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Das Schauspiel als Selbsttherapie

Ob "Endstation Sehnsucht" oder "Die Katze auf dem heißen Blechdach": Hollywood war vernarrt in die Dramen des gelernten Theaterwissenschaftlers, Schuhfabrikarbeiters, Hotelportiers und Kellners Tennessee Williams. Der Spezialist der amerikanischen Neurose ist am 25. Februar 1983 in New York gestorben.

Von Hildegard Wenner | 25.02.2008
    "Ich habe zwar die Sache niemals regelrecht studiert, aber ein Freund von mir sagt, dass ich Menschen besser analysieren kann als Doktoren, die daraus einen Beruf machen."

    Jim O’Connor, der freundliche Besucher in der "Glasmenagerie" könnte auch Tennessee Williams heißen, ausgestattet mit jenem Geschick, Gedanken und Gefühle der Menschen wie mit dem Messer zu zerlegen. Dem 1911 geborenen Dramatiker, gelehriger Schüler Sigmund Freuds, helfen dabei eigene Kindheitserfahrungen, körperliche Krankheiten wie Kränkungen, aus denen die Neurosen wachsen.

    "Die Glasmenagerie - Ein Spiel der Erinnerung" gewährt den unmittelbarsten Einblick in das Familiengehege der Williams, aus der Zeit, als Tennessee noch seinen Taufnamen Thomas Lanier trug und mit den Eltern von Mississippi ins verhasste Missouri, nach St. Louis zog. Das Stück, 1944 in Chicago uraufgeführt und danach in New York mehr als fünfhundert Abende gespielt, machte den Autor, wie man so sagt, über Nacht berühmt.

    Als Drehbuch hatte die Firma MGM in Hollywood, wo Williams damals arbeitete, den Stoff vorher abgelehnt. Ein Treppenwitz, denn wahrscheinlich kennen mehr Menschen Tennessee Williams aus dem Kino- als aus dem Theatersessel. Nahezu alle Stücke aus seiner fruchtbarsten Zeit - eben zwischen 1944 und 1961 - wurden, zum Teil mehrmals, verfilmt: das letzte aus diesen goldenen Jahren, "Die Nacht des Leguan", in der Regie von John Huston mit Richard Burton, Deborah Kerr und Ava Gardner.

    Williams Sinn für Effekte, Symbole und Metaphern, das Spiel mit Träumen und Tatsachen und das mysteriöse Verwischen der Ebenen - er selbst nannte das "plastisches Theater" - reizten gerade Leinwandregisseure, dafür opulente Bilder zu finden. Und Williams, später doch noch Drehbuchautor, sperrte sich nicht, einem Plot nachträglich das Happy End zu gönnen.

    "'Die Katze auf dem heißen Blechdach', heute kann man sich das kaum noch vorstellen, aber 1954 war es ein schockierendes Stück. Der Regisseur riet mir, manche Szenen zu entschärfen, um hinterher keinen Ärger zu kriegen."

    Die Stars der Traumfabrik rissen sich um Rollen in diesen Melodramen, weil da oft ein "Oscar" winkte. In "Endstation Sehnsucht", von Elia Kazan für die Bühne wie für die Leinwand eingerichtet, gehört das Gesicht der Blanche Du Bois, die da verzweifelt versucht, die Baumwollpflanzer-Aristokraten-Contenance zu wahren, Vivian Leigh. Und der polnische Schwager Stanley Kowalski, der ihr jeden Fluchtweg in vergangene – bessere – Tage verstellt, bleibt Marlon Brando im Proleten-Unterhemd.

    In und um New Orleans herum, im Mississippi-Delta und im nahen Golf von Mexiko kämpfen Tennessee Williams‘ Glückssucher für eine Handvoll Illusionen und bestellen das Unheil immer gleich mit - der Kopf so diffus und flirrend wie das Licht in diesem subtropischen Gefühls-Minenfeld. Die Helden, vor allem Heldinnen, könnten direkt einem Südstaatenroman William Faulkners entlaufen sein, an einem dieser "langen regungslos heißen totmatten" Nachmittage.

    "Man behauptet, ich sei besessen vom Schicksal des zerbrechlichen Wesens, das mit der gewaltigen Macht der humanisierten Gesellschaft konfrontiert wird."

    Nun ist es nicht jedermanns Sache, auf der Straße der Sieger beizeiten - wie James Dean - gegen einen Baum zu fahren. Mehr als zwanzig Jahre musste der einst meistgespielte US-amerikanische Dramatiker dem Verblassen seines Ruhms zusehen. Neue Stücke kamen Kritikern wie Zuschauern altbekannt vor – ausgebrannt nennt der Facharzt diese gar nicht unübliche Erscheinung bei Druckschreibern: Williams, der seine Schauspiele wie auch die weniger bekannte Prosa als Selbsttherapie verstand, kompensierte das nachlassende Interesse mit der Skandalisierung seiner Person.

    Ende der 60er konvertierte er unter Anteilnahme eines beträchtlichen Pressetrosses in Rom zum katholischen Glauben, zeigte gern ausgetrunkene Whiskyflaschen vor. Aber auch mit seinen Memoiren, in denen er sich offensiv als Homosexueller outete, ließ sich 1975 selbst in den Vereinigten Staaten kein Blumentopf für Zivilcourage mehr gewinnen.

    Am 25. Februar 1983, einen Monat vor seinem 72. Geburtstag, erstickt Tennessee Williams in einem New Yorker Hotel am Verschluss eines Medizinfläschchens. Die großen Flaschen liegen ringsum auf dem Zimmerboden. So sterben Popstars - und das hat dann doch noch etwas vom Schicksal des maßlosen Genies, der Welt allzu früh entrissen.