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Das Kreuz mit der Statistik

Dass ein Medikament tatsächlich wirkt, gilt dann als bewiesen, wenn es "statistisch signifikant" besser abschneidet als ein Placebo. Dann kann ein Hersteller oder eine Forschergruppe sagen: "Unsere Studie hat gezeigt, Therapie XY wirkt." Doch bewahrt das vor Irrtümern und Irreführung?

Von Thomas Liesen | 20.12.2011
    Wenn eine Studie statistisch signifikant belegt, dass eine Behandlung wirkt, so ist damit nur eines gesagt: Sie wirkt besser als ein Placebo, also eine Pille ohne Wirkstoff. Möglicherweise auch nur ein ganz kleines bisschen besser. Daher brauchen Ärzte zusätzliche Angaben, um einschätzen zu können, wie stark eine Arznei wirklich wirkt. Zum Beispiel: Wie viele Patienten muss ich mit dem fraglichen Mittel behandeln, um bei einem Patienten dadurch einen Heilungserfolg zu erzielen?

    Im Idealfall wirkt das Medikament bei jedem Patienten und er wird geheilt. Doch Tatsache ist: Der Nutzen der meisten Medikamente oder Behandlungen ist nicht annähernd so groß. Beispiel: moderne Antidepressiva. Von zehn Patienten, die Antidepressiva einnehmen, wird nur einer tatsächlich durch diese Mittel seine Depression wieder los. Anderes Beispiel: Cholesterinsenker. Sie werden weltweit massenhaft verschrieben, um Herzinfarkte zu verhindern. Hier lauten die Zahlen: 100 Patienten müssen jahrelang Cholesterinsenker nehmen, damit bei einem das Ziel erreicht wird, nämlich einen Herzinfarkt zu verhindern. Noch weniger nützt eine andere, weitverbreitete Behandlung, die Brustkrebsvorsorge durch Mammografie. Das sagt Prof. Gerd Gigerenzer, Direktor des Max Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin

    " Die beste Schätzung, die wir haben, ist, dass der Nutzen 1 in 1000 liegt beim Mammografie-Screening. Von 1000 Frauen, die zum Screening gehen, sterben vier an Brustkrebs innerhalb von 10 Jahren. Von 1000 Frauen, die nicht gehen, sind es fünf. Von 5 auf 4 ist 1 in 1000."

    Im Klartext: Wenn 1000 Frauen zehn Jahren lang zur Mammografie gehen, stirbt nur eine weniger an Brustkrebs, eine von 1000 hat also einen echten Nutzen davon. Ernüchternde, in der Ärzteschaft oft wohlbekannte Zahlen. Patienten gegenüber werden sie aber in der Regel verschwiegen. Das fand Bildungforscher Gerd Gigerenzer in einer europaweiten Untersuchung vor einiger Zeit heraus. So beschönigen viele Aufklärungsbroschüren den Nutzen der Krebsvorsorge. Und auch im persönlichen Gespräch mit dem Arzt werden viele Patienten nicht korrekt aufgeklärt, sagt Gerd Gigerenzer:

    "In Deutschland ist es sogar so, dass jene, die öfter beim Arzt um Rat fragen, eine höhere Überschätzung des Nutzens haben. Warum ist das so? Weil in Deutschland die Ärzte im Medizinstudium immer noch nicht in Statistik geschult werden und oft die Prozentzahlen selbst nicht verstehen."

    Und das hat zur Folge, dass viele Patienten mit Zahlen konfrontiert werden, die nicht unbedingt falsch sind, aber trotzdem in die Irre führen. So wird das Brustkrebsscreening gerne den Patienten mit folgender Rechnung präsentiert: Wenn 1000 Frauen 10 Jahre lange zur Mammografie gehen, sinkt die Sterblichkeit um 20 Prozent. Diese Rechnung stimmt zwar, denn Dank Mammografie sterben von 1000 Frauen nicht mehr fünf, sondern nur noch vier, also 20 Prozent weniger. Irrtümlich deuten die meisten Frauen diese Prozentzahl aber anders und glauben, dass 1000 Frauen 200 gerettet werden.

    Kritiker wie Gerd Gigerenzer fordern daher, dass Patienten nicht mehr mit solchen relativen Prozentzahlen, sondern mit absoluten Zahlen aufgeklärt werden. Also wie viele Patienten von 100 oder 1000 profitieren tatsächlich? Bei einer sehr weit verbreiteten Krebsvorsorgemethode für Männer wäre das übrigens nach Ansicht der Bildungsforscher ebenfalls höchste Zeit. Denn vom sogenannten PSA-Test zur Prostatakrebs-Früherkennung profitiert höchstens ein Mann von 1400. Auch eine Zahl, die bis heute in Arztpraxen meist verschwiegen wird.