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"Das Land braucht eine solche Diskussion"

Der FDP-Chef Guido Westerwelle ist in den vergangenen Wochen aufgrund seiner Formulierungen über Hartz-IV-Empfänger in die Kritik geraten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) distanzierte sich öffentlich von Westerwelles Rhetorik. Andreas Pinkwart (FDP), Wissenschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, hält den Westerwelle-Weg für richtig und notwendig.

Andreas Pinkwart im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.02.2010
    Tobias Armbrüster: Herr Pinkwart, FDP und Union sind in dieser Woche wieder mehrmals aneinander geraten. Wie gut ist das Verhältnis noch zwischen Ihrem Parteichef und der Kanzlerin?

    Andreas Pinkwart: Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung mit den beiden Koalitionspartnern an einer sehr erfolgreichen Arbeit für Deutschland weiter interessiert ist und auch schon – das möchte ich hier auch gleich einleitend sagen – wichtige Fortschritte für die Bürger in Deutschland erreicht hat. Der Unterschied zwischen der großen Koalition und der Koalition von FDP und der Union ist der: Mit der SPD wurde die Mehrwertsteuer erhöht und mit der FDP das Kindergeld.

    Armbrüster: Wie kommt es denn, dass trotzdem eine Mehrheit der Bundesbürger meint, das Klima in der Koalition ist schlecht?

    Pinkwart: Ja, es hat eben auch Auseinandersetzungen gegeben in der Koalition, und es ist der Eindruck da, dass beide Seiten noch nicht mit der Energie und Entschlossenheit an einem gemeinsamen Projekt für Deutschland arbeiten, wie ich mir das jedenfalls wünschen würde und wie sich das vielleicht auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wünschen.

    Armbrüster: Warum fehlt es an Entschlossenheit?

    Pinkwart: Ja, es mag vielleicht daran liegen, dass die Union schon in der Regierungsverantwortung war und die FDP neu in die Bundesregierung gekommen ist – auch mit einem klaren Wählerauftrag, zur Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland beizutragen, in wichtigen Politikfeldern auch zu Verbesserungen zu kommen. Und das führt am Anfang dann vielleicht auch zu unterschiedlichen Aufnahmen. Aber ich bin zuversichtlich nach wie vor, dass man sich in Berlin noch zusammenrauft und gemeinsam die Ärmel aufkrempelt, um die wichtigen Dinge für unser Land auch entschlossen voranzutreiben.

    Armbrüster: Wussten Sie denn schon, dass es in Deutschland bislang verboten war zu sagen, dass "wer arbeitet, mehr verdienen soll als der, der nicht arbeitet"?

    Pinkwart: Offensichtlich hat diese Äußerung, die Guido Westerwelle ja in den letzten Wochen vertreten hat, bei anderen dafür gesorgt, dass sie sich heftig darüber aufregen. Eigentlich sollte es für ein Land, das über Jahrzehnte mit der sozialen Marktwirtschaft und eben auch mit diesem Prinzip sehr erfolgreich war, als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden, wenn ein Politiker sich dazu bekennt. Aber viele in diesem Land scheinen diese Kerngedanken der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr in der Weise zu vertreten, wie das notwendig wäre.

    Armbrüster: Zumindest die Bundeskanzlerin fand diese Äußerung ja nicht so besonders toll. Sie hat gesprochen von einem Tabu, das eigentlich gar keines ist.

    Pinkwart: Wir haben eine Debatte erlebt Anfang des Jahres, die schon bemerkenswert war. Die neue Bundesregierung hat sich darauf verständigt und die Bundeskanzlerin hat es in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, dass wir zu einem gerechteren Steuersystem kommen müssen, vor allem für die kleinen und mittleren Einkommensbezieher, die ja in Deutschland mittlerweile für zusätzliche Lohneinkommen schon den Spitzensteuersatz zahlen müssen. Und diese Forderung ist von vielen Parteien, nicht nur der Opposition, sondern auch aus Teilen der Union, dann Anfang des Jahres dahin gehend kommentiert worden, das könne man sich gar nicht mehr leisten. Und als dann die Entscheidung in Karlsruhe zur Berechnung der Hartz-IV–Regelsätze anstand, waren es zum Teil dieselben Politiker, die sagten: Ja, aber hier müssten jetzt Milliarden zusätzlicher Ausgaben getätigt werden. Und wenn dann die FDP sagt, so können wir in Deutschland nicht die Dinge weiter betreiben, indem wir die Gruppen gegeneinander im Prinzip ausspielen, sondern wir müssen wieder unseren Sozialstaat auf eine feste Grundlage stellen, dann wünschte ich mir, dass das auch von der Bundesregierung insgesamt so geteilt würde.

