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"Das Programm war zu kalt"

Angesichts der heutigen Beratungen der CDU-Spitze über das Wahlergebnis bei der Bundestagswahl vor zweieinhalb Monaten hat der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, davor gewarnt, die Diskussion dürfe nicht zur Beschädigung einzelner Politiker der Union führen. Er bezeichnete das Wahlprogramm als "zu kalt". Es sei damit nicht gelungen, Optimismus zu verbreiten.

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: Mittagessen, Kaffee und Sandkuchen, das ist der Begleitrahmen innerhalb dessen sich heute der CDU-Bundesvorstand in Berlin trifft. Den Damen und Herren geht es dabei nur um ein Thema, aber da hat es in sich: Zweieinhalb Monate nach der Bundestagswahl will die CDU-Spitze diskutieren, was im Wahlkampf falsch gelaufen ist und wie es zu dem insgesamt enttäuschenden Wahlergebnis kam. Bereits am Wochenende waren die Zeitungen voll, viele Mitglieder des Bundesvorstandes hielten schon vor dem Treffen mit Kritik nicht hinter dem Berg. Am Telefon ist nun Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, guten Morgen.

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen Frau Simon.

    Simon: Herr Böhmer, hat sich da bei Ihnen und Ihren Kollegen etwas aufgestaut?

    Böhmer: Nein, bei mir wenigstens nicht und ich will auch ganz deutlich sagen: Selbst verständlich ist es notwendig, dass wir nicht nur über Erfolge, sondern auch über suboptimale Ergebnisse miteinander reden und gemeinsam darüber nachdenken, was man auch zukünftig besser machen könnte. Aber ich sage auch, wer sich vor dem 18. September nicht gemeldet hat, mit dem einen oder anderen Vorschlag, der sollte jetzt nicht so tun, als ob er von vornherein alles besser gewusst hätte.

    Simon: Münzen Sie das auf einige Ihrer Parteifreunde?

    Böhmer: Ich sage das sehr allgemein. Das kann dann jeder sich selber ausdenken.

    Simon: Was erhoffen Sie sich denn im besten Fall von dem Treffen heute?

    Böhmer: Ich erhoffe mir, dass wir gemeinsam und sehr freundschaftlich darüber nachdenken, was man hätte vielleicht anders machen können, und was wir zukünftig anders machen wollen. Denn die Vergangenheit ist die eine Seite des Problems - Wahlen wird es immer wieder geben - wir jetzt zum Beispiel in Sachsen-Anhalt haben schon im nächsten Frühjahr eine Landtagswahl und da ist es doch angebracht, darüber nachzudenken, ob man beim nächsten Mal das eine oder andere vielleicht etwas besser machen kann.

    Simon: Ihr Kollege Roland Koch aus Hessen hat gesagt, "Das Programm war richtig, aber wie wir es vermittelt haben, da war einiges nicht richtig dran". Ist das ein Ansatz, den Sie mit unterschreiben können?

    Böhmer: Dies habe ich bereits im August gesagt, damals bin ich nicht unbedingt dafür gelobt worden, aber ich habe gesagt und stehe dazu, dass unser Programm richtig war, dass es uns aber nicht gelungen ist, mit diesem Programm Optimismus und Hoffnungen zu verbreiten. Und darüber müssen wir reden.

    Simon: Was sagen Sie denn Ihren Kollegen, die sagen, das Programm insgesamt war viel zu kalt und überhaupt nicht sozial?

    Böhmer: Das Programm war zu kalt, weil es zu wenig Emotionen angesprochen hat. Sozial ist es sehr wohl. Und die Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben, mit dem Ziel, dass neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen sollen - das ist ja der eigentliche soziale Grundgedanke - aber ich gebe auch zu, es ist uns nicht gelungen zwischen den einzelnen ökonomischen Parametern, die wir diskutiert haben und der eigentlich Hoffnung machenden Zielvorstellung, einen glaubhaften Zusammenhang herzustellen. Darüber werden wir reden müssen.

