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Das neutrale Österreich

"Der dritte Mann" - so heißt ein Filmklassiker aus dem Jahr 1949. Er spielt in Wien, mit Verfolgungsjagden im unterirdischen Kanalsystem. Wien war damals wie Berlin in Sektoren aufgeteilt, Österreich besetzt. Erst 1955 zogen die Besatzungsmächte ab, das Land wurde neutral, das war mit Moskau so ausgehandelt worden. Das Gesetz, das die "immerwährende Neutralität" festlegte, wurde heute vor 50 Jahren, am 26. Oktober 1955, im österreichischen Nationalrat beschlossen.

Von Georg Gruber | 26.10.2005
    "Es ist alles andere als feierlich an dem kalten Herbsttag. Es sind ein paar 100 Leute hier, man feiert Abschied von Gästen, die man sehr lang im Land gehabt hat, "

    September 1955, die letzten sowjetischen Soldaten verlassen Österreich.

    Am 25. Oktober sind auch die letzten Soldaten der übrigen Besatzungsmächte USA, Frankreich und Großbritannien abgezogen. Einen Tag später, am 26. Oktober 1955, beschloss der Österreichische Nationalrat das Gesetz über die "immerwährende Neutralität". Die Neutralität wurde über die Jahre zu dem identitätsstiftenden Merkmal der österreichischen Nation, obwohl Neutralität ursprünglich nur Mittel zum Zweck war: um endlich, 10 Jahre nach Kriegsende, auch ein Ende der Besatzung und die volle Souveränität zu erlangen - die man schon 1938 verloren hatte, mit dem "Anschluss ans Reich."
    Grundlage der Österreich-Politik der Alliierten war die Moskauer Deklaration von 1943, auf die sich auch österreichische Politiker immer wieder beriefen.

    "Die Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika kamen darin überein, dass Österreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, von der deutschen Herrschaft befreit werden muss."

    Österreich solle als freier und unabhängiger Staat wieder hergestellt werden - doch das zog sich hin.

    1945, nach Kriegsende, wurde das Land in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Verhandlungen über ein Ende der Besatzung kamen über Jahre nicht voran, erschwert durch den aufkommenden kalten Krieg. Ein neutrales Österreich schien die Lösung, besonders nach dem Tod Stalins 1953 verstärkten österreichische Politiker ihre Bemühungen in diese Richtung. Moskau wollte allerdings lange die deutsche und die österreichische Frage verbinden. Auch die amerikanische Regierung war anfangs skeptisch: Ein neutraler Puffer in Europa, bestehend aus der Schweiz und Österreich, würde die Nato-Verbände in Italien von denen in Westdeutschland trennen. Und: Einem neutralen Österreich sollte nicht Modellfunktion für Deutschland zukommen.

    Im April 1955 kam der Durchbruch: Eine österreichische Regierungsdelegation reiste nach Moskau. Bruno Kreisky, in den 70er Jahren Bundeskanzler, war als Staatssekretär mit dabei. Chruschtschow habe damals eine neue Außenpolitik einleiten und ein Zeichen des guten Willens setzen wollen:

    "Unser Verdienst dabei war, dass wir die Situation rasch erfasst haben, und sie maximal für unsere nationalen Ziele ausgenutzt haben."

    In einem Memorandum wurde festgelegt, dass Österreich nach Schweizer Vorbild neutral werden und so seine volle Souveränität erreichen könne. Eine Formel, der auch die USA zustimmen konnten. Am 15. Mai 1955 wurde in Wien der Staatsvertrag unterschrieben, von den Außenministern der vier Besatzungsmächte und dem österreichischen Außenminister Leopold Figl.

    "Mit dem Dank an den Allmächtigen haben wir den Vertrag unterzeichnet, mit Freude kündigen wir heute: Österreich ist frei!"

    Von Neutralität steht nichts in dem Vertrag, die beschloss der österreichische Nationalrat am 26. Oktober, mit großer Mehrheit. Julius Raab, der Bundeskanzler, unterstrich in einer Rede den militärischen Charakter der Neutralität:

    "Die geistige und politische Freiheit des einzelnen, (…) wird durch die dauernde Neutralität eines Staates nicht berührt. Damit ist auch keine Verpflichtung zur ideologischen Neutralität begründet."

    Österreich blieb bündnisfrei und ohne fremde Militärstützpunkte. Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes wird die Neutralitätsverpflichtung vor allem von konservativen Politikern immer wieder in Frage gestellt, etwa von Bundespräsident Thomas Klestil 1994:

    "Österreich liegt am Rande einer großen europäischen Erdbebenzone. Wir haben deshalb ein besonderes Interesse an gemeinsamen Europäischen Verteidigungsstrukturen. Jedes Mehr an Gemeinsamkeit ist für uns auch ein Mehr an Sicherheit."

    In Umfragen spricht sich allerdings regelmäßig eine große Mehrheit der Bevölkerung für die Beibehaltung der Neutralität aus, auch wenn sie, wie Kritiker sagen, durch EU-Beitritt und UN-Friedenseinsätze schon längst ausgehöhlt ist.