    Armbrüster: Viele Leute werfen der FDP nun vor – und Guido Westerwelle, dass er die Menschen in Deutschland gegeneinander ausspielt, nämlich die besser Verdienenden gegen die, die nichts verdienen.

    Pinkwart: Das Gegenteil ist der Fall. Wenn er daran appelliert, dass wir wieder für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgen, und zwar in beiden Bereichen – zum einen bei denen, die unverschuldet in Arbeitslosigkeit sind und gerne wieder Arbeit aufnehmen möchten, dann aber feststellen: Wenn sie wieder Arbeit aufnehmen, dass sie netto weniger haben, als wenn sie weiter auf Sozialtransfer angewiesen blieben, wie auch jene, die in Arbeit sind und sich im Vergleich zu einer Hartz IV – Regelung fragen müssen, warum sie überhaupt ihre Anstrengungen unternehmen. Und die internationalen Vergleichsstudien, die jetzt vorliegen, zeigen ja deutlich, dass es kein Wohlstandsland auf der Welt gibt, das in der Weise eigene Leistung so wenig anerkennt, wie das in Deutschland momentan der Fall ist.

    Armbrüster: Hätten Sie denn, Herr Pinkwart, auch den Begriff "spätrömische Dekadenz" gewählt?

    Pinkwart: Nun, der Begriff ist sicherlich eine Zuspitzung, aber er bezieht sich ja eben gerade nicht auf die Hartz-IV–Empfänger und die Leistung, die sie beziehen, sondern auf die öffentliche Debatte, die ich eben angesprochen habe, die vier Wochen lang geführt worden ist. Und das halte ich schon dann für eine in der Zuspitzung richtige Debatte, weil wir doch erkennen müssen – gerade als ein Land, das aus einer so schweren Finanz- und Wirtschaftskrise hervor tritt –, dass wir unseren Sozialstaat auf dem hohen Niveau, das wir erreicht haben, nur werden verteidigen können, wenn wir es schaffen, dass alle, die arbeitsfähig sind, auch sich einbringen in diese Gesellschaft und nach regulärer Beschäftigung streben, damit wir uns diesen Wohlfahrtsstaat auch in Zukunft noch leisten können.

    Armbrüster: Man hat nun in dieser ganzen Debatte leicht den Eindruck, die FDP ist zu einer "Westerwelle-Partei" geworden, so sehr steht der Vorsitzende im Mittelpunkt. Ist das gut für die Liberalen in Deutschland?

    Pinkwart: Ja, ich hatte in den letzten Wochen eher den Eindruck gehabt, dass auch ganz andere Führungskräfte in der politischen Auseinandersetzung standen und in der Diskussion waren, und dass das auch gut ist für die FDP, dass sie mit ihren neuen Bundesministern, mit der Bundestagsfraktionsvorsitzenden, aber auch anderen Mitgliedern des Präsidiums für die unterschiedlichen Themen auch einsteht, für die wir Liberalen ja streiten und die auch die Bürger interessieren.

    Armbrüster: Ist es denn gut für einen deutschen Außenminister, wenn er innenpolitisch so sehr polarisiert wie Westerwelle?

    Pinkwart: Wir haben das auch in früheren Zeiten gesehen, dass die Außenminister innenpolitische Fragen auch eingebracht haben. Und ich denke, dass ...

    Armbrüster: ... aber das war doch üblicherweise sehr zurückhaltend.

