und sagen, man hat nichts damit zu tun gehabt. Nein, das Klima ist vergiftet. Hier ist auch Rassenhass mit im Spiel, denke ich. Man darf nicht vergessen, Frau Giffords ist auch Jüdin, ist im Übrigen keine radikale Demokratin mit linken Positionen, sondern eine moderate Demokratin, in Arizona fast eine konservative Demokratin, die auch für das Waffengesetz ist paradoxerweise. Also es ist hier nicht auf eine Frau geschossen worden, die extreme Ansichten vertritt, sondern eine ganz moderate Frau, eine junge, kühne Abgeordnete, die sich auch gegen die Wiederwahl der Frau Pelosi gestellt hat mit 19 anderen. Nein, nein, da ist Extremismus gar nicht zu erwarten gewesen.

    Zagatta: War diese Stimmung nicht auch schon vor dem Auftauchen der Tea-Party zumindest in etwa so in den USA? Hat sich da so viel verändert in den letzten Jahren oder in der letzten Zeit?

    Hacke: Ja. Ich denke schon, dass das mit der Wahl von Präsident Obama begonnen hat. Die weiße Mittelklasse - zum Teil zu kurz gekommen -, die jetzt immer mehr nach rechts abdriftet. Arizona ist natürlich auch wie Texas dort im Südwesten, das sind auch stramme konservative Auffassungen. Dass das so weit nach rechts rückt, hat sich jetzt gezeigt in den vergangenen Monaten, und das Klima ist dermaßen aufgeladen geworden, dass das hier nun auch die Konsequenz ist. Man kann jetzt nicht sagen, man hat das alles nicht gewollt. Die Schlüsselfrage, die jetzt sein wird, ist: Wie wird sich die Führung der Republikanischen Partei dazu stellen? Wird sie diesen Mordanschlag und auch diese Morde aufs Strengste verurteilen? Wird sie gleichzeitig sagen, dass wir darauf achten müssen, dass unsere eigene Rhetorik – ob nun Tea-Party expressis verbis oder Sarah Palin -, dass mit deutlicher Sprache die extremen Entwicklungen in der eigenen Partei von der eigenen Führung angeprangert werden müssen. Das ist, glaube ich, die Grundvoraussetzung. Wenn das nicht passiert, dann wird das Klima weiter eskalieren, denn die Zuordnung von verbaler Militanz ist hier eindeutig rechts gerichtet. Und man darf nicht vergessen, dass das Innenministerium schon im April 2009 in einem internen Report davor gewarnt hat, dass der rechtsradikale Extremismus ansteigt. Wir haben bei den Mitgliedern des Kongresses Drohungen in einem Anstieg von über 300 Prozent in den letzten zwei Jahren. Wenn Sie wollen, sind das alles Anzeichen. Und man muss natürlich auch die anderen Wurzeln sehen in der Gesellschaft, in den Medien, und bei den Medien sind es insbesondere die rechtsradikalen Journalisten, also Männer wie Glenn Beck oder Bill O'Riley. Da muss was getan werden.

    Zagatta: Ist da denn eigentlich alles erlaubt? Aus den Reihen der Tea-Party ist ja im Wahlkampf sogar gesagt worden, man habe ein Recht auf bewaffneten Widerstand gegen die Regierung. Ist da die Redefreiheit, die Pressefreiheit in den USA, ist da nach wie vor alles erlaubt?

    Hacke: Ja. Amerika ist anders als bei uns. Man muss vorsichtig sein, nicht gleich sagen besser oder schlechter. Amerika ist anders und denen geht nichts über die freie Meinungsäußerung, und das nimmt natürlich extreme Formen an. Und irgendwo stellt sich natürlich auch die Frage, muss man jetzt nicht Grenzen setzen. Das ungarische Mediengesetz, sage ich jetzt mal spaßeshalber, obwohl dieser Anlass nun nicht zum Spaßen Anlass gibt, das wäre nun nicht die Lösung für die Vereinigten Staaten, aber es muss was getan werden, dass solche militante rhetorische Gewalt unter irgendein Kartell gestellt wird. Ich weiß zwar nicht, wie man so was macht, aber so kann es nicht weitergehen.

    Zagatta: Wenn Sie ganz kurz vielleicht noch sagen: Sie sagen ja, Sie wissen nicht, wie man so was macht. Aber wenn Sie vielleicht einen Ausblick wagen müssten oder wagen sollten? Danach fragen wir Sie jetzt natürlich. Die Aufregung ist groß. Wird das jetzt Folgen haben in den USA?

    Hacke: Ja. Ich habe es versucht, darauf zu konzentrieren, wie die Republikanische Partei mit ihrem eigenen Extremismus, der in den vergangenen zwei Jahren immer mehr angestiegen ist, umgeht. Das ist die Schlüsselfrage. Wie werden die führenden Leute der Republikanischen Partei sich hier jetzt verhalten? Und ich bin da gespannt und ich bin mir nicht sicher, dass dort reiner Tisch gemacht wird. Mich erinnert das alles sehr viel mehr, muss ich sagen, wenn ich an unsere eigene Geschichte denke, an die Weimarer Republik, als der Radikalismus von rechts, aber natürlich auch von links sich gegenseitig aufschaukelte. So weit sind zum Glück die Vereinigten Staaten nicht. Aber dass praktisch demokratische Abgeordnete rhetorisch wie Freiwild behandelt werden, in den Massenmedien lächerlich gemacht werden, dass Vandalismus um sich greift und auch das Büro von der Frau Giffords ja ausgeräumt wurde und verwüstet wurde, das ist unglaublich, hat es früher nicht gegeben. Das ist also mehr als nur eine Verlotterung der Sitten, sondern hier geht es an die Substanz der amerikanischen Demokratie und hier ist zuerst die Republikanische Partei und die Spitze in Washington gefordert, und darauf müssen wir achten.

    Zagatta: Der Politikwissenschaftler Professor Christian Hacke. Herr Hacke, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Hacke: Ich danke Ihnen auch.