Freitag, 29. März 2024

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Politologe zur CDU-Kanzlerkandidatur-Debatte
"Das Schlimmste wäre, jetzt am Stuhl von Merkel zu sägen"

Ist CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer die Richtige für die Kanzlerkandidatur? Über der ganzen Personaldiskussion in der CDU schwebe immer noch Angela Merkel, so der Politologe Heinrich Oberreuter im Dlf. Da habe es Kramp-Karrenbauer schwer. Ihr Problem sei aber nicht Merkel, sondern die jüngsten Wählerverluste.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Dirk Müller | 12.06.2019
Annegret Kramp-Karrenbauer (l), Bundesvorsitzende der CDU, wartet neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf den Beginn der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands
"Strukturell treffen zwei Personen und Themen aufeinander, auch wenn die beiden sich ganz gut verstehen," so der Politologe Heinrich Oberreuter über die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeskanzlerin Angela Merkel (picture alliance/Michael Kappeler/dpa)
Dirk Müller: Die Debatte um die künftige Kanzlerkandidatur der Union, um Annegret Kramp-Karrenbauer, die offenbar in der Partei immer umstrittener wird. – Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter. Guten Tag!
Heinrich Oberreuter: Ja, ich grüße Sie.
"Koordinationseffekt ohne Konflikte kaum mehr zu erzielen"
Müller: Ist sie doch nicht die richtige?
Oberreuter: Ich glaube, sie ist in einer schwierigen Situation, und mindestens die stärkere Hälfte der Partei hat ja in einem, wie soll ich mal sagen, Mitgliederverfahren ähnlichen Debattendiskurs nach drei oder vier Konferenzen eine Entscheidung getroffen, die knapp zu ihren Gunsten ausgegangen ist. Aber auch damals wurde ja schon geredet, dass die Gefahr von Spaltung der Partei besteht. Im Grunde ist die Mitgliederschaft und die thematische Auseinandersetzung innerhalb der Volksparteien heute so, dass ein Koordinationseffekt ohne Konflikte kaum mehr zu erzielen ist, und insofern ist die CDU in einer Situation der innerparteilichen Diskussion, die auch das Personal umfasst, und über all dem schwebt noch Angela Merkel mit dem Renommee des Kanzleramts. Da hat es Frau Kramp-Karrenbauer schwer.
"Interessenlagen müssen nicht immer dieselben sein"
Müller: Ämtertrennung ist nicht so gut?
Oberreuter: Es ist in einem parlamentarischen System unserer Prägung das Allerletzte, was sinnvoll ist, weil man zwei Machtzentren innerhalb des gleichen Lagers etabliert, und die müssen sich im schlimmsten Fall immer wieder neu koordinieren, oder im noch schlimmeren Fall gibt es Konflikte zwischen unterschiedlichen Interessenlagen, und die Interessenlagen von Partei und Amt und Staatsführung müssen nicht immer dieselben sein.
"Am einfachsten, Verantwortung zuzuschieben"
Müller: Jetzt haben ja viele gedacht, dass die beiden, weil sie sich so gut verstehen, weil sie sich gegenseitig ja auch immer gefördert haben, zumindest die Kanzlerin AKK gefördert hat, dass das kein Problem sei, diese Absprache, diese Koordination, dieses Zusammenspiel.
Oberreuter: Ich glaube aber, dass die Aktualität dieses Zusammenspiels gar nicht das Problem ist. Das Problem ist die Lage der CDU am Wählermarkt auf der einen Seite, und da ist es natürlich am einfachsten – das sieht man ja auch an der SPD -, die Verantwortung der aktuellen Parteiführung zuzuschieben. Inwiefern die vergangene Parteiführung, die ja auch ein Dutzend Jahre im Amt war, Themen gesehen oder Themen verschlafen hat, das wird auf einmal gar nicht mehr gesehen.
Auf der anderen Seite ist natürlich – ich habe es schon angedeutet – das Renommee des Kanzleramts, die Kanzlerin, die die Interessen Deutschlands rund um die Welt in Krisensituationen, in einem Europa der Konflikte und Uneinigkeiten vertritt, immer noch ein positives Element, so dass eigentlich strukturell zwei Themen und zwei Personen aufeinander treffen, auch wenn die beiden sich ganz gut verstehen. Aber das Schlimmste, was Kramp-Karrenbauer machen könnte in ihrer Situation, wäre, jetzt am Stuhl von Merkel zu sägen, denn dann wäre sie natürlich wieder ein Ausdruck dieser, wie in der Öffentlichkeit gerne oder schnell geübt wird, infamen Parteikritik und würde der angesehenen Kanzlerin aufs Leder gehen. Das ist eine schwierige Situation.
Versäumt, die Ökologiefrage zu formulieren
Müller: Wenn ich hier einhaken darf? Ist das die Kanzlerin wiederum, die ja früher die Chefin der Partei war, die CDU-Chefin, die die Themen versäumt hat, verschlafen hat, wie Sie gesagt haben?
