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"Das klingt schon sehr abenteuerlich"

In der schwarz-gelben Koalition gibt es Überlegungen, die Laufzeiten für Atomkraftwerke nicht zuzuteilen, sondern zu versteigern. Lothar Hahn, ehemaliger Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, sagt, die Sicherheitsfrage käme in diesem Modell völlig zu kurz.

Lothar Hahn im Gespräch mit Sandra Schulz | 13.07.2010
    Sandra Schulz: Am Telefon begrüße ich Lothar Hahn, bis März war er wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Guten Tag!

    Lothar Hahn: Guten Tag.

    Schulz: Herr Hahn, lässt sich die Idee auf Atomlaufzeiten so übertragen, wie wir es von den Mobilfunklizenzen kennen?

    Hahn: Ich muss sagen, das klingt schon sehr abenteuerlich. Hier geht es doch nicht um Frequenz-Zuteilungen, sondern um zentrale Sicherheitsfragen, die diskutiert werden müssen und gelöst werden müssen. Ich weiß nicht, wie das passieren soll mit diesem Modell.

    Schulz: Welche Betreiber hätten denn ganz gute Chancen für welche Kraftwerke?

    Hahn: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Modell überhaupt jemals ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Es wird vielleicht momentan diskutiert, aber die Sicherheitsfrage ist eben die überragende Frage hier in diesem Geschäft und die kommt ja hier völlig zu kurz.

    Schulz: Und warum kann man die Sicherheitsfrage in diese Versteigerungsprozesse nicht sozusagen "einpreisen"?

    Hahn: Wir sind ja schon auf dem Weg, dort einen Deal auszuhandeln, und ich kann mir das nicht vorstellen, dass das vernünftig passiert, unabhängig passiert. Wir müssten erst mal sehen, dass wir die Sicherheitsanforderungen definieren, die an die derzeitigen Kernkraftwerke zu stellen sind - das fehlt auch noch momentan -, und dann müssen wir prüfen, welche Anlage welche Anforderung erfüllt und welche nicht, und dann kann man weitersehen.

    Schulz: Also die Sicherheitsanforderungen für eine Verlängerung der Laufzeiten fehlen?

    Hahn: Ja. Zurzeit haben wir gar keine modernen Sicherheitsanforderungen. Die sind zwar entwickelt worden, aber nicht in Kraft gesetzt worden. Man muss erst mal definieren von Seiten der Politik, welche Sicherheit will ich denn überhaupt, und insbesondere, wenn ich an Laufzeitverlängerungen denke, welche zusätzlichen Anforderungen werden dann gestellt, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass das gehen könnte ohne drastische Sicherheitsverbesserungen.

    Schulz: Das sind also eigentlich keine wirtschaftlichen Fragen, sondern politische Fragen?

    Hahn: Politische Fragen, technische Fragen, energiepolitische Fragen natürlich auch. Wirtschaftliche Fragen sind es sicherlich nicht.

    Schulz: Jetzt haben wir gerade in dem Beitrag gehört, dass der Energiekoordinator der FDP meint, dass es gerade ein Vorteil sei, dass eben nicht Politiker entscheiden müssten, sondern dass es der Markt regeln könne. Kann man dem Argument denn gar nichts abgewinnen?

    Hahn: Dem kann ich wenig abringen. Der Markt soll die Sicherheitsanforderungen und die Erfüllung dieser Sicherheitsanforderungen regeln, das kann ich mir nicht vorstellen. Das muss eine unabhängige Behörde machen, sonst niemand.

    Schulz: Die Idee einer Versteigerung ist aus Ihrer Sicht zur Alternative Verlängerung, politische Diskussion, politische Entscheidung, keine Alternative?

    Hahn: Ist für mich keine Alternative, nein.

    Schulz: Wie erklären Sie sich dann, dass der Bundesumweltminister Röttgen von einer interessanten Idee spricht?

    Hahn: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, was er sich dabei gedacht hat. Aber sicherlich ist das eine abwartende Reaktion. Er möchte nicht alle gleich verprellen mit einer Ablehnung. Das ist eine Politikeraussage.

    Schulz: Könnte das denn auch so ausgehen, dass die Unsicherheiten unterm Strich so groß sind, dass es für die Betreiber auch gar nicht attraktiv ist, da mitzubieten?

    Hahn: Das könnte ich mir letztendlich schon vorstellen, wenn man es ernsthaft betreiben würde, aber da glaube ich nicht dran, dass man das tun wird.

    Schulz: Sie haben gerade gesagt, die Sicherheitsstandards, die Verabredungen, auch die politischen Verabredungen fehlen im Moment voll und ganz. Ist das nicht eine vergleichsweise beunruhigende Situation?

    Hahn: Doch, ich finde das schon. Wenn man über Laufzeitverlängerungen redet, über Laufzeiten, ob jetzt 32, 40 oder 60 Jahre, und man zur Sicherheit überhaupt nichts sagt, dann ist das schon bedenklich.

    Schulz: Wie müsste das Prozedere denn jetzt laufen?

    Hahn: Wir haben ja schon im internationalen Rahmen unterschiedliche Anforderungen für alte und neue Anlagen und bei uns haben wir nur veraltetes Regelwerk. Das muss angepasst werden an die neueren Entwicklungen, weltweit und auch national. Das ist auf dem Weg gewesen, aber ist jetzt ins Stocken geraten. Da muss man einfach weitermachen und man muss definieren, was will man denn eigentlich an Sicherheitsniveau erreichen für jede einzelne Anlage.

    Schulz: Und das Sicherheitsniveau, so wie es jetzt herrscht, wie beurteilen Sie das?

    Hahn: Man hat sich eingerichtet auf eine Laufzeit von 32 Jahren. In den letzten zehn Jahren hat man sich darauf eingerichtet. Dementsprechend hat man auch die Maßnahmen ergriffen. Wenn man davon weg will, muss man eben neu nachdenken.

    Schulz: Lothar Hahn, bis März war er wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und heute in den "Informationen am Mittag". Herzlichen Dank dafür.

    Hahn: Bitte! Gerne geschehen.