    Pinkwart: Ja, aber es sind ja auch Debatten geführt worden, und ich halte es für richtig, dass wir hier einen Parteivorsitzenden im Außenamt haben, der als Parteivorsitzender und Regierungspartner sich auch in die Breite der Themen einbringt, denn wir haben ja auch einen Koalitionspartner, die Bundeskanzlerin voran, die natürlich auch neben der Außen- und Sicherheitspolitik, für die sie ja mit der richtigen Kompetenz der Bundeskanzlerin ja auch Verantwortung trägt, sich selbstverständlich auch in die anderen Fragen der Innenpolitik einbringt und als CDU-Vorsitzende sich genauso profiliert wie auch der CSU-Vorsitzende Seehofer, der als Ministerpräsident darüber hinaus ja auch in einer sehr verantwortungsvollen Aufgabe steht.

    Armbrüster: Bei der FDP steht nun Guido Westerwelle sehr im Mittelpunkt. Liegt das möglicherweise auch daran, dass es der FDP an Personal mangelt?

    Pinkwart: Die FDP hat eine breite Personaldecke auf Länder- und kommunaler Ebene genauso wie auf der Bundesebene. Die kommt allerdings aus einer Phase, wo sie lange Zeit in der Opposition war und in der Oppositionsrolle im Bund auch gut daran getan hat, sich stärker auf eine Person zu konzentrieren, so wie es zum Beispiel die CDU ja auch über lange Phasen gemacht hat, als Frau Merkel als Partei- und Fraktionsvorsitzende die Union in der Opposition vertreten hat. Jetzt sind wir in der Regierungsverantwortung im Bund, so wie wir das in den Ländern, wie hier in Nordrhein-Westfalen schon seit längerer Zeit sind. Und dann öffnet sich auch eine Partei, sie verbreitert sich und gewinnt damit auch eine andere Aufmerksamkeit.

    Armbrüster: Heißt das, Guido Westerwelle sollte vielleicht das eine oder andere Amt abgeben an andere Spitzenleute in der Partei?

    Pinkwart: Nein, im Gegenteil. Er führt ja die Partei sehr verantwortungsvoll und auch sehr erfolgreich. Er ist Außenminister, Vizekanzler. Das ist auch sehr wichtig für die FDP. Darüber hinaus haben wir jetzt andere Parteipersönlichkeiten in den Ministerämtern, im Präsidium, im Fraktionsvorsitz des Deutschen Bundestages. Und das eröffnet es auch ihnen dort, eine neue Wirkungsebene zu erfahren, die auch wichtig ist, damit wir die FDP als eine Partei auch sichtbar machen können für die Bürgerinnen und Bürger, die für die unterschiedlichen Themen der Wirtschaft, in der Bildung, im Bereich der inneren Freiheit sowie in der Außenpolitik auch präsentieren können.

    Armbrüster: Ich bleibe noch mal kurz bei Guido Westerwelle. 60 Prozent der Bundesbürger halten ihn laut einer aktuellen Umfrage für ungeeignet als Außenminister. Warum ist er in diesem Amt, das ja eigentlich so populär ist in Deutschland, warum ist er in diesem Amt so unbeliebt?

    Pinkwart: Guido Westerwelle hat in den ersten 100 Tagen der Regierungsarbeit, auf die wir jetzt blicken können, das neue Amt, das er bekleidet, hervorragend ausgefüllt und da auch viel Anerkennung gefunden. Und ich bin ganz sicher, dass sich das dann auch in den Befragungen der Bevölkerung spiegeln wird.

    Armbrüster: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Andreas Pinkwart, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP und nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister. Herr Pinkwart, meinen Sie, die aktuelle Hartz-IV–Debatte ist gut für die FDP?

    Pinkwart: Ich finde die gegenwärtige Sozialstaatsdebatte, die wir haben, nicht nur für notwendig, sondern für gut für Deutschland, denn es geht ja um die Fragen: Wie funktioniert soziale Marktwirtschaft?

    Armbrüster: Da bin ich mir sicher, dass Sie das gut für Deutschland halten. Ich habe jetzt bewusst nach der Wirkung auf die FDP gefragt.

