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Das letzte Album von "Spiritualized"
Organisch, stimmig und wie aus einem Guss

Ganze sieben Jahre hat Jason Pierce am neuem Album gearbeitet. Schon seit 1990 veröffentlicht er psychedelischen Rock, der voller Soul und Klanggewalt ist. Er hat seine musikalische Visionen und Ideen erhalten. Dennoch wird dies sein letztes Werk unter dem Namen "Spiritualized" sein.

Von Andreas Dewald | 08.09.2018
    Singer of the English space rock band Spiritualized Jason Pierce performs during the 2012 Zhangbei Grassland Music Festival in Zhangbei county, Zhangjiakou city, north Chinas Hebei province, 3 August 2012. Photo: Li Lewei/ Imaginechina |
    Zhangbei Grassland Festival 2012: Spiritualized (Imaginechina (Li Lewei))
    "Rock'n'Roll ist ja eigentlich etwas für junge Leute. Es ist leicht, ihn zu spielen, wenn die Unschuld, die Naivität und die Dummheit der Jugend in ihm steckt. Ich finde, es wird schwieriger, je älter ich werde. Aber das hat auch etwas Gutes, denn ich will nicht nur Platten rausbringen, weil ich es kann und weil ich ein Publikum habe. Sie müssen besser und großartiger sein als das, was ich zuvor gemacht habe."
    Drogenmusik álà Brian Wilson
    "Too old to rock'n'roll, too young to die?" Jason Pierce alias J Spaceman wirkt erschöpft, matt, angeschlagen, spricht mit leiser Stimme. Sieben Jahre hat er für das neue Album seiner Band Spiritualized gebraucht. Mit ihr hat er wie eine Art neuzeitlicher Brian Wilson seit 1990 einen psychedelischen Rock in die Welt gesetzt, der voller Soul und Klanggewalt steckt. Drogenmusik, hat er selbst mal bekannt. Pierce war lange heroinsüchtig und hat mehrere lebensbedrohliche Zusammenbrüche überstanden. Seine musikalische Vision aber scheint ungetrübt, sein inneres Feuer weiter zu brennen.
    "Ich wollte diese Platte so machen, wie Gil Evans oder Ray Charles ihre großen Studioalben gemacht haben. Aber dabei ging mir schnell das Geld aus. Trotzdem wollte ich das Konzept beibehalten. Und es scheint, als wäre ich den längsten, schwierigsten und dümmsten Weg gegangen. Ich habe alles aus kleinsten Samples zusammengebaut. Jedes Mal, wenn ich Geld bekam, eilte ich ins Studio, um eine Timpani oder ein Cello aufzunehmen und dann die einzelnen Teile mühsam zusammenzusetzen. Ich war oft frustriert und dachte, das muss doch auch einfacher gehen.
    Sehr nah an seinem Meisterwerk
    Man hört dem neuen Album von Spiritualized die Mühe nicht an, die Jason Pierce sich damit gemacht hat. Alles auf "And Nothing Hurt" klingt wie aus einem Guss, organisch, stimmig, unangestrengt. Wie mit Band und Orchester in der Analog-Ära eingespielt. Und bei aller Komplexität und abenteuerlichen Quertönerei verblüffend zugänglich und einladend. Die schwelgerischen Velvet-Underground-Gedächtnis-Balladen "I'm Your Man" und "Here It Comes" mit ihren Noise-und-Drone-Rock-Einlagen, das herzergreifende "Damaged" mit schluchzender Slide-Gitarre und elegischen Streichern, oder das von Krautrock und Free Jazz inspirierte "The Morning After" strahlen eine fast schon spirituelle Magie aus. Damit ist Pierce ganz nah an der Grandezza des Meisterwerks von Spiritualized "Ladies And Gentlemen We‘re Floating In Space" von 1997.
    "Ich versuche, alle Fäden miteinander zu verknüpfen. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht. Ich musste ziemlich viel von dieser Platte wieder entfernen und so ist sie ziemlich klassisch im Ausmaß und in der Form. Ich hatte immer die Vorstellung, ich könnte alle Verbindungen in meiner Musik ziehen, so dass Can und Neu! verwandt sind mit Lee Perry, der verwandt ist mit O.V. Wright, der verwandt ist mit Doo Wop."
    Mit anderen Texten den Worten mehr Zauber verleihen
    Jason Pierce ist mit "And Nothing Hurt" ein erwachsenes Rock'n'Roll-Album gelungen. In seinen Songs geht es um Nostalgie, das Verstreichen der Zeit, die Akzeptanz des Alters, sagt er. Dabei klingt der 52-jährige Familienvater keinesfalls wie ein sentimentaler alter Mann, sondern überrascht mit poetischen Sprachbildern, die der Fantasie des Hörers Flügel verleihen.
    "Auf meinen letzten Platten habe ich mich mehr angestrengt, um den Worten mehr Zauber zu verleihen. Ich wollte nicht mehr so reden wie in meinen 20er oder 30er Jahren. Ich habe mir mehr Country-Songs angehört. Die Erzählungen darin sind oft ernsthafter. Da geht‘s nicht nur um ein paar griffige Worte für den Refrain. Mit Sprache kann man viel mehr machen.
    Laut Jason Pierce soll "And Nothing Hurt" das letzte Album von Spiritualized sein. Aber er wird weiter Musik machen. Vor allem live. Im letzten Jahr hat Jason Pierce das Spiritualized-Album "Ladies And Gentlemen We're Floating In Space" mit großem Orchester, Chor und Gastmusikern auf die Bühne gebracht. Diesen kosmischen Trip aus Rock‘n‘Roll, Soul, Gospel, White Noise, Free Jazz und berauschendem Orchesterklang. Und mittendrin Jason Pierce mit seiner unglaublichen Feedback-Gitarre.
    "Wenn ich live Gitarre spiele, dann sind das sehr einfache Motive und Phrasierungen, die diesen riesigen, kraftvollen Sound ergeben. Wenn ich mit Spiritualized live spiele, ist das, als ob jemand anders, ein höheres Wesen den Klang steuert, und das Ganze durch die Decke geht. Das ist eine ganz andere Welt."