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Das Rhythmusspiel „Avicii Invector“
Actionreiches Gedenken

2018 nahm sich Tim Bergling, der unter dem Namen Avicii eine Ikone der Electronic Dance Music war, das Leben. Zum Andenken hat ihm ein Gamestudio jetzt das Rhythmusspiel „Avicii Invector“ gewidmet. Das überzeugt nicht nur durch ein zugängliches Spielkonzept, sondern auch durch intime Momente.

Von Tim Baumann | 14.12.2019
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Der im April 2018 verstorbene DJ Avicii beim Festival Electrobeach 2017 (MICHEL CLEMENTZ / DPA)
Wenn Musiker in Computerspielen auftauchen, dann endet das häufig peinlich: Die älteren Semester erinnern sich vielleicht noch an das legendär schlechte "Blues Brothers" für die Super Nintendo Konsole – oder an "50 Cent-Bulletproof", einen Hip-Hop-Shooter, der eigentlich nur als schlecht programmierte Pubertierendenfantasie beschrieben werden kann.
Dass die Kombination aus Musiker und Computerspiel aber auch gelingen kann, das zeigt "AVICII Invector". In der Produktion des kleinen schwedischen Entwicklerstudios "Hello There Games" steuern die Spieler ein Raumschiff und fliegen durch die Songs des EDM-DJs Tim Bergling alias AVICII.
Quietschbunte Achterbahn
Im Rhythmus der Musik müssen dann – ähnlich wie in Titeln wie "Guitar Hero" oder "Rock Band" – verschiedene Tasten gedrückt werden. Der Schwierigkeitsgrad fällt in "AVICII Invector" aber etwas niedriger aus, denn das Spiel ist recht großzügig, was das genaue Timing betrifft. Dafür müssen sich die Spieler aber auch damit herumschlagen, dass die Strecke, die in anderen Rhythmusspielen flach vor einem liegt, in "AVICII Invector" eher einer quietschbunten Achterbahn gleicht, die an vielen Stellen auch noch um 120 Grad gedreht werden muss.
Die Wälder, Städte und fernen Planeten, durch die der Raumgleiter rast, reagieren dabei sowohl auf die rhythmische Struktur der Songs wie auch auf die Leistung der Spieler – je fehlerfreier die Rhythmen umgesetzt werden, desto strahlender und bunter wird die hübsch gestaltete Umgebung. Nie aber war die Epilepsie-Warnung am Anfang eines Computerspiels so berechtigt wie bei einer fehlerfreien Partie "AVICII Invector".
Dass Musik und Spiel hier so gut miteinander korrespondieren hat unter anderem damit zu tun, dass der gamingaffine Tim Bergling selbst in die Entwicklung des Spiels einbezogen war, das 2017 erstmals unter dem Namen "Invector" erschienen ist - "AVICII Invector" ist also im Grunde eine Neuauflage des älteren Titels.
Dennoch ist das Spiel viel mehr als das: Die 25 Levels führen durch AVICIIs gesamtes musikalisches Werk, von frühen Stücken wie "Levels" über Erfolgstitel wie "Wake me up" bis hin zu drei neu hinzugefügten Songs aus dem nach Berglings Tod veröffentlichten Album "Tim", die bedrückenderweise in einer Welt namens "Oblivion" - also an einem Ort des Vergessens – spielen. Dennoch ist die Musik stets so treibend, hypnotisch und rhythmisch, dass sich die meisten Spieler wohl nicht mit dem Drücken von Tasten begnügen werden, sondern eher eine Art Sitztanz vor dem Monitor vollführen.
Eine intime Atmosphäre
Eine geradezu intime Atmosphäre entsteht im Spiel allerdings durch die Lyrics der Songs. Obwohl diese ja eigentlich zu Tim Berglings Lebzeiten entstanden sind und zum größten Teil nicht einmal von ihm selbst stammen, werfen sie dennoch posthum ein anderes Licht auf den Musiker, der sein Leben lang unter einer Panikstörung litt – und der seine Auftrittsangst mit so großen Mengen Alkohol zu betäuben versuchte, dass ihn die körperlichen Folgen bereits im Jahr 2016 zum Ende seiner Auftrittskarriere zwangen.
Der Kampf Berglings und seiner Familie mit seiner Gesundheit wird in "AVICII Invector" in den Zwischensequenzen angedeutet, die durch das Abschließen von Levels freigeschaltet werden. In comicartigen Standbildern wird die Geschichte einer Raumschiffpilotin erzählt, die sich permanent über die Defekte ihres Raumschiffs beschwert. Was anfangs noch wirkt wie eine enervierend belanglose Rahmenhandlung, wird spätestens in einer Sequenz gegen Ende des Spiels überdeutlich zu einer Parabel auf AVICIIs Kampf mit sich selbst.
"Sorry for screaming so much at you. You just kept getting worse and everytime you broke down I felt so helpless. I miss sitting in the kitchen with you, sharing a chocolate bar like we used to. With almonds. It's just, im so sorry for not being there in the end."
Kombiniert mit der Lebensfreude seiner Musik macht genau diese abgründige Intimität aus einem schlichten Rhythmusspiel ein würdiges Andenken für diesen viel zu früh verstorbenen Helden der Electronic Dance Music.