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"Das Regime versucht ganz offensichtlich, diese Proteste auszusitzen"

Dauerproteste und ein Regime, dass diesem Druck stur standhält: Guido Steinberg ist solch eine Kombination noch nicht begegnet. Der Politologe hält alle Szenarien für möglich - aber von unseriösen Prognosen zur Zukunft des Landes nichts.

11.02.2011
    Jürgen Liminski: Den Forderungen der Demonstranten auf dem Platz der Befreiung hat das Regime nicht nachgegeben. Es bleibt bei Versprechen und kleinen künftigen Zugeständnissen. Die Enttäuschung war groß, heute wird sie sich massenhaft auf dem Platz und auf der Straße breit machen. Aber die Bewegung auf dem Platz ist amorph, sie ist nicht strukturiert, es ist der Protest gegen das Regime, der sie eint.
    Auch US-Präsident Obama hat zu den Vorgängen in Kairo und Ägypten Stellung bezogen. Schon vor dem Rücktritt unterstützte er die Forderungen der Protestierenden indirekt auch nach dem Rücktritt von Mubarak und sagte den Ägyptern auch Unterstützung beim Übergang zur Demokratie zu. Immerhin ist Kairo politisch der wichtigste Verbündete der USA in der arabischen Welt. Der Druck aus Washington auf Mubarak wächst.
    Eine erste Einschätzung nach der Rede gab gestern der Politikwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik hier im Deutschlandfunk. Mein Kollege Jonas Reese fragte ihn zu Beginn, ob es Mubarak gelungen sei, mit seiner Rede wieder Vertrauen in der Bevölkerung zu gewinnen.

    Guido Steinberg: Nein, das wird Herrn Mubarak überhaupt nicht mehr gelingen. Die Bevölkerung hat ganz, ganz deutlich gemacht, dass ihr wichtigstes Anliegen ist, dass Präsident Mubarak zurücktritt, und Vertrauen wird er nicht wieder wiederherstellen können, ganz, ganz sicher nicht.

    Reese: Was erwarten Sie nun? Wie wird es in Ägypten weitergehen? Wird die Lage dort eskalieren?

    Steinberg: Das kann man noch nicht absehen. Das Regime versucht ganz offensichtlich, diese Proteste auszusitzen, und das zeigt ja nun die Erfahrung, dass tatsächlich solche Bewegungen, gerade wenn sie nicht organisiert sind und keine größere Partei oder politische Bewegung an ihrer Spitze steht, große Probleme haben, den Schwung der Anfangstage aufrecht zu erhalten, und es scheint doch so, als ob große Teile dieses alten Polizeistaates, die Geheimdienste, die Polizei, weiterhin intakt sind, und gleichzeitig profitiert Mubarak davon, dass die Amerikaner, die Europäer, aber auch die Nachbarn, Israel, Saudi-Arabien und all die anderen Diktatoren in der Region, alle kein Interesse daran haben, dass sein Regime fällt. Darauf baut er und er hofft darauf, dass vielleicht in einigen Wochen dann ein anderes Thema die Weltpolitik wieder dominiert, die Aufmerksamkeit nachlässt und er dann vielleicht zurückschlagen kann.

    Reese: Was ist da Ihre Einschätzung? Wird dieser Plan aufgehen?

    Steinberg: Das kann man nicht sagen. Wissenschaftler sind keine Propheten und man sollte tatsächlich auch nicht versuchen, sie immer wieder zu Prognosen zu zwingen. Das ist in einer solchen Situation sehr, sehr schwierig. In meiner Erinnerung gibt es keinen ähnlichen Fall für ein Regime, das unter einem solchen Druck stand, einem Druck dieser Art, und dann in dieser Weise reagiert hat. Es sind tatsächlich alle möglichen Szenarien offen. Es gibt immer noch die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs, es gibt die Möglichkeit eines Auseinanderbrechens dieses Regimes, aber man kann das noch nicht absehen und man sollte da auch nicht zu weit gehen in den Prognosen, das ist unseriös.

    Reese: Vor der Rede Mubaraks war die Rede von einem klassischen Militärputsch, weil die Armeeführung sich schon vorher ohne Mubarak getroffen hat. Konnte sich das Militär nun doch nicht durchsetzen?

    Steinberg: Ja das ist die ganz spannende Frage. Es gibt da ja offensichtlich die ersten Brüche im Regime. Man darf nie vergessen, dass es da keine Zweiteilung gibt, der Präsident auf der einen Seite, die Armee auf der anderen Seite. Die Armee herrscht in Ägypten seit 1952, Mubarak ist aus ihr hervorgegangen und ist so eine Art erster unter gleichen, und das hat bisher die Lage auch geprägt. Jetzt aber diese gezielten Gerüchte, dass Mubarak zurücktritt, weisen darauf hin, dass es da doch einigen Druck gibt seitens seiner Kollegen, muss man schon sagen, innerhalb des Militärs, und das wird dann tatsächlich die große Hoffnung für die Demonstranten im Land sein, dass das Regime seine Einigkeit verliert und dann möglicherweise den Weg dann doch ebnet für einen Übergang in eine neue Situation, wie auch immer die aussehen mag.

    Reese: Wer regiert denn jetzt gerade in Ägypten? Ist es das Militär, ist es Mubarak, oder ist es der Vize Suleiman?

    Steinberg: Das sind alles sozusagen drei Seiten derselben Medaille, auch wenn das physisch nicht geht. Mubarak ist Militär, Omar Suleiman ist Militär und das Militär ist ein Teil dieses Regimes. Die herrschen immer noch mit zunehmenden Problemen, möglicherweise auch bei wachsender Uneinigkeit, aber das ist das Regime, was immer noch Ägypten beherrscht, und sie klammern sich mit aller Macht an diese Macht im Land. Unklar ist, wie lange denn die Generäle bereit sind, auch vielleicht Omar Suleiman bereit ist, den alten Präsidenten Mubarak noch mitzutragen. Im Moment scheint es immer noch so, als würden sie befürchten, dass bei einem Machtverlust Mubaraks das gesamte Regime zusammenfällt und dass dann auch sie ihm folgen müssen, und das scheint Mubarak bisher noch zu retten.

    Reese: Für diesen Freitag haben die Regimegegner einen Siegestag und wiederholt oder noch mal einen Marsch der Millionen angekündigt. Wie wird der nun verlaufen Ihrer Meinung nach?

    Steinberg: Auch das kann man nicht absehen. Also ich verweise auf meine Äußerungen zu den Prognosen von vorhin. Es wird sehr, sehr große Demonstrationen geben, die Leute sind wütend, sie sind sehr ungehalten darüber, weil die Erwartung doch sehr groß war, dass man Mubarak vielleicht stürzen kann. Immer noch unklar ist die Reaktion der Armee, es ist unklar, ob es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, da werden wir abwarten müssen, was am Freitag geschieht. Prognosen verbieten sich.

    Liminski: Der Politikwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch gestern Abend mit meinem Kollegen Jonas Reese.

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