    Pinkwart: Ja, wir führen ja nicht Debatten in der unmittelbaren Fragestellung: Was heißt das jetzt für die jeweilige Partei? So sehe ich jedenfalls nicht, wenn Sie mir das gestatten zu sagen, die Aufgabe von Politik, die in Verantwortung steht. Sondern ich sehe sie so, dass wir uns als verantwortlich handelnde Politiker fragen müssen: Was ist für das Land wichtig und was ist zu tun? Und da liegen nicht alle Themen so, dass Sie gleich viel Unterstützung von vornherein bekommen. Das wäre jedenfalls verfehlt, eine Politik nur nach Umfragen zu machen und danach zu machen, was gerade gut ankommt. Sondern die, die in der Verantwortung stehen, fragen: Was ist notwendig? Und das Notwendige muss dann so gut gemacht werden, dass es auch von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger mitgegangen werden kann. Wir müssen uns fragen in Deutschland nach der schweren Wirtschaftskrise: Wie kommen wir da wieder raus, wie können wir Wohlstand sichern, wie können wir mehr für Bildung tun, wie schaffen wir vor allen Dingen mehr Chancengerechtigkeit im Staat für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft und dem Einkommen der Eltern? Das sind die großen Herausforderungen. Und ich freue mich, dass wir darüber jetzt auch intensiver streiten können in Deutschland, denn das Land braucht eine solche Diskussion, damit wir die Grundfesten unseres Sozialstaates auch verteidigen können.

    Armbrüster: Da haben Sie jetzt ein paar großartige Ziele genannt. Vor der Hartz-IV-Debatte hat sich die FDP allerdings vor allem mit Steuersenkungen hervorgetan, die sie fordert. Sollte die Partei daran festhalten?

    Pinkwart: Das ist ja nur ein Teil unserer Forderungen, aber ein berechtigter Teil. Wir haben ja gesagt, wir müssen das Steuerrecht so weiter entwickeln, vor allen Dingen auch vereinfachen und entbürokratisieren, dass die Bürger es wieder verstehen und wir müssen es so ausgestalten, dass es auch als fair empfunden wird. Wenn wir heute eine Situation haben, wo der Durchschnittsverdiener beim 1,4-fachen des durchschnittlichen Bruttoeinkommens schon mit dem Spitzensteuersatz belegt wird, während vor 20 Jahren in Deutschland erst der Bürger beim 17-fachen des durchschnittlichen Bruttoeinkommens mit dem Spitzensteuersatz belegt worden ist, dann müssen wir uns schon fragen: Ist das fair, ist das wirklich ein Anreiz zur Leistung? Und da sagen wir, hier müssen wir bei den mittleren Einkommen den progressiven Tarif abflachen, damit mehr Menschen bereit sind, im regulären Sektor auch mehr Anstrengungen zu unternehmen.

    Armbrüster: Sie haben von "entbürokratisieren" gesprochen. Ende vergangenen Jahres haben Sie die Steuersenkung für Hotelbetriebe auf den Weg gebracht. Eine der Folgen war eine Menge von zusätzlichem Papierkram für alle, die beruflich in einem Hotel übernachten müssen. War das so gewollt?

    Pinkwart: Das war nicht so gewollt und ist ja jetzt auch Gott sei Dank nicht so in der Umsetzung. Aber Sie haben Recht. Es deutete sich so an, leider, dass diese Regelung, die ja helfen sollte, auch in einer Branche zu mehr Investitionen und zu mehr Beschäftigung zu kommen, dazu geführt hätte, dass viele Handlungsreisende und deren Unternehmen zusätzlich beschwert worden wären. Es war das besondere Bemühen, auch meiner Person und auch der FDP, darauf zu drängen, dass jetzt in den Ausführungsbestimmungen Regelungen gefunden werden, die helfen, solche überbürokratischen Regelungen zu verhindern. Die Bundesfinanzminister, die Länderfinanzminister haben zugesagt, dass das jetzt auch so unbürokratisch wie möglich umgesetzt werden soll. Man arbeitet daran und ich sehe die Sache jetzt auf gutem Wege.

