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"Das Militär übertreibt es wahnsinnig"

In Ägypten seien derzeit weder die Muslimbruderschaft noch das Militär zu Gesprächen miteinander bereit. Der Dialog müsse aber wiederaufgenommen werden. Daran sollten Arabische Liga, EU und USA mit vereinten Kräften arbeiten, fordert der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok.

Elmar Brok im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 17.08.2013
    Jürgen Zurheide: Das ägyptische Militär scheint in diesen Minuten die Moschee zu stürmen möglicherweise, da werden wir nachher noch nähere Informationen bekommen, das zeigt, die Lage im Land eskaliert weiter – es hat gestern Tote und viele Verletzte gegeben. Was kann, was muss, was soll die Reaktion des Westens sein? Darüber wollen wir reden, und ich begrüße dazu Elmar Brok, den Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlamentes. Zunächst einmal guten Morgen, Herr Brok!

    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Brok, mal eine Frage vorweg: Als Außenpolitiker steht man ja häufig da, möchte eingreifen, hat aber wenig Möglichkeiten. Ist das auch wieder so eine Situation, wo man eigentlich sagt, ich fühle mich ganz schön hilflos? Wie oft denken Sie so, wenn Sie zum Beispiel Bilder aus Ägypten sehen?

    Brok: Ich denke so – ich meine, man ist nicht völlig hilflos, man muss hier versuchen, was man kann, aber wenn Kräfte in dem Land Unvernunft haben, nicht miteinander reden, keine Dialogbereitschaft dort vorhanden ist, dann kann man auch die Köpfe nicht so zusammenschlagen, dass sie dann Vernunft haben und miteinander dann eine Lösung finden. Und das ist der klassische Fall hier: Die Muslimbruderschaft verweigert sich jedem Dialog, und Mursi hat ja in seiner Zeit mit einem Wahlrecht gewonnen, das nun wirklich Demokratie hohnspricht, er hat eine Verfassung durchziehen wollen, indem andere Kräfte keine Rolle spielen, eine rein islamistische Angelegenheit. Er hat mit Hamas zusammengearbeitet und ihnen Dschihadisten-Ausbildungsstätten im Sinai gegeben, und vieles andere mehr, sodass große Teile der Gesellschaft gegen ihn waren, und 22 Millionen Menschen Unterschriften gesammelt haben, um hier eine Änderung herbeizuführen. Und über diese große Gruppe, die friedliche Demonstrationen vor zweieinhalb Jahren gemacht haben, jetzt im Sommer wieder gemacht haben, redet gegenwärtig niemand. Das sind die Opfer, dazu gehören die Christen, und da gehören die Säkularen, die jungen Leute, die Demokratie haben wollen, und die jetzt wiederum zerrieben werden zwischen Militär und Muslimbruderschaft.

    Zurheide: Dennoch muss man jetzt umgekehrt sicherlich die Frage stellen: Reagiert das Militär möglicherweise überhart? Wenn man die Bilder sieht, ist das auf jeden Fall erschreckend, und damit steht die Frage im Raum: Was kann, was sollte der Westen, die Europäische Union tun? Fangen wir an mal mit Europa, das ist die Spielebene, auf der Sie sich auskennen, zum Beispiel, dürfen wir noch als Europäer Waffen liefern an die Ägypter?

    Brok: Das sollte man gegenwärtig sicherlich nicht tun, aber die Europäer haben eine Menge gemacht. Catherine Ashton, die hohe Beauftragte, war bei Mursi im Gefängnis, diejenigen, die die Gesprächsfäden zur Muslimbruderschaft hergestellt haben. Auch die Amerikaner haben versucht, über Kerry mit dem Militär ins Gespräch zu kommen, und hier muss man sehen, dass die Muslimbruderschaft keine Dialogbereitschaft hat. Sie wollen die gesamte Macht, egal, was im Lande passiert, und die sind ja auch mit Waffen unterwegs, wie wir in den letzten Tagen gesehen haben. Und Mursi äußert sich überhaupt nicht, er kann sich ja auch da äußern und zur Mäßigung aufrufen, wozu er offensichtlich nicht bereit ist, und das Militär übertreibt es wahnsinnig. Wie kann man, wenn man versucht, einen demokratischen Prozess wieder in Gang zu kriegen, wie deren Plan ja war, in dieser Weise Lager aufräumen? Das hätte man auch anders machen können, da hätte man auch Lager blockieren können, aber doch nicht mit dieser Gewaltorgie, das zeigt, dass hier niemand bereit oder in der Lage ist, Gespräche miteinander zu führen, und die Mehrheit der Bevölkerung, die einen vernünftigen Weg gehen will, ist das Opfer dabei wieder.