    Simon: Können Sie sich das im Nachhinein erklären, wie das kommen konnte? Da saß doch eine Menge politischer Sachverstand zusammen und trotzdem hat es nicht hingehauen.

    Böhmer: Ja, politischer Sachverstand ist das eine, Wahlkampf ist aber eine gehörige Portion Psychologie und das muss zusammen kommen, wenn man erfolgreich sein will. Und deswegen ist das schon ein Grund, darüber nachzudenken und zu sprechen. Und allein die Tatsache, dass nach der Berufung von Herr Kirchhoff - das weiß ja nun jeder - nicht mehr über das Wahlprogramm der CDU gesprochen wurde, sondern über eine völlig andere Vorstellung, die Professor Kirchhoff in einem anderen Zusammenhang einmal veröffentlicht hatte, das waren Probleme, die wir so nicht eingeschätzt hatten, und die uns auch so nicht wieder passieren dürfen.

    Simon: Gehen Sie davon aus, dass die Bundesvorsitzende und jetzige Kanzlerin Angela Merkel das in einer kommenden Situation anders machen würde, als sie es im Wahlkampf gemacht hat?

    Böhmer: Ich gehe davon aus, dass wir alle lernfähig sind und dass es gut ist, über solche Sachen zu sprechen, damit wir alle gemeinsam Konsequenzen daraus ziehen können.

    Simon: Jetzt hat es an diesem Wochenende schon einiges an Kritik gegeben und nicht alles nur sachbezogen. Wie groß ist die Gefahr, dass doch etwas in Richtung Demontage von Frau Merkel gehen wird heute?

    Böhmer: Also ich kann mir nicht vorstellen, dass dies jemand versuchen möchte und wenn er es wirklich tun sollte, dann wird er daran gehindert werden. Es ist jetzt nicht die Zeit, wo wir uns gegenseitig das Leben schwer machen, sondern es geht nur darum, aus gemeinsamen Erfahrungen auch gemeinsame Lehren zu ziehen.

    Simon: Wo nehmen Sie denn die Hoffnung her, dass auch der Rest des Vorstandes diese neue Geschlossenheit unterstützen wird?

    Böhmer: Also, da bin ich relativ gelassen, denn es kann ja keinen Sinn machen, jetzt zum Gaudium der Öffentlichkeit uns selbst zu zerfleischen. Das will auch ernsthaft niemand. Ich habe nur den Eindruck, weil diese Fragen von Ihnen und von vielen anderen immer wieder gestellt werden, dass es nahezu eine große Erwartungshaltung gibt, dass wir uns irgendwie gegenseitig beschädigen könnten. Und das werden wir nicht tun.

    Simon: Noch einmal im Rückblick auf den Wahlkampf, würden Sie sagen, dass das ein Wahlkampf war, der sowohl in Ost, als auch in West nicht richtig gegriffen hat, oder gab es da Unterschiede?

    Böhmer: Ich bin natürlich auch nicht in der Lage, die unterschiedlichen Rezeptionen und Befindlichkeiten in den einzelnen Regionen Deutschlands gleichermaßen zu überblicken, aber in den neuen Bundesländern hat es diesbezüglich die genannten Defizite gegeben und ich nehme für mich in Anspruch, schon Anfang August darauf hingewiesen zu haben.
    Simon: Herr Böhmer, die Aufarbeitung, mal ganz praktisch, wie soll die aussehen? Gibt es Papiere, soll es Papiere geben, Entschließungen oder eine Entschuldigung der Wahlkampfleitung? Was muss man sich vorstellen?

    Böhmer: Alles das was Sie genannt haben halte ich nicht für notwendig, sondern wir sollten uns zusammensetzen, sollten unsere Eindrücke, unsere Erfahrungen austauschen und sagen: das und das hat sich nicht wie gewünscht bewährt, das werden wir in Zukunft anders machen. Das reicht! Mehr ist auch nicht notwendig.

    Simon: Das war Wolfgang Böhmer, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Herr Böhmer, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Böhmer: Bitte schön.