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"Das Retten von Leben ist unser oberstes Gebot"

Die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, Sibylle Laurischk, hat sich skeptisch zur sogenannten Babyklappe geäußert. Es müsse stattdessen Ansprechpartner geben, an die sich Frauen vertrauensvoll wenden könnten, sagte die FDP-Politikerin. Heute vor zehn Jahren wurde in Hamburg die erste deutsche Babyklappe eingerichtet.

Sibylle Laurischk im Gespräch mit Bettina Klein | 08.04.2010
    Bettina Klein: Heute vor genau zehn Jahren, am 8. April 2000, lag zum ersten Mal in Deutschland ein Säugling in einer sogenannten Babyklappe. Ein Verein in Hamburg hatte das Wärmebettchen eingerichtet, in das Frauen anonym ihr Neugeborenes legen können. Kein Kind dürfe Schaden nehmen, weil seine Mutter überfordert ist, so die damalige Motivation. Heute gibt es vielerorts solche Einrichtungen, doch unter Politikern und Ethikexperten ist das heftig umstritten. Am Telefon begrüße ich Sibylle Laurischk, FDP-Bundestagsabgeordnete, Vorsitzende des dortigen Ausschusses für Familie, Frauen, Jugend und Senioren. Guten Morgen!

    Sibylle Laurischk: Guten Morgen!

    Klein: Frau Laurischk, wie stehen Sie zu dem Phänomen?

    Laurischk: Ich denke, das Stichwort Babyklappe ist schon vom Begriff her problematisch. Sprache ist ja verräterisch und der Begriff Klappe lässt den Eindruck aufkommen, dass man ein Problem sozusagen entsorgen kann, indem man ein Kind abgibt, indem man die Verantwortung nicht für das Kind übernimmt.

    Klein: Brauchen wir jetzt einen anderen Namen oder brauchen wir eine Veränderung dieser Babyklappen selbst?

    Laurischk: Ich denke, es hat sich in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass die Babyklappen nicht die Lösung sein können. Sie sind sicherlich in einigen Fällen auch für die betroffene Frau eine Möglichkeit, sich Hilfe zu suchen auf einem sehr anonymen Weg, aber ich wünsche mir eigentlich eine Gesellschaft, in der eine Babyklappe gar nicht notwendig ist, in der Frauen in Notlagen dennoch Ansprachemöglichkeit finden, wo sie Beratung finden, wo sie sagen können, ich bin hier in meiner Notlage, in meiner ganz persönlichen Situation angenommen und ich weiß, hier wird für mein Kind gesorgt.

    Klein: Die gewünschte Welt, Frau Laurischk, ist das eine, die Realität das andere und die Befürworter dieser Babyklappen halten dagegen: Die Alternativen sind einfach noch viel schlimmer. Das Kind kommt ohne medizinische Betreuung zur Welt, es wird irgendwo abgelegt, wo es nicht sofort Betreuung bekommt, oder es wird sogar im Affekt oder gar geplant getötet. Was sagen Ihnen diese Argumente, dass sozusagen das Retten von Leben dann immer noch besser ist?

    Laurischk: Das Retten von Leben ist unser oberstes Gebot. Das ist überhaupt keine Frage. Ich habe aber Zweifel, ob die Babyklappen da wirklich die Hilfe bieten, die die Frauen brauchen. Ich bin mir eigentlich sicher, dass diese anonymisierte Situation auch für Frauen eine Drucksituation sein kann, dass sie sozusagen gezwungen werden, Kinder abzugeben. Ich glaube, diese Frage muss man ganz nüchtern analysieren, und es gibt meiner Ansicht nach dort zu wenig Datenmaterial. Wir haben durchaus Beratungsangebote, die müssen aber eben auch klarer dargestellt werden, darauf müssen auch Frauen hingeführt werden schon früh, schon als Mädchen, was heißt es eigentlich, ein Kind zu bekommen. Die Entscheidung zum Kind, es auszutragen, sollte eben letztendlich dann auch die Möglichkeit bieten, das Kind anzunehmen oder aber verantwortlich mit dem Kind umzugehen und nicht nur es abzulegen, wegzulegen. Das ist meiner Ansicht nach eine Entwicklung, die wir nicht befördern sollten.