    Armbrüster: Trotzdem bleibt bei diesem Gesetz der Eindruck haften, die FDP sei eine Klientelpartei. Es war dann auch verbunden mit einigen Spenden aus der Hotelbranche, die bekannt geworden sind. Hat die Union Sie bei dieser ganzen Sache ins Messer laufen lassen, so ungefähr nach dem Motto "Ihr wolltet eure Steuersenkung für Hoteliers, Ihr FDP-Leute, jetzt badet das Ganze auch aus?"

    Pinkwart: Es hat eine Debatte in Deutschland gegeben, die sich so vermittelte, was ich für bemerkenswert empfinde, auch mit Blick auf die Parteien, die sich daran beteiligt haben und die interessierte Öffentlichkeit. Denn wenn Sie die Fakten genau betrachten ist es so, dass die SPD etwa, die auch hier heftig gewettert hat, die erste Partei in Deutschland war, die schon 1998 für eine bessere Mehrwertsteuerregelung eingetreten ist. Die Grünen haben im Landtag von Bayern Antragsinitiativen eingebracht für einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Und innerhalb der Union war es vor allem die CSU, die eine solche Regelung auch gefordert hat. Also, hier geht es darum, dass wir für die Menschen und für die Unternehmen in dem Bereich Verbesserungen erreichen wollten. Das wollten auch andere Parteien. Und hier einen Zusammenhang herzustellen, wie er erhoben worden ist inklusive der Klientelpolitik, ist reine Heuchelei und eine Zuspitzung, wie ich sie auch lange nicht erlebt habe in unserer Demokratie.

    Armbrüster: Aber keine Zuspitzung ist es ja wahrscheinlich, wenn man sagt, dass die Union deutlich weniger an Steuersenkungen interessiert ist als Sie, die Liberalen.

    Pinkwart: Ja, auch da muss man schon sehen, dass man bei der Ehrlichkeit bleibt, wie ich meine. Dass Steuersenkungen schwerer durchzusetzen sind in einer Phase, wo die öffentlichen Haushalte sehr angespannt sind, ist völlig klar. Nichtsdestotrotz haben auch die Unionsparteien vor der Bundestagwahl und, wie ich finde, auch aus guten Gründen wie die FDP gesagt, wir brauchen ein einfaches und faires Steuerrecht. Die CDU hat eine Steuersenkung von 15 Milliarden Euro im Wahlkampf versprochen, die CSU von 28 Milliarden Euro. Gemeinsam vereinbart haben wir jetzt innerhalb der Regierungskoalition eine Steuerentlastung in dieser Legislaturperiode von insgesamt 24 Milliarden Euro. Ich glaube, das ist insoweit auch eine Regelung, die von der Union weiterhin voll vertreten werden müsste, es sei denn, die Union wollte sagen, dass sie ihren Wählern vor der Wahl etwas gesagt hat, wozu sie jetzt nicht mehr stehen möchte.

    Armbrüster: Einige Leute sagen ja tatsächlich, die Union habe den Koalitionsverhandlung überhastet unterzeichnet.

    Pinkwart: Es lag nicht an der FDP, dass die Verhandlungen über einen Zeitraum geführt worden sind, wie wir ihn jetzt kennen. Wir hätten auch einen längeren Verhandlungszeitraum gerne in Kauf genommen. Wir haben uns gemeinsam über die verschiedenen Themen ausgetauscht. Wir haben auch gemeinsam Ergebnisse erzielt. Gerade auch im Bereich des Steuersystems haben wir sehr intensiv um den besten Weg gerungen. Ich halte ihn auch für sachgerecht für Deutschland. Wir müssen hier etwas tun, und es wäre jetzt gut, wenn die Regierung daran arbeiten würde, auch dieses, was wir dort verabredet haben, umzusetzen, genau so, wie wir die anderen Punkte schon umgesetzt haben wie die Entlastung der Familien mit Kindern, wie die Beseitigung von Wachstumsbremsen für den Mittelstand oder wie jetzt Annette Schawan, indem sie etwa im Bildungsbereich auch die Reformschritte umsetzt, auf die wir uns ebenfalls verständigt haben wie die Erhöhung des BAföG oder die Einführung eines nationalen Stipendiumprogramms.

