An dieser Geschichte lässt sich gut die Qualität von Ron Carlsons Erzählungen zeigen: Sie beginnen, ganz klassisch, mit einer spannungstreibenden Setzung, um dann doch nicht im erwarteten Knall zu enden. Bis zum Schluss rechnet man, dass die geschilderte Familienidylle durch ein explodierendes Kartoffelgewehr zerstört wird, doch Carlson begnügt sich damit, die Fragilität von Glücksverhältnissen nur anzudeuten und nicht selbstherrlich ihren Untergang herbeizuführen. Menschen dürfen auch mal glücklich sein! Es reicht, wenn sie die Angst vorm Unglück nicht ganz vergessen.
In kleiner Münze kommt dieses Motiv in fast allen Geschichten vor. Da stellt der normale Sprössling einer Geniefamilie fest, von der Bürde der Hochbegabung verschont geblieben zu sein, und erfreut sich wie jeder andere Jugendliche ganz banal seines ersten Autos, statt wie der kleine Bruder frühreif an der Uni die physikalische Welt aus den Angeln heben zu müssen. Und wie schön wäre es, gäbe es im Zeitalter des Entwicklung beschleunigenden aber die Reife hemmenden Medienkonsums noch Jugendliche, die zugeben: "Ich benutze meinen Körper für Dinge, die nicht einmal ich selbst verstehe." Denn hinter diesem Satz versteckt sich keine Perversion, sondern die überwältigende Unbegreiflichkeit erster sexueller Erfahrungen, wie man sie noch vor einer Generation naiv empfinden konnte. Solche die Seele der Figuren auslotenden Sätze bereichern den ganzen Band, der damit an ein großes literarisches Vorbild anknüpft. Ron Carlson ist ein würdiger Nachfolger des amerikanischen Mittelstands-Chronisten der fünfziger und sechziger Jahre John Cheever. Wie Cheever führt Carlson seine Figuren nie vor, sondern gibt ihnen eine Tiefendimension, die sie laut Vorurteil als Bewohner der Vorstädte gar nicht haben dürften. "Gib der Seele Nahrung", heißt eine Maxime im Buch, "der Körper findet einen Weg." Die Seelennahrung wäre schon mal da.