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Das Labor im Westentaschenformat

Das Labor auf einem Chip. Hinter dieser Vision steckt eine Revolution der biochemischen Analytik. Will man heute Blut untersuchen oder Wasserproben auf Umweltgifte analysieren, so geht das oft nur mit teuren und langwierigen Reihenuntersuchungen. Kann man hingegen das Chemielabor auf einem Mikrochip unterbringen, so lassen sich Hunderte Einzeltests im Handumdrehen erledigen, und zwar zu einem Bruchteil der Kosten. Für die Entwicklung eines solchen Biochips hat ein Forscherteam nun den deutschen Zukunftspreis erhalten.

Von Frank Grotelüschen | 12.11.2004
    Wir verwenden ganz konventionelle biochemische Methoden – aber auf dem Chip in sehr miniaturisierter und verkleinerter Form, mit einer direkten Überführung in ein elektrisches Signal. Das ist die Innovation, die wir versuchen auszubauen.

    Rainer Hintsche arbeitet am Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie im schleswig-holsteinischen Itzehoe. Der Chip, von dem erzählt, ist kaum größer als der Fingernagel eines Babys. Doch der Winzling leistet Erstaunliches: Er enthält 128 Probenträger - oder wenn man so will 128 mikroskopisch kleine Reagenzgläser. Auf diesen Trägern lassen sich Biomoleküle verankern. Sie dienen als sog. Fängermoleküle, weil sie andere Moleküle chemisch an sich binden können. Wie das im Einzelnen abläuft, verdeutlicht Hintsche am Beispiel des Erbmoleküls DNA.

    Das ist ein Doppelstrang, DNA. Wenn man einen Teil hat, kann man damit den anderen Teil fangen. Das ist also das einfachste Schloss-Schlüssel-Prinzip. Wir bauen einen Teil eines DNA-Stücks auf den Chip und suchen damit aus einer Mixtur von verschiedensten Molekülen genau den passenden Partner.

    Der Chip ist also nichts anderes als ein hochempfindlicher Sensor für DNA und für Eiweiße. Er kann mit seinen Probenträgern 128 verschiedene Molekülsorten aufspüren, und zwar auf einen Schlag. Nun gibt es derartige Biochips schon seit einiger Zeit. Bislang aber arbeiten sie mit optischen Nachweistechniken, und die sind relativ aufwändig. Vereinfacht gesagt müssen die eingefangenen Moleküle mit einem Farbstoff markiert werden, der sich erst im Lichte einer Speziallampe verrät. Die Auswertung des Ganzen aber erfolgt digital. Und dazu braucht man keine optischen Signale, sondern elektrische. Die Folge:

    Wenn ich ein optisches Signal messe, dann muss ich Fotoapparat-ähnliche Prinzipien anwenden, um aus dem optischen Signal ein elektrisches zu machen, das in die Datenverarbeitung passt.

    Ein Umweg, den sich Hintsche sparen wollte. Also machte er sich gemeinsam mit dem Chiphersteller Infineon und anderen Firmen an die Entwicklung eines Biochips, der nicht optisch funktioniert, sondern rein elektrisch. Statt mit Farbstoff markieren die Forscher die eingefangene Substanz mit einem elektrisch aktiven Molekül. Das Molekül nimmt Kontakt auf mit einer winzigen Goldelektrode und löst dort ein elektrisches Signal aus. Dieses Signal lässt dann auf Zusammensetzung und Konzentration der eingefangenen Substanz schließen. Laut Hintsche hat der elektrische Biochip gegenüber den optischen Systemen gleich mehrere Vorteile: Er ist einfacher zu bedienen, wesentlich robuster und - deutlich kleiner. Schließlich ist die komplette Messelektronik im Chip integriert.

    Und das ist natürlich ein Vorteil, wenn man in Zukunft portable Geräte bauen will, man vielleicht ein Labor am Handy betreiben will. Und ich denke, diese Technologie kann da durchaus hilfreich sein.

    In der Praxis soll der neue Chip verschieden Zwecken dienen. Denn er kann mit den unterschiedlichsten Fängermolekülen bestückt werden.

    Wir können mit Hilfe von Automaten verschiedene Fängermoleküle je nach Bedarf aufsetzen. D.h. es wird eine Vielzahl von Chips geben, die auf eine bestimmte Anwendung ausgerichtet sind. Man macht damit auf den Chip genau die Fängerkomponente, die ich dann einmal messen will.

    Haupteinsatzgebiet dürfte die Medizin sein, etwa die Analyse von Papillomviren. Manche Virenstämme sind relativ harmlos, andere aber lösen bösartige Tumoren im Gebärmutterhals aus. Der Elektrochip nun soll die gefährlichen von den harmlosen Papillomstämmen unterscheiden. Des weiteren soll er bereits vorhandene Geschwüre erkennen können.

    Wir wollen bestimmte Krebszellen an ihrem genetischen Material identifizieren. Das Ziel ist natürlich, wenn ich sage Krebsfrüherkennung, dass man das möglichst vor Ort machen kann bei einem Arzt oder in einem Krankenhaus, und nicht tagelang auf eine Analyse warten muss, die man in irgendein Zentrallabor geschafft hat.

    Und auch Umweltschadstoffe und Giftgase soll der elektrische Biochip aufspüren.

    Die Diskussion über Terrorangriffe läuft ja nun immer. Es gibt zurzeit keine tragbaren Messgeräte, wo man an jeder Ecke solche Stoffe messen könnte.

    Zurzeit checken die Fachleute, ob ihr Chip tatsächlich für all die geplanten Anwendungen taugt. Sind die Tests erfolgreich, so könnte schon bald die Massenproduktion anlaufen.