    Armbrüster: Höre ich das jetzt bei Ihnen richtig heraus, Herr Pinkwart, dass die Union möglicherweise tatsächlich etwas vorschnell war bei ihrer Unterschrift unter den Koalitionsvertrag?

    Pinkwart: Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie vorschnell hätte handeln müssen, ich habe auch die Gespräche nicht so in Erinnerung. Ich vermisse bei der Union jetzt den Mut und die Entschlossenheit, das, was sie in dem Bereich verabredet hat, auch gemeinsam hart zu erarbeiten. Dass das nicht einfach ist, das ist ja so. Dann könnten sie es ja anders machen. Wir sind gewählt worden, um die Dinge etwas ehrgeiziger zu betreiben. Und das erwarte ich auch bei dem großen Thema der Steuerreform, auf die dieses Land schon lange gewartet hat.

    Armbrüster: Ein anderer Ihrer Bundesminister, der es schwer hat mit der Union, ist Gesundheitsminister Philipp Rösler. Glauben Sie, er bekommt sein Projekt, die Kopfpauschale, noch durch?

    Pinkwart: Zunächst einmal müssen wir doch festhalten, dass die große Koalition eine kleine Kopfpauschale eingeführt hat mit dem Gesundheitsfonds, indem die große Koalition, Frau Schmidt und insbesondere die Bundeskanzlerin sich ja verständigt hatten darauf, dass es Zusatzbeiträge in dem System gibt und dass bis zu acht Euro ohne Einkommensprüfung erhoben werden können und ohne Sozialausgleich. Das ist das, was vorliegt und wir müssen jetzt daran arbeiten, dass möglichst diese Zusatzbeiträge gar nicht erhoben werden müssen, sondern das Gesundheitssystem aus sich selbst heraus so effizient gestellt wird, dass diese Regelungen erst gar nicht greifen müssen, weil sie auch nicht sozial angelegt wären. Und das andere ist, dass wir das Gesundheitssystem dauerhaft auf eine tragfähige Grundlage stellen müssen. Hierzu hat sich die Koalition darauf verständigt, eine Regierungskommission einzusetzen, die einen Vorschlag erarbeiten soll. Dieses ist in dieser Woche geschehen und ich denke, dass wir im Laufe des Jahres mit Ergebnissen rechnen können. Die sollten wir dann in Ruhe uns auch ansehen und dann auch bewerten.

    Armbrüster: Aber der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder schießt ja in jedem Fall schon einmal dagegen.

    Pinkwart: Ja, das ist eben das Ärgerliche daran, dass man sich in der Koalition, an der einen oder anderen Stelle jedenfalls, auf Dinge verabredet, zu denen dann nicht alle Beteiligten in der Weise stehen, wie es notwendig wäre, um auch das notwendige Vertrauen in der Bevölkerung dafür zu schaffen. Das haben wir gesehen bei der Kritik, die Herr Seehofer an Herrn Rösler geübt hat zum Thema Zusatzbeiträge, denn da ist ja der Eindruck entstanden, als sei die FDP für diese Zusatzbeiträge verantwortlich. Wir wissen aber alle, dass die große Koalition mit Zustimmung der CSU sie seinerzeit beschlossen hat. Ich finde, da sollte verantwortungsvolle Politik auch zu dem stehen, was sie beschlossen hat. Sie kann sagen, dass sie es besser machen will. Das tun wir auch, aber da sollte man dann auch gemeinsam und fair miteinander reden, ausfüllen und dann den Bürgern auch erläutern.

    Armbrüster: Herr Pinkwart, Sie stecken als stellvertretender Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen zurzeit auch mitten im Wahlkampf. Wie teuer ist ein Stand bei Ihrem Parteitag Ende April?

    Pinkwart: Wir haben wie die anderen Parteien die Gelegenheit, dass Dritte auf unseren Parteitagen Informationsstände auch errichten können. Das wird nach Quadratmeterpreisen abgerechnet, wie das auch in allen anderen Bereichen so üblich ist.

