Freitag, 19. April 2024

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Diversität im Kulturbetrieb
Das Publikum von morgen

Die Diversität der Gesellschaft findet sich nicht im Kulturbetrieb wieder. Kultureinrichtungen müssten mehr Mut haben und anders kommunizieren, um auch für kommende Generationen relevant zu bleiben, sagte Inez Boogaarts von der Zukunftsakademie im Dlf. "Das sind die Steuerzahler von morgen."

Inez Boogaarts im Gespräch mit Karin Fischer | 14.07.2019
 Szene aus einer Aufführung des "Good Chance Theatre"
Kulturmanagerin Boogaarts fordert mehr Diversität, nicht nur auf der Theaterbühne (Kathrin Hondl / Deutschlandradio)
Die ZAK in Bochum nennt sich selbst "das Zentrum für Diversität in Kunst, Kultur und kultureller Bildung in NRW". Es unterstützt Kulturinstitutionen dabei, sich für mehr Diversität und Teilhabe zu öffnen. Am Anfang stehen Fragen, so die Kulturmanagerin Inez Boogaarts: "Wie sieht mein Publikum in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren aus? Und wie bereite ich mich darauf vor, dass es auch für die nächsten Generationen wichtig bleibt, interessant bleibt, relevant bleibt?"
Den Begriff Integration verwendet die Geschäftsführerin des ZAK NRW nicht so gerne, es gehe schließlich um Leute, die schon längst hier wohnen und angekommen sind, um die dritte, vierte, fünfte Generation von Migrantenkindern. Es gehe also um die Mehrheit einer Minderheit. "Für mich persönlich und die ZAK ist Diversität einfach eine Tatsache. Man kann ja auch das Wetter nicht ändern. Es ist eine Tatsache, die Gesellschaft hat sich geändert und man muss damit klarkommen."
Anderes Publikum, andere Ansprache
Die Kultur spielt dabei eine wichtige Rolle, weil sie eine gesellschaftliche Aufgabe hat. Museen, Theater, Musikensembles seien Teil dieser geänderten Gesellschaft. Im Gespräch mit Kultureinrichtungen schärft die ZAK NRW in Bochum den Blick: Welches Publikum möchte ich erreichen? Ist mein Programm für dieses Publikum interessant? Kann ich ein neues Publikum bereits abholen oder brauche ich die Hilfe von Intermediären?
Am leichtesten, so Boogarts, seien diese ersten Schritte in der Pressearbeit und im Kommunikationsbereich umzusetzen, da habe sich in den letzten Jahren auch viel verändert. Die Berliner Komische Oper beschäftigt eine Person, die sich ständig um unterschiedliche Gruppen von Publika bemüht. Fragen stellen sei ein wichtiges Mittel, aufrechtes Interesse eine notwendige Voraussetzung, um herauszufinden, wie diese anderen Publika angesprochen werden können und auch möchten.
Ein Portrait von Inez Boogaarts.
Kulturmanagerin Boogaarts: Nachdenken über eine Quote (Tina Umlauf, Zukunftsakademie NRW)
Angesichts von kiloschweren Spielzeit-Broschüren bei Theater und Opern stelle sich zum Beispiel die Frage: "Wer liest das noch?" Stammpublikum sei nach wie vor wichtig, aber wenn Theater ein anderes Publikum erreichen möchten, müssten sie auch anders kommunizieren, etwa über Flyer oder Instagram.
Es braucht Mut für Experimente - und vielleicht eine Quote
ZAK NRW arbeitet mit einer Vielzahl von Kultureinrichtungen zusammen. Kooperationen wurden gestartet beispielsweise mit dem Theater und dem Stadtarchiv Oberhausen, dem Schauspiel Köln, dem Ringlokschuppen oder dem Jungen Schauspiel Düsseldorf. Dabei mangelt es nicht an Wissen, sondern an Praxis und der Umsetzung:
"Das sind langsame, zähe Prozesse. Das geht nicht von heute auf morgen. Man muss auch Mut haben zu experimentieren oder Fehler zu machen. Das ist für viele Kultureinrichtungen nicht einfach. Aber wenn wir uns auf diese Prozesse nicht einlassen, wenn wir nicht experimentieren oder es auch ab und zu ein bisschen verscherzen mit unserem Stammpublikum, dann kommen wir auch nicht weiter."
Kritik gab es zum Beispiel am Schauspiel Bochum, das mit Intendant Johan Simons beim Programm und beim Personal schon mehr Diversität wagt. Das müsse man aushalten, so Inez Boogaarts, von Seiten der Intendanz, der Kulturpolitik und auch des Publikums. Boogaarts Empfehlung: "Ausprobieren. Fragen. Reden. Zulassen."
Die Einrichtungen brauchen deshalb auch die Rückendeckung der Kulturpolitik auf kommunaler und Landesebene. Die Kulturpolitik müsse fördern, aber auch fordern. Nach vielen Jahren Einübung in die Praxis kleiner Schritte meint Boogaarts nachdenklich: "Vielleicht brauchen wir wirklich auch eine Quote."