    Zurheide: Nur, wie kommt man da jetzt weiter? Also Waffenlieferungen, haben Sie jetzt gerade gesagt, nein. Jetzt haben wir von Herrn Niebel, dem deutschen Entwicklungshilfeminister gehört, dass das eine oder andere Projekt – ich glaube, es geht da um 25 Millionen –, dass das erst mal auf Eis gelegt wird, da sagt man: Gut. Aber es kommt wieder die Frage: Hilflos? Sind das hilflose Gesten oder ist es mehr?

    Brok: Also ich glaube, in dieser Gewaltorgie werden solche Gesten nicht wahrgenommen. Und wenn man jetzt Umweltprojekte dort einstellt, da hört doch niemand zu dazu. Das ist, glaube ich, nicht das Entscheidende. Ich glaube, wir müssten dazu kommen, dass Gesprächsfäden aufgenommen werden gemeinsam mit der Arabischen Liga beispielsweise, mit Gruppen im arabischen Bereich, die zu den Muslimbruderschaften Kontakte haben, damit sie zum Dialog gebracht werden. Es muss mit der großen Mehrheit, die wie gesagt hat vor Wochen ja, mit ihren Demonstrationen und Unterschriften also das gemacht haben, Gespräche geführt werden. Es muss auf el-Baradei zugegangen werden, der ja versucht hat, mit dem Militär eine demokratische Entwicklung zu machen, und jetzt wegen der Gewaltorgie zurückgetreten ist, Gespräche geführt werden, um hier diese Position der Mehrheit der Bevölkerung in Person zu dokumentieren, und dann müssen die Amerikaner insbesondere ja mit der Förderung des Militärs – 1,5 Milliarden Dollar jedes Jahr – doch ??? Bereitschaft gemacht werden, dass man hier miteinander redet und diese Orgie beendet wird, und hier nicht alles gestürmt wird. Ich glaube, hier wieder Gesprächsfäden zusammenzukriegen, so schwer das ist, ist der einzige vernünftige Weg, auf das Stoppen von Programmen hört in diesen Tagen niemand.

    Zurheide: Jetzt haben Sie die Amerikaner angesprochen, das hatte ich hier auch auf einem Zettel. In der Tat, Obamas Reaktionen, ist das für Sie bisher enttäuschend?

    Brok: Also was wollte denn jetzt jeder machen? Ich meine, das Militär ist sicherlich, es ist dem Militär sicherlich deutlich gemacht worden von Catherine Ashton, von den Amerikanern, dass dies nicht der richtige Weg ist. El-Baradei hat gesagt, ich trete als Vizepräsident zurück, weil dieses nicht der richtige Weg ist. Es muss mit dem Militär deutlich gemacht werden: Hier ist Ende der Fahnenstange, ihr müsst die Bereitschaft haben, dass beide Gruppen, nämlich die Muslimbruderschaft und die andere Seite, der große Teil der Gesellschaft, miteinander redet, und da dürft ihr nicht jetzt die Gesprächsfäden durch so viel Gewalt endgültig zerstören, sodass da ein dauerhafter Bürgerkrieg oder ein muslimischer – nicht muslimischer, ein islamistischer, fundamentalistischer Terror entstehen kann. Ich glaube, das ist ein Versuch, den die Amerikaner jetzt noch mal unternehmen müssen, um auf die Art und Weise die Gesprächsbereitschaft zu haben, und deswegen wäre es, glaube ich, wichtig, dass in Arbeitsteilung Arabische Liga, Europäische Union und die Amerikaner hier kooperieren.

