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Das Publikum will getäuscht werden

Gaukler und Taschenspieler gehörten schon in der Antike zu Volksfesten und sonstigen Vergnügungen. Denn verblüffende Effekte, das plötzliche Verschwinden von Dingen, schwebende Damen und spektakuläre Kartenvorhersagen faszinierten immer das Publikum. So ist es bis heute geblieben. In Hamburg feiert der magische Zirkel, die erste deutsche Vereinigung von Zauberkünstlern, mit einer großen Gala am 5. und 6. Mai ihr 100-jähriges Jubiläum. Und im Altonaer Museum gibt es zu diesem Anlass eine Ausstellung: "Verzaubert! Von geheimen Wissenschaften und magischen Spektakeln".

Von Ursula Storost | 19.04.2012
    Wenn berühmte Zauberer wie Alois Kassner auf großer Bühne ein Dutzend Personen gleichzeitig verschwinden ließen oder Helmut Schreiber alias Kalamag seine Assistentin Gloria bis hoch unter die Decke schweben ließ, dann war das spektakuläre Zauberkunst. So etwas gibt es natürlich auch heute noch. Zum Beispiel bei der Hundertjahrfeier des Magischen Zirkels Hamburg.

    "Das sind verschiedene Sparten, die da vertreten sind. Zum Beispiel Mentalmagie, also Gedankenlesen, Hellsehen. Oder große Illusion, das ist dann durchbohren, verschwinden, erscheinen lassen von Personen. Es gibt die hohe Kunst der Manipulation. Also mit kleinen Gegenständen, mit Bällen oder Karten zu manipulieren. Sie aus dem Nichts erscheinen und wieder verschwinden zu lassen. Und es ist dabei die deutsche Meisterin der Zauberkunst, Alana, in der Sparte allgemeine Magie mit Musik."

    Zaubermeister Thomas Gundlach ist Vorsitzender des Magischen Zirkels Hamburg. Der Professor für Kriminalistik an der Hochschule der Polizei zaubert seit Jahrzehnten vor Publikum:

    "Wer sehr kritisch ist, sind zum Beispiel Kinder. Die sind sehr aufmerksam. Da muss man sehr genau und akribisch arbeiten als Zauberer sonst kommen die Kinder einem schnell auf die Schliche. Erwachsene, insbesondere Naturwissenschaftler und Juristen lassen sich am leichtesten täuschen, weil sie einfach um zu viele Ecken denken. Und wir Zauberkünstler leben natürlich vom Trickgeheimnis. Und das Ganze hat einfach mit Geschicklichkeit und mit Wahrnehmungstäuschung zu tun."

    Auch wenn vieles technisch noch genauso funktioniert wie vor Hunderten von Jahren. Die Präsentation der Zauberei verändert sich ständig, weiß Thomas Gundlach:

    "Heute passiert zum Beispiel einiges mit dem iPad. Es wird mit dem iPad gezaubert. Es wird mit Monitoren gezaubert. Es gibt eine Symbiose zwischen dem Händischen, was man selbst mit der Hand vorführt und einem Monitor, wo Gegenstände dann in den Monitor wandern und wieder herausspringen. Das sind natürlich Elemente und Spielereien, die man nur mit moderner Technik vorführen kann."

    Zaubern zu können ist ein alter Traum der Menschheit. Und genauso alt ist die Angst, verzaubert zu werden. Eines der ersten Zauberbücher "The Discoverie of Witchcraft" stammt aus dem Jahr 1584. Geschrieben hat es der englische Landedelmann und Friedensrichter Reginald Scot, um dem wahnhaften Hexenglauben ein Ende zu bereiten.

    Wer ist so dumm und glaubt weiterhin an übernatürliche Kräfte?, fragte Scot und erklärte, wie Zauberkunststücke funktionieren. Dafür ging er bei einem Zauberer in die Lehre, lernte Taschenspieler-, Münz- und Kartentricks, Seilkunststücke und das sogenannte Enthauptungsexperiment des Zauberers Kingsfield von 1582.

    "Und dann hat er das alles dokumentiert in dieser philosophisch theologischen Dissertation und im Grunde genommen nach dem Motto gearbeitet, seht her. Wenn man schon solche scheinbar übernatürlichen Dinge so einfach erklären kann, wie ist es denn dann mit vielen anderen Dingen, die uns als das Werk des Satans oder von Dämonen erscheinen","

    sagt Dr. Peter Rawert, Jurist, Honorarprofessor und passionierter Sammler von Zauberbüchern und Zauberutensilien.

    ""Die Frage ist, was machen eigentlich Zauberer. Zauberer überwinden die Naturgesetze. Sie lassen Dinge erscheinen und wieder verschwinden. Sie zerstören Dinge und stellen sie auf magische Weise wieder her und manchmal überwinden sie sogar die Schwerkraft, indem sie etwas schweben lassen.

    Aber Zauberer sind natürlich keine Hexer. Sie haben keine übernatürlichen Kräfte, sondern Zauberer spielen mit Illusionen. Das, was das Publikum sieht, findet nicht in der Wirklichkeit, sondern ausschließlich in den Köpfen des Publikums statt. Das Publikum weiß letztlich, dass es getäuscht wird. Aber das ist gerade das Faszinierende daran."

