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Das Kosovo als Hindernis

Der Streit um den künftigen Status der nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Kosovo und die Frage nach einer Annäherung an die EU sind für Serbien von entscheidender Bedeutung. Um das Land an Europa zu binden und die gesamte Region zu stabilisieren, befürworten mehrere EU-Staaten, beim nächsten Außenministertreffen am 28. Januar ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien zu unterzeichnen. Den Stand der Verhandlungen schildert unsere Korrespondentin Doris Simon:

22.01.2008
    Die Aufgabe für die EU ist klar: Es gilt, eine kontrollierte Lösung für die Zukunft des Kosovo zu finden und gleichzeitig zu verhindern, dass Serbien durch den bevorstehenden Verlust der abtrünnigen Provinz und durch die Wut darüber in die Radikalität abdriftet. Hans-Gert Pöttering, der Präsident des Europaparlamentes, fasste den europäischen Ansatz letzte Woche so zusammen:

    "Die gemeinsame Perspektive für beide ist die Europäische Union, obwohl das ein weiter und langer Weg ist. Aber das Ziel ist die Mitgliedschaft für beide in der Europäischen Union."

    In Sachen Kosovo sind die Europäer sich inzwischen weitgehend einig. Gemeinsam haben sie die Kosovo-Albaner gedrängt, mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung bis nach der Stichwahl bei der serbischen Präsidentschaftswahl am 3. Februar zu warten.

    Die Kosovaren können ihrerseits sicher sein, dass die meisten EU-Staaten ein unabhängiges Kosovo anerkennen werden, vorneweg Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Unabhängig davon laufen in Brüssel die Planungen für die Entsendung der 1800 Mann umfassenden Polizei- und Justizmission in das Kosovo auf Hochtouren. Polizisten und Zollbeamte, Staatsanwälte und Richter sollen Sicherheit garantieren und helfen, dass der frischgebackene Staat auch funktionieren kann. Die EU-Mission könnte schon im März die bisherige UN-Verwaltung im Kosovo ablösen. Doch noch feilen die Diplomaten am Text. Jeder Eindruck soll vermieden werden, die Europäer unterstützten die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kosovaren.

    Denn der demokratische, europafreundliche serbische Präsident Boris Tadic steht unter großem Druck durch Tomislav Nikolic. Der radikalnationalistische Sieger des ersten Wahlgangs macht die Europäische Union verantwortlich für die bevorstehende Unabhängigkeit des Kosovo und beschuldigt Amtsinhaber Tadic, der habe das Kosovo preisgegeben für bessere Beziehungen mit Brüssel. Die Europäer ihrerseits würden Tadic gerne helfen, sehen sie in ihm doch den einzigen in Belgrad, der sein Land herausführen könnte aus der Isolation.

    Deshalb hätte eine Mehrheit der 27 Mitgliedsländer unter Führung der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft sogar dem vorzeitigen Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zugestimmt. Die Bedeutung des Abkommens beschrieb EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn so:

    "Dieses Abkommen wird der serbischen Bevölkerung konkrete wirtschaftliche Vorteile bringen. Durch das Einrichten einer Freihandelszone werden bessere Investitionsmöglichkeiten und dadurch auch mehr Arbeitsplätze für die Bevölkerung geschaffen."

    Der slowenische Außenminister war vor zwei Wochen so weit gegangen, die Unterzeichnung für Ende Januar anzukündigen. Doch daraus wurde nichts: Weil Belgrad bisher nicht genug unternommen hat, um flüchtige Kriegsverbrecher wie Radko Mladic aufzuspüren und auszuliefern, sind die Niederlande und Belgien strikt gegen den Abschluss eines Stabilisierungsabkommens mit Serbien.

    Sympathien für Mladic und andere Kriegsverbrecher hat niemand in Brüssel, aber viele warnen davor, dass vom guten Ausgang der Wahlen in Serbien sehr viel abhängt: Da könne man sich kein puritanisches Handeln leisten, kritisierte ein hoher EU-Politiker.

    Der neue Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz, ist auf Bitten der EU in dieser Woche zu Gesprächen in Belgrad. Doch in der angespannten Situation vor dem 2. Wahlgang wäre es eine Überraschung, wenn der Chefankläger ausgerechnet jetzt Zusicherungen über eine bessere Zusammenarbeit oder Auslieferungen bekäme.

    Dafür kursieren viele andere Überlegungen in Brüssel, wie man ein Zeichen setzen kann in Richtung serbische Wähler: Etwa, indem man das Stabilisierungsabkommen splittet, und nur den Teil des Abkommens mit Serbien unterzeichnet, bei dem nicht alle 27 EU-Länder zustimmen müssen. Die Europäische Kommission kündigte an, mit Serbien in Verhandlungen zu treten über den Wegfall des Visumzwangs bei Reisen in die EU.

    Doch zugleich gibt es in Brüssel auch die Angst, dass eine zu deutliche europäische Unterstützung den Pro-Europäern in Serbien schadet : Dann, wenn die Nationalisten Erfolg haben mit ihrer Kampagne, die EU sei schuld am Verlust des Kosovo. Dann könnte sich die EU am 4. Februar einem neuen serbischen Präsidenten gegenüberfinden, der längst angekündigt hat, Europa den Rücken zuzuwenden und jede Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal einstellen will.