    Armbrüster: Die CDU hier in Nordrhein-Westfalen hat Unternehmen angeboten, auf Parteitagen ein Gesamtpaket zu buchen zum Preis von 20.000 Euro. Darin enthalten ist dann auch ein Gespräch mit Ministerpräsident Rüttgers. Der sagt, er habe von diesen Angeboten nichts gewusst. Warum sollte man ihm glauben?

    Pinkwart: Ich habe bereits in einer Pressekonferenz diese Woche gesagt, und das will ich hier gerne bekräftigen, ich habe keinen Grund, an diesen Aussagen des Ministerpräsidenten zu zweifeln.

    Armbrüster: Können Sie nichts anderes sagen, weil Ihre Partei auf Gedeih und Verderb an die Union gebunden ist?

    Pinkwart: Die FDP ist nie auf Gedeih und Verderb an andere gebunden, sondern sie steht für ihr Programm in Eigenständigkeit und auch in eigener Verantwortung. Aber ich kenne Jürgen Rüttgers und ich schätze ihn sehr. Er hat eine Aussage getroffen, und ich wüsste nicht, warum ich an dieser Aussage zweifeln sollte.

    Armbrüster: Will Jürgen Rüttgers nicht eigentlich viel lieber mit den Grünen koalieren in Düsseldorf?

    Pinkwart: Jürgen Rüttgers hat wie ich auch wiederholt bekräftigt, dass wir die erfolgreiche gemeinsame Regierungsarbeit im Interesse Nordrhein-Westfalens fortsetzen wollen. Ich halte das auch für sehr begründet. Darüber hinaus gibt es Stimmen in der Union, das ist zutreffend, die sich auch andere Konstellationen vorstellen könnten. Ich sehe das als Wahlkämpfer mit großer Gelassenheit weil ich weiß, dass sehr viele unionsnahe Wählerinnen und Wähler eine Politik mit der FDP gemeinsam sehen wollen. Wenn die Union das Bild verunklart, haben diese Wählerinnen und Wähler in der FDP eine überzeugende und klare Alternative.

    Armbrüster: Aber hat die FDP hier nicht ein Problem? Sie ist umgeben von Parteien, die sehr offen sind für eine weite Zahl von Koalitionen. Nur die FDP bindet sich an die Union.

    Pinkwart: Das muss ja kein Nachteil sein. Wir sind programmatisch klar aufgestellt. Wir wissen, wie wir unser Land weiter entwickeln wollen.

    Armbrüster: Aber es kann von Nachteil sein, wenn Sie an der Regierung teilhaben wollen.

    Pinkwart: Unsere Wähler wissen erstmal, wo sie mit uns dran sind. Das ist, glaube ich, eine ganze Menge. Bei den anderen Parteien ist das ja schwer zu wissen. Wenn man SPD oder Grüne wählt, dann erfährt man das Schicksal, dass man zu einem Linksbündnis kommt. Wenn man CDU wählt, läuft man möglicherweise Gefahr, dass man nicht mit der FDP eine gemeinsame Fortsetzung der Regierungskoalition sieht, sondern vielleicht in einer anderen Konstellation. Mit der FDP weiß man, wo man dran ist. Ich finde, das ist sehr wichtig und gut. Und wofür wir stehen, das wissen die Wählerinnen und Wähler auch. Und das stellen wir zur Abstimmung. Und darüber hinaus tritt die FDP als eigenständige politische Kraft in ihrer eigenen Unabhängigkeit auf.

    Armbrüster: Nach aktuellem Stand der Umfragen hat Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen zurzeit keine Mehrheit. Können Sie sich vorstellen, an einer Koalition mit den Grünen teilzunehmen?

    Pinkwart: Wir kämpfen dafür, dass wir die erfolgreiche Arbeit fortsetzen können. Ich bin im Übrigen auch fest davon überzeugt, dass wir das Ziel erreichen können. Im Übrigen, was Umfragen anbetrifft: 2005 lag das noch enger, vor allen Dingen für die FDP, selbst auf der letzten Wegstrecke, und es hat trotzdem gereicht. Und ich bin zuversichtlich, das wird diesmal wieder der Fall sein.

    Armbrüster: Andreas Pinkwart, vielen Dank für dieses Interview.

    Pinkwart: Herzlichen Dank.