    Das Publikum will getäuscht werden und wollte es immer schon, behauptet Peter Rawert. Wer einem Zauberer zusieht, erkennt die Grenzen der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit.

    "Viel verblüffender als einen Elefanten auf der Bühne schweben zu sehen, ist für mich ein Kartenkunststück, dass jemand 20cm vor meinen Augen vorführt. Wenn sich 20cm vor meinen Augen plötzlich ein Kreuz-As in ein Pik-As, in ein Karo-As und ein Herz-As und hinterher in einen Herz-Jungen verwandelt. Das ist richtig faszinierend. Wenn jemand vor meinen Augen eine Spielkarte zerreißt, die zerrissenen Schnipselchen aneinander reibt und sie plötzlich wieder hergestellt ist. Das ist für mich wahre Zauberei."

    Peter Rawert hat zusammen mit der Kunsthistorikerin Dr. Vanessa Hirsch vom Hamburger Altonaer Museum eine Ausstellung zur Kulturgeschichte der Zauberei zusammengestellt.

    "Das Faszinierende ist, dass die Geschichte der Zauberkunst ganz eng verknüpft ist mit der Entdeckung der Naturwissenschaften im 17 und vor allem im 18.Jahrhundert. Aufklärung und Zauberkunst waren Phänomene, die sich parallel zur Blüte entwickelt haben. Es gab bekannte Zauberkünstler wie Giuseppe Pinetti, der im späten 18. Jahrhundert die Gesellschaft mit Experimenten verblüffte und als Professor der Experimentalphysik auftrat und nebenbei es schaffte sein Publikum für diese sich damals neu entwickelten Wissenschaften zu begeistern","

    erzählt Vanessa Hirsch und demonstriert den "Klugen Schwan", eine kleine Holzfigur, die auf einem Spielzeugweiher schwimmt. Das Publikum kann Fragen stellen: nach Jahreszeiten, dem Lauf der Gestirne oder dem Monat der Kirschblüte. Der Schwan steuerte dann auf eine am Ufer befindliche Kapsel mit der richtigen Antwort zu. Absolute Zauberei!

    ""Das weiß natürlich das Publikum nicht, dass der Schwan von einem Magneten in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Weil zu der Zeit um 1800 war der Magnetismus etwas neu Entdecktes, über das noch nicht jeder Bescheid wusste. Und was eben dafür sorgte, dass der Effekt die meisten Leute völlig verblüffte."

    Auch die Elektrizität wirkte in ihren Anfängen wie wahre Zauberei. Der Zauberkünstler stellte Menschen auf's isolierte Podest und schaltete den Strom ein. Und voilá:

    "Dass Haare zu Berge stehen, das ist ungeheuer unterhaltsam, wenn sie nicht damit rechnen, dass so was möglich sein könnte."

    Ebenso zog die Laterna magica, eine Art vorzeitlicher Overheadprojektor die Menschen im 18. Jahrhundert in den Bann. In einem verlassenen Kloster zeigte ein Zauberkünstler namens Robertson, angeblich ein Professor der Physik, seinem Publikum nachts sogenannte Phantasmagorien.

    "Diese Bilder werden auf Rauch projiziert, erscheinen deswegen schwerelos und schweben als Geist über der Zuschauermenge."

    Aber, sagt Vanessa Hirsch, so faszinierend Zauberkunst auch ist, sie ist auch Moden unterworfen. Beispiel: Kunststücke mit Tieren.

    "Im Mittelalter war's zum Beispiel so, dass das Tier, das symbolhaft für die Zauberkunst stand, eben nicht das Kaninchen war, sondern die Kröte. Zum Beispiel wird einem Menschen aus dem Publikum eine Kröte aus dem Mund gezaubert."

    Kröten würden uns heute nicht mehr amüsieren. Genauso wenig wie Froschkönige, die vielleicht sogar an die Wand geworfen und dann doch nicht zu Prinzen werden. Heutzutage schütteln wir über manche frühere Kunststücke mit Tieren sowieso den Kopf, ergänzt Peter Rawert:

    "Es gibt einen berühmten Trick, das ist der sogenannte vanishing birdcage. Da verschwindet ein Vogelkäfig, in dem ein lebender Vogel sitzt. Das Kunststück beruht auf einem raffinierten Klappmechanismus. Der Käfig klappt zusammen und in der ursprünglichsten Form ist der Vogel, der in dem Käfig saß dabei schlicht und einfach zerquetscht worden. So was können sie heute natürlich nicht mehr auf der Bühne vorführen."

    Natürlich verschwinden auf Zauberbühnen nach wie vor noch Gegenstände. Aber kleine Vögel müssen heute nicht mehr sterben, damit das Publikum staunt, resümiert Peter Rawert. Und auch das niedliche weiße Kaninchen aus dem Zauberhut wurde von Tierschützern schon vor Jahrzehnten kritisiert.

    "Trotzdem ist der Trick nicht verschwunden. Der wird dann heute mit künstlichen Kaninchen durchgeführt. Und diese künstlichen Kaninchen, die sind so täuschend echt, dass sie sich bewegen können wie richtige Kaninchen. Man kann diese Kaninchenpuppen so zucken und zappeln lassen, dass im Publikum die Illusion entsteht, da ist ein wirkliches Kaninchen aus dem Hut gezaubert worden."

    Eben alles Illusion!