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Das Leben nach einer Krebserkrankung
Wer bin ich dann eigentlich?

Der Start ins normale Leben ist nach einer Krebstherapie gar nicht so einfach. Der Schock über die Diagnose sitzt vielleicht immer noch tief, auch die Behandlung hat Spuren hinterlassen. Und das nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.

Von Barbara Weber | 27.12.2016
    Lymphoma cancer cell SEM Lymphoma cancer cell Coloured scanning electron micrograph SEM of a lym Lymphdrüsenkrebs, Farbiger Scan einer elektronischen Mikrograpfie
    Lymphdrüsenkrebs, Farbiger Scan einer Krebszelle. (imago stock&people)
    "Was wir jetzt als erstes machen, ist der Rückentrainer."
    Universitätsklinik Köln.
    "Setz Dich ruhig hin!"
    Der Sportwissenschaftler Timo Niels steht vor dem Sportgerät im Centrum für Integrierte Onkologie, neben ihm die 26-jährige Merle Lisek.
    "Das ist ein Sitz und ein mobiles, bewegbares Polster, was am Rücken gleich angelegt wird."
    Die junge Schauspielerin muss ihren Rücken gegen den Widerstand des Polsters ausstrecken, um die Muskulatur zu kräftigen.
    "Bei der anstrengenden Phase der Bewegung ausatmen, nach hinten drückend ausatmen, und einatmen bei der Bewegung nach vorne."
    "Man kann es erst gar nicht glauben"
    Merle Lisek hatte Lymphdrüsenkrebs. Die Behandlung ist jetzt zwar abgeschlossen, aber sie erinnert sich noch gut, wie das war, als der Arzt ihr die Diagnose mitteilte:
    "Man kann es erst gar nicht glauben, dass ich das jetzt hab', das war so fremd irgendwie. Das ging dann so ein paar Tage, dass ich irgendwie gar nicht das Gefühl hatte, ich zu sein oder die ganze Zeit nur so Beobachter zu sein, zu dem, was mir da jetzt passiert. Monate dauert das dann, dass man da so reinwächst, durch das Haare abschneiden dann auch vielleicht", erzählt sie in einer Trainingspause.
    "Dann ging das mit der Chemotherapie los. Der erste Zyklus war für mich der heftigste, weil die einfach auch Zeit brauchten, um mich einzustellen. Die fangen auch mit einem gewissen Standard einfach an, der war bei mir viel zu hoch, weil mein Körper sehr empfindlich drauf reagiert hat. Und so hatte ich im ersten Zyklus eigentlich die meisten Nebenwirkungen wie Darmbeschwerden, das hat mir ziemlich viel ausgemacht, und so ein bisschen, als das Immunsystem runtergegangen ist, dass man einen wunden Mund schnell bekommen hat, dass die Schleimhäute sehr trocken waren. Aber das wurde dann besser über die Behandlung weg, und so was wie Übelkeit hatte ich zum Beispiel gar nicht. Ich hab' eigentlich gut gefuttert dadurch, die ganze Behandlung hindurch.
    Das war klar, dass da erstmal ein Ausstieg passieren muss natürlich. Und da ich ja nicht angestellt war, war keine andere Möglichkeit, als ins Hartz IV zu gehen.
    Gut, das ist dann halt einfach so. Die Hauptkonzentration liegt darauf, gesund zu werden und auf sich zu achten, auf sich zu hören und zu schauen, dass es einem gut geht während der Behandlung, das ist eigentlich so der Hauptjob. Ich bin froh, dass ich mir da jetzt dann nicht um viele andere Sachen Gedanken machen musste, da hab' ich auch gemerkt, wie toll das ist, was für ein Sozialstaat wir doch in Deutschland sind."
    "Wer bin ich dann eigentlich?" - Nach der Behandlung
    (Timo Niels) "Einmal die Beine vorne aufs Polster. Hier geht es gleich um die Beinbeugung, das heißt, Du streckst gleich Deine Knie."
    Merle Lisek hat sich zwischenzeitlich auf das nächste Trainingsgerät gesetzt.
    "Und dann ist jetzt gleich die Aufgabe, die Hacken zum Gesäß zu ziehen, um eine Beinbeugung zu machen."
    Merle Lisek darf noch vier Wochen im Centrum für Integrierte Onkologie trainieren. Ein bisschen mulmig ist ihr schon.
    "Das ging jetzt sogar soweit, dass ich mich jetzt gegen Ende der Behandlung gefragt hab', wie das wohl wird, wenn das jetzt alles aufhört, weil ich da so reingewachsen bin und jetzt irgendwie so, ja, nicht wohlfühle, aber mich da irgendwie eingerichtet hab' in diesem krank sein und auch in diesem keine Haare haben, dass ich mich tatsächlich gefragt hab, wie wird das wohl, wenn ich wieder Haare hab', wer bin ich dann eigentlich? Und sonst muss man sagen: Alles, was man als Schauspieler erlebt, ist eine Bereicherung, weil ich das immer mal nutzen kann, glaube ich, also als Erlebnis, ja, so sehe ich das eigentlich. Ich weiß, wie es sich anfühlt."