    Zurheide: Also um das noch mal deutlich zuzuspitzen, Sie sagen, die 1,5 Milliarden Dollar sollten die Amerikaner im Moment stillstellen und sagen: Nein, nicht mehr, wenn ihr euch als Militär so verhaltet.

    Brok: Ich glaube, das sollte denen deutlich in Gesprächen gemacht werden, den Militärs, und deutlich gemacht werden, dass sie auch so keine Zukunftschance haben. Das Militär hat nicht nur militärische Interessen, oder Interessen, dass Ruhe dort ist, die haben auch große wirtschaftliche Interessen. 30 bis 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft ist in den Händen des Militärs. Und denen muss auch klargemacht werden, dass sie weder die Zusammenarbeit mit den Amerikanern haben könnten, noch dass sie ihre wirtschaftliche Position aufrechterhalten können, denn wenn es so weitergeht und der Tourismus völlig ausbleibt, dann haben die auch keinen ökonomischen Nutzen mehr, und deswegen ist das, was da passiert, völlig gegen die Interessen des Militärs, es ist vor allen Dingen gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, und diese Politik, die jetzt betrieben wird, wird auf Dauer diejenigen, die Feinde der Demokratie sind, nämlich die Muslimbruderschaft, nur noch stärken.

    Zurheide: Jetzt haben Sie mehrfach angesprochen, die Dialogbereitschaft muss herbeigeführt werden, auch möglicherweise mithilfe der arabischen Nachbarn. Wen sehen Sie denn da als Handlungsspieler, wer ist denn stark genug, wer ist Autorität genug, so etwas in Gang zu kriegen bei den unterschiedlichen Interessen, die im Moment in diesem Raum überhaupt herrschen?

    Brok: Ich wundere mich, dass niemand über die Saudis und die Kataris beispielsweise redet. Und wir müssen sehen, dass die Arabische Liga ja ihren Sitz in Kairo hat, dort ist das Hauptquartier. Darüber ist seit 14 Tagen nicht geredet worden, was die machen. Warum zieht man die nicht stärker in die Verantwortung mit hinein, um auf diese Art und Weise auch von der Seite einen Einfluss zu haben. Der Westen soll das machen – wie soll der Westen das alleine machen und eine friedliche Lösung erzwingen? Dies muss, glaube ich, eine breitere Lösung sein, um dieses hinzubekommen.

    Zurheide: Jetzt haben Sie mehrfach gesagt, in der Tat, und das ist die Beobachtung, der Hass im Land scheint zu wachsen: Auf der einen Seite die Muslimbruderschaft, auf der anderen Seite auch liberalere Kräfte, so liest, so hört man das, werden ständig radikaler. Wie kann man das aufbrechen?

    Brok: Indem versucht wird, auch auf Teile der Muslimbruderschaft auch einen Druck auszuüben, um Gesprächsbereitschaft hinzubekommen. Ich meine, dass in der Tat auch Mursi hier eine Rolle spielen könnte zur Versöhnung, wenn er denn so ist, wie ihn manche darstellen. Dass er völlig schweigend ist, ist ein Problem. Hier sollte man vielleicht auch vonseiten des Militärs, was seine Situation angeht, Bereitschaft zeigen, dass man jetzt nicht einen Prozess durchführen will oder ähnliche Fragen, um ihn zu einer Gesprächsbereitschaft zu bekommen, und da auch mäßigend tätig zu sein. Und wir müssen sehen, welche Wirkung das beispielsweise auf Christen hat, das wird bei uns vergessen, 20 Prozent der Bevölkerung, 15 Millionen Menschen sind Christen, koptische Christen, die gegenwärtig verfolgt werden. 16 oder 20 ihrer Kirchen sind inzwischen sind inzwischen angesteckt worden. Was das beispielsweise an Flüchtlingsnotwellen, die auf Europa zurollen würden, wenn jetzt systematisch von der Muslimbruderschaft Jagd auf die Christen gemacht würde, all dieses muss dabei gesehen werden, und natürlich auch die Sicherheitsfrage auf dem Sinai.

    Zurheide: Das war noch mal ein Appell an Dialog in Ägypten von Elmar Brok. Herr Brok, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Brok: Danke, Herr Zurheide!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.