Mittwoch, 24. April 2024

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Das Phänomen „Avicii"
Wie Millennials um ihre Popstars 2018 trauern

Auf Platz zwei der Google-Trends im Jahr 2018 steht der Suchbegriff „Avicii“. Der schwedische DJ ist im April gestorben. Online diskutierten daraufhin Fans über die psychische Gesundheit von Stars. Was erzählt Aviciis Tod über Fankultur im Jahr 2018?

Christoph Möller im Gespräch mit Adalbert Siniawski | 19.12.2018
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    Der im April 2018 verstorbene DJ Avicii beim Festival Electrobeach 2017 (MICHEL CLEMENTZ / DPA)
    Adalbert Siniawski: Platz eins der Google-Trends im Jahr 2018 ist der Suchbegriff "World Cup", Platz zwei, direkt dahinter: "Avicii". Der schwedische DJ und Produzent hat sich am 20. April mit 28 Jahren selbst getötet, er war einer der erfolgreichsten DJs der so genannten Electronic Dance Music, kurz EDM.
    "Wake Me Up"war das erfolgreichste Stück von Tim Bergling alias Avicii aus dem Jahr 2013. Es war auch das Stück, das auf der Musikerkennungs-App Shazam bislang am meisten gesucht wurde. Aviciis Stücke wurden auf Streamingdiensten milliardenfach angehört. Dem Feuilleton war sein Tod trotzdem nur Randmeldungen wert. Wie kann es sein, dass ein derart populärer Künstler von der Popkritik so wenig beachtet wird? Was sagt sein Tod über Fankultur im Jahr 2018 aus? Darüber möchte ich sprechen mit Musikkritiker Christoph Möller. "Avicii" auf Platz Zwei der Google-Trends 2018, hat Sie das gewundert?
    Internationalisierte, globale Fan-Szene
    Christoph Möller: Ja, das hat mich schon sehr gewundert. Man könnte ja denken, das Donald Trump oder Brexit auf den vorderen Plätzen landen bei den Suchanfragen, aber nein. "Avicii" auf Platz zwei. Das zeigt, dass wir es hier mit einer internationalisierten, globalen Fan-Szene zu tun haben, die in den traditionellen Massenmedien vielleicht nicht mehr die Information findet, die sie braucht. Und die googelt dann eben einfach.
    Siniawski: Eine mögliche Erklärung. Aviciis Musik klingt erstmal sehr nach bombastischem Stadion-Elektro-Pop. Was war das Besondere daran?
    Möller: Das Besondere an ihm ist, dass er Stellvertreter einer Generation war, die ganz normal online aufwächst. Und Stellvertreter einer Generation elektronischer Musikproduzenten, die groß geworden ist in Online-Foren. Er hat noch während seiner Schulzeit Songs online ausgetauscht. Und ist dann Prototyp eines neuen Pop-Typus geworden, den es bisland gar nicht gab - der Mainstream-DJ, eng verknüpft mit EDM. Der DJ war plötzlich ein Superstar. Sein Sound war global, hybrid. Man kannn gar nicht sagen, welches Genre das ist. Eine wilde Mischung aus Dance, Country, Pop, die aber sehr viele Leute auf der ganzen Welt angesprochen hat. So ist Avicii, dieser zerbrechliche, introvertierte Schwede sehr schnell erfolreich geworden. Er hat über 800 Konzerte gespielt, drei bis vier pro Woche. Er litt unter einer Angststörung, hatte Drogen- und Alkoholprobleme. Er hat immer gehadert mit seiner Rolle als Star, ist dann seit 2016 auch nicht mehr aufgetreten. Und hat dann eben im April Selbstmord begangen.
    Siniawski: Die Trauer um den Tod von Avicii im Netz war groß, sonst wäre er wohl nicht auf Platz zwei der Google-Trends. Man hat den Eindruck, dass es online Jugendkulturen gibt, von denen die breite Öffentlichkeit gar nichts mitbekommt. Wie sehen Sie das?
    Fankultur im Netz entwickelt andere Intensitäten
    Möller: Ja, ich sehe das auch so. Für mich wirkte 2018 im Pop, als würden die Jugendkulturen im Netz sich noch rasanter von älteren Fans wegbewegen als bislang. Man sieht das an Avicii, man sieht das aber auch an so einer südkoreanischen Boygroup wie BTS. Die erfolgreichste Boygroup der Gegenwart, die aber viele, die über 18 jahre alt sind gar nicht kennnen. Für mich ist das so ein bisschen der "The-1975-Effekt", die junge britische Band, die jetzt auf den Online-Bestenlisten ganz weit oben ist. Vor allem der Song "Love It if We Made It" - das ist für junge Pop-Fans der Soundtrack der politischen Katastrophen des Jahres. Für die Älteren oberflächliche Plastik-Musik. Die wird von denen nicht so richtig wahrgenommen, auch nicht von der Popkritik. Weil das eben nicht als qualitative Musik wahrgenommen wird. Aber ich finde das schon so ein bisschen fatal, das zu ignorieren. Denn diese Musiker und Musikerinnen prägen nunmal die Gegenwart und die bedeuten etwas, gerade für junge Fans.
    Siniawski: Aretha Franklin ist dieses Jahr gestorben. Da gab es die große Zeremonie, viele Nachrufe. Aber ihr Name ist nicht unter den meistgesuchten Begriffen. Wird online anders getrauert und wie erklären Sie sich das?
    Möller: Zumindest mit anderen Intensitäten und Geschwindigkeiten. Aretha Franklin taucht nicht auf, weil das eine ganz andere Generation ist. Wobei Aretha Franklin eine andere Generation ist, großes Oeuvre, älter, etablierter und diese jungen Fans, die Online-Kultur nicht unbedingt anspricht. Aber, ja: Der Tod junger Popstars löst neue Dynamiken aus. Man hat einerseits so ein boulvardeske Element. Das geht schon in Richtung Verschwörungstheorien, warum ist jemand gestorben. Wer ist dafür verantwortlich. Aber andererseits hat man im Internet diesen großen internationalen Kummerkasten. Wir müssen uns daran gewöhnen, und das zeigt auch die massive Reaktion auf den Tod von Avicii: dass Popstars mehr und mehr Produkte einer Popkultur im Netz sind, dass sie dort groß werden, dass ihr Leben und ihr Tod viele berührt. Und ich finde, man muss die kulturellen Praktiken im Netz deutlich ernster nehmen.