Oberreuter: Zumindest, wenn man jetzt so tut, als ob am Klimawandel die Welt zugrunde ginge, und zwar heute schon oder spätestens übermorgen, dann muss man sich ja schon die Frage vorlegen, inwiefern die Amtsinhaber der Vergangenheit daran Mitschuld tragen, dass man diesem Weltuntergang nicht rechtzeitig entgegengetreten ist. Aber auch das ist zu einfach, denn am Anfang ihrer Karriere war Angela Merkel ja Klimaministerin und hat dort auch weltweit sehr viel bewegt. Die Frage ist nur, ob man, wenn man ein Thema entdeckt, es auch konsequent durchführt, und da gibt es auch Wiederholungstendenzen. Ich meine, die Volksparteien haben versäumt, die Ökologiefrage zu formulieren und Antworten zu suchen. Das hat ihnen die Grünen beschert. Nun haben wir die Zuspitzung der Ökologiefrage in eschatologische Dimensionen in gewisser Weise. Das hat man auch nicht konsequent verfolgt und steht vor neuen Herausforderungen, und man sieht, dass diese Aktualität den beiden etablierten Parteien, die ja große Verdienste haben, die Wähler abspenstig macht.
"Wenn Krisen tief sind und Wahlergebnisse miserabel"
Müller: Reden wir vielleicht, Herr Oberreuter, einmal über die Selektionsmechanismen der Parteien. Da fällt mir jetzt Andrea Nahles ein, haben Sie eben auch ganz kurz angedeutet, und Annegret Kramp-Karrenbauer, die ja knapp gewählt worden ist, dennoch demokratisch ja legitimiert. Viele haben das ja damals gefeiert als eine neu erwachte CDU, die immerhin dieses Spitzenamt in eine Kampfkandidatur gehen lässt. Das haben andere Parteien ja lange nicht geschafft, oder die SPD seit langer Zeit auch nicht mehr.
Andrea Nahles wird innerhalb der Partei gefeiert und hofiert, zumindest in dieser Anfangszeit, und alle, die meisten jedenfalls waren sich einig, das ist die Richtige. Bei der CDU waren sich dann über die Hälfte einig: Ja gut, das ist die Richtige. Jetzt in der politischen Praxis, im politischen Alltag, da stellt man fest, dass sie doch nicht die Richtigen sind?
Oberreuter: Na ja. Primitiv geantwortet sage ich mal, es ist ein Ausdruck innerparteilicher Demokratie. Parteien sind plural und der Pluralismus erstreckt sich natürlich auch auf die Wertschätzung von Personen. Wenn die Krisen tief sind und die Wahlergebnisse miserabel, wie bei der SPD zum Beispiel nach dem Schulz-Hype, oder wie bei den beiden Volksparteien, speziell bei den Erwartungen der CDU bei der Europawahl, dann fängt man auf einmal auch an, Fragen zu stellen über das Personal, das die Partei vertritt. Aber das ist ja nicht das einzige und das alleinige und für mich liegt in all dem eine ganz, ganz große Kurzschlüssigkeit. Je mehr man in einer Partei verwurzelt ist, umso mehr, glaube ich, hält man sich an Personen und Personalentscheidungen fest.
Wandlungsprozesse laufen den Volksparteien davon
Müller: Das sind Parteienperspektiven innerhalb der Partei und hat weniger die Rückkopplung mit der Bevölkerung, mit dem Wahlvolk im Auge?
Oberreuter: Ja, das ist in gewisser Weise sozusagen eine professionelle Käseglocke, die sich darüberstülpt, und was man dabei übersieht sind die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und die Themen, die sich damit verbinden, und die Wandlungsprozesse laufen dem Volksparteien-Modell, so erfolgreich es in der Vergangenheit war, seit langem davon. Die Reaktionen beider Volksparteien übrigens darauf sind Reaktionen internen Professionalismus‘ und interner Diskussionsstrukturen und Geschäftigkeiten, die mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit relativ wenig zu tun haben, und dafür kriegen sie im Augenblick bei den Wahlen eine Quittung nach der anderen.
Die Ersatzspieler Laschet und Merz
Müller: Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk in einem längeren Interview gesagt, die Medien sind schuld, die Medien haben diese Frage gestellt, wie ich Ihnen jetzt auch diese Frage stelle und wie die anderen Medienkollegen im Moment ja auch darüber berichten. Kann das sein, dass die Medien das Ganze jetzt hypen und die Substanz dessen nicht vorhanden ist?
Oberreuter: Medien hypen immer. Das ist in gewisser Weise ja die Funktion, der Aktualität nachzugehen und sie zuzuspitzen und Diskussionen auch rechtzeitig zu sehen. Aber dieser Hype ist ja nicht ohne Anlässe entstanden. Ich meine, es gibt hingeworfene Bemerkungen, es gibt Seitenbemerkungen, es gibt Bemