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Das mobile Museum

Wenn der Weg zum Museum zu weit ist, kommt das Museum zu den Menschen. Das "Centre Pompidou" aus Paris hat die Idee der "Kultur für alle" in die Tat umgesetzt und schickt 14 Werke aus seiner Sammlung - darunter Arbeiten von Picasso und Matisse, Yves Klein und Niki de Saint Phalle, Bruce Nauman und Olafur Eliasson - in die Provinz.

Von Kathrin Hondl | 04.01.2012
    30.000 Besucher sind schon ins mobile Centre Pompidou nach Chaumont gekommen. Das sind mehr Menschen, als das Städtchen im Département Haute-Marne Einwohner hat. Ein Publikumserfolg, der beweise, dass die Pariser unrecht haben mit ihren Vorurteilen über die kulturlose Provinz, meint der Taxifahrer, der mich vom Bahnhof zum Centre Pompidou mobile an den Stadtrand bringt.

    "Wir in der Provinz gelten bei den Parisern immer als Hinterwäldler. Aber auch hier kann man sich für Kunst interessieren. Ich glaube, das hat viele überrascht. Die dachten nicht, dass das so gut funktioniert."

    Bis 15. Januar noch gastiert das Centre Pompidou mobile in Chaumont – im Februar wird es dann im nordfranzösischen Cambrai seine Zelte aufschlagen. Und das ist absolut wörtlich zu verstehen. Der Architekt Patrick Bouchain hat für das mobile Museum eine Zeltkonstruktion aus blauen und orangeroten Planen entworfen.

    "Ausgangsidee war eine Kirmes-Architektur, wie sie die Leute von Märkten oder vom Zirkus her kennen. Das Kunstzirkuszelt besteht aus Einzelteilen, die in jeder Stadt ein bisschen anders aufgebaut werden können. Idealerweise bekommt so jede Stadt ihr eigenes mobiles Museum."

    Chaumont - die erste Station des Pariser Kunstzirkus – ist eine Kleinstadt im ländlichen Nordosten Frankreichs, in der "France profonde". 80 Prozent der Einwohner von Chaumont, so das Ergebnis einer Studie, sind noch nie in einem Museum gewesen. Und der Weg dorthin wäre auch weit: Das nächste Museum ist gut hundert Kilometer entfernt. In anderen ländlichen Regionen ist die Situation ähnlich. Frankreich ist nach wie vor ein zentralistisch organisiertes Land - Paris ist die Hauptstadt, auch des kulturellen Lebens. Alain Seban, Präsident des Centre Pompidou:

    "Jeder zweite Franzose geht nie ins Museum, weil er sich sagt, das ist zu kompliziert. Es ist aber unsere Pflicht, alle Franzosen zu erreichen. Die Sammlung des Centre Pompidou gehört der Nation, also allen Bürgern."

    14 Werke aus der Sammlung hat das Centre Pompidou jetzt in dem Museumszelt auf Tournee geschickt. Keine Ladenhüter aus dem Magazin, sondern relevante Gemälde, Skulpturen und Videoarbeiten des 20. und 21. Jahrhunderts. In einer klug konzipierten Ausstellung zum Thema Farbe sind Arbeiten von Picasso und Matisse, Yves Klein und Niki de Saint Phalle, Bruce Nauman und Olafur Eliasson zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos. Bis 17 Uhr ist das Centre Pompidou mobile an Wochentagen für Schulklassen reserviert – danach und am Wochenende dürfen alle kommen. Und oft sind es dann die Kinder, die ihre Eltern mit ins Museum nehmen.

    "Die Kinder waren schon mit der Schule da","

    erzählt dieser Familienvater,

    ""und jetzt zeigen sie es uns und erklären uns alles. Wir gehen normalerweise nicht ins Museum. Also haben wir keine Vergleichsmöglichkeiten. Aber das ist schon gut gemacht hier. Nicht schlecht."

    Ein älterer Herr – er stellt sich als kaufmännischer Angestellter im Ruhestand vor – ist vor Fernand Légers großformatigem Gemälde "Les grands plongeurs noirs" stehen geblieben.

    "Ich mache Entdeckungen,"

    sagt er.

    "Ich habe noch nie solche Bilder gesehen, ein bisschen abstrakt ist das. Ich mag sonst eher klassische Ölgemälde. Das hier ist sehr modern. Aber interessant zu sehen."

    Das Motto "Kultur für alle", mit dem deutsche Kulturpolitiker wie Hilmar Hofmann in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit provozierten - es scheint im Frankreich von heute aktueller denn je. Und "Kultur für alle" bedeutet in einem zentralistischen Land wie Frankreich eben vor allem "Kultur für alle, die nicht in Paris wohnen". Nach der Eröffnung des Centre Pompidou-Metz 2010 in Lothringen erweist sich das Centre Pompidou jetzt mit seinem mobilen Museum noch einmal als Vorreiter beim Marsch der Pariser Kulturinstitutionen in die Provinz. Andere folgen: Ende des Jahres eröffnet im nordfranzösischen Lens ein Ableger des Louvre.