    Klein: Im Koalitionsvertrag, Frau Laurischk, von Union und FDP steht ja, das Angebot der vertraulichen Geburt und mögliche Rechtsgrundlagen seien zu prüfen. Was genau prüfen Sie? Welche Gesetzesänderungen könnten Sie sich vorstellen oder halten Sie für wünschenswert?

    Laurischk: Ich glaube, dass wir dort bislang eine gewisse Grauzone haben. Wir haben in Deutschland ein sehr ausgefeiltes Personenstandsrecht. Das halte ich auch für richtig und wichtig, damit eben Kinder angemeldet werden und damit ihre Existenz klar ist. Daran sollten wir auch nichts ändern. Aber dass Frauen in einer Notlage vielleicht auch das Angebot bekommen müssen, sie werden jetzt nicht in einen öffentlichen Rahmen gestellt im Rahmen der Anmeldepflicht des Kindes, das muss man prüfen, was da möglich ist. Es ist meiner Ansicht nach immer nur eine Hilfe in einer Notlage und es bietet dann eben auch genau das, was ich gerade sagte, nämlich die Möglichkeit zur Ansprache, zur Klärung der Notsituation, vielleicht dann auch mit etwas Zeit zur Hinführung der Mutter zum Kind, dass sie das Kind doch annehmen kann, dass sie Möglichkeiten sieht, und es bietet natürlich auch die Möglichkeit, medizinische Hilfe so zu geben, wie es jede Frau und jedes Kind in der Geburt braucht.

    Klein: Blicken wir noch mal kurz auf diese Grauzone, die Sie angesprochen haben. In etwa 130 Kliniken und Praxen bundesweit sind sogenannte anonyme Geburten möglich, bei denen die Identität der Mutter offenbleibt, auch wenn das eigentlich rechtswidrig ist, denn das Gesetz verpflichtet ja Geburten dem Standesamt und auch den Namen der Mutter zu melden. Nutzen die Ärzte dort eine Gesetzeslücke oder machen sie sich tatsächlich in Wahrheit strafbar?

    Laurischk: Ich bin der Meinung, dass dort eher eine Gesetzeslücke besteht. Sie machen sich meiner Ansicht nach nicht strafbar, weil sie aus einer ganz bestimmten Zielsetzung heraus handeln, nämlich der ärztlichen Verpflichtung zur Hilfestellung und zur Versorgung. Da muss man Ärzten und auch den Hebammen eine klare Zielsetzung geben, eine klare gesetzliche Vorgabe geben.

    Ich möchte in diesem Zusammenhang übrigens auf eines hinweisen: Der Hebammenberuf ist derzeit sehr unter Druck. Da sind Beratungsebenen, da sind beruflich qualifizierte Menschen, die Angebote machen können, die beraten können, die die Situation einschätzen können, die gesundheitliche Versorgung der Frau, des Kindes kennen, und da brauchen wir eigentlich eine Stärkung des Berufes solcher Hilfestellungsmöglichkeiten, nicht diese Anonymisierung, dieses Weg von der Verantwortung, sondern Hinführen zur Verantwortung. Dazu brauchen wir Menschen, die das können, die davon etwas verstehen und die motiviert in ihrem Beruf stehen. Ich muss einfach mal darauf hinweisen: Der Hebammenberuf wird immer mehr unter Druck gesetzt, geht immer mehr zurück. Gerade solche Frauen wären qualifiziert und hoch kompetent, Angebote zu machen und zu beraten, und diesen Spielraum brauchen sie und dazu brauchen sie eine gesetzliche Grundlage. Da sind wir im Moment auch dran, dass wir eine vernünftige Lösung finden, aber ich bin nicht der Meinung, dass das Stichwort Babyklappe das Wort der Zukunft ist.

    Klein: Sibylle Laurischk, FDP-Bundestagsabgeordnete, Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Frauen, Jugend und Senioren. Ich bedanke mich für das Gespräch, Frau Laurischk.

    Laurischk: Sehr gerne!