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Das Potenzial von reifen Azubis

Ältere Auszubildende sind in Deutschland Exoten: Nur 11 von 10.000 Azubis sind 40 Jahre oder älter. Obwohl sie in puncto Erfahrung klar im Vorteil sind, haben wenige Firmen das Potenzial über 50-Jährige bereits erkannt. Anders die ING DiBa in Frankfurt, die seit sechs Jahren Seniorenazubis einstellt.

Von Andrea Lueg | 04.04.2013
    "Wir haben, muss man schon sagen erstaunlicherweise, vor einigen Jahren festgestellt, dass wir eigentlich zu viele Junge in der Belegschaft haben. Der Grund dafür war, dass wir enorm viele neue Mitarbeiter eingestellt haben in relativ kurzer Zeit mit einem rapiden Wachstum. Und wenn alle gleichzeitig jung sind, sind irgendwann alle gleichzeitig alt, man hat keine vernünftige Mischung."

    Matthias Robke, Personalchef bei der ING DiBa, wollte zweierlei, als vor gut sechs Jahren das Programm für Azubis über 50 startete: die Altersstruktur in der Belegschaft verändern und etwas Ungewöhnliches tun. Das ist immer gut für das Image einer Bank. Acht bis zehn ältere Azubis werden seither zu Bankassistenten oder Servicekräften für Dialogmarketing ausgebildet. Die Lehrzeit ist verkürzt auf zwei Jahre, dafür das Gehalt ein bisschen höher als normal. Schließlich müssen die meisten Älteren auch eine Familie ernähren.

    "Am Anfang haben wir sehr eng kooperiert mit dem Arbeitsamt, und irgendwann sind die guten Nachwuchsazubis ausgegangen, und wir schalten inzwischen ganz klassisch Anzeigen auf dem Arbeitsmarkt und suchen die älteren Azubis genauso, wie wir jüngere auch suchen."

    Eine von ihnen ist Sabine Keller, 51 und Mutter von vier inzwischen erwachsenen Kindern:

    "Ich hab ursprünglich mal Kunstgeschichte studiert, hatte dann 'ne ganz lange Familienzeit, hab ganz andere Dinge gemacht und hab mich dann hier einfach mal beworben, und bin jetzt ganz gespannt dabei, diese Ausbildung zu machen."

    Mit ihrem Lebenslauf ist Sabine Keller typisch für die älteren Azubis:

    "Wir sehen auch viele, die aus - in Anführungsstrichen - gebrochenen Lebensläufen kommen, 'ne Scheidung hinter sich haben, bei Firmen gearbeitet haben, die pleite gegangen sind und und und, das gibt es kaum noch: glatte Lebensläufe, die Erwerbsbiografien haben sich verändert. Und das Wichtigste ist uns letztlich, Leute zu finden, die zu uns passen."

    Die acht Seniorazubis lernen nicht mit den jüngeren Lehrlingen zusammen. Neben der praktischen Ausbildung in der Bank gehen sie einmal pro Woche bei einem Ausbildungsträger quasi in die Berufsschule. Diese besondere Form der Ausbildung mit der IHK abzustimmen, erzählt Personalleiter Robke, war nicht so einfach. Aber immerhin ist der Abschluss nun von der Kammer anerkannt. Die Ausbildung 50+ ist für ihn ein voller Erfolg.

    "Und was uns sehr freut, ist, das die Kunden – unsere Kunden sind durchaus nicht so jung, wie viele glauben – dass die Kunden ein sehr positives Feedback geben."

    Wenn es um Vertrauen und Erfahrung geht, dann sind die Älteren durchaus im Vorteil gegenüber jüngeren Arbeitskollegen. Sabine Keller zum Beispiel kann sich in die Situation von Immobilienkäufern gut hineinversetzen:

    "Wir haben selber ein Haus gehabt, und ich hab das halt alles gemacht mit der Immobilienfinanzierung, fand's spannend, wie das Ganze so abläuft, und fand eben auch spannend den Kontakt mit dem Kunden auf der anderen Seite mal zu haben."

    Natürlich, erzählt Personalleiter Robke, hat sich in den letzten Jahren auch bei dem einen oder anderen mal herausgestellt, dass die Ausbildung nicht das richtige war. Zum Beispiel, wenn jemand Mühe hatte, sich in die nötige Software einzuarbeiten oder sich an die neue Lernsituation zu gewöhnen. Die allermeisten aber arbeiten inzwischen fest bei der Bank.

    "Das Wichtigste finde ich fast, die Älteren wissen, dass das eine wichtige Chance für sie ist, und kaum einer von denen nimmt das nicht richtig ernst, die strengen sich enorm an und sind dann auch erfolgreich."

    Gute Gründe also für ältere Azubis, allerdings steht die Bank mit ihrem Programm in Deutschland fast allein auf weiter Flur. Einzig eine Bäckereikette in Süddeutschland setzt auf ein ähnliches Modell. Bei der Frankfurter Bank werden auf jeden Fall auch in den kommenden Jahren Seniorenazubis ausgebildet, und Personalleiter Robke will weiter neue Azubi-Potenziale auftun: bei behinderten Jugendlichen zum Beispiel. Dass auch andere Arbeitgeber die 50Plusser entdecken, davon ist er überzeugt.

    "Ja, wir warten noch auf den großen Nachahmereffekt, es sind etwas höhere Kosten, muss man wissen, man muss sich mehr Mühe geben, die richtigen Azubis auch wirklich zu finden, aber unser Eindruck ist: Der Return ist sehr hoch. Aber eigentlich kommt keiner beim Thema Ausbildung erst mal darauf, dass es ja völlig egal ist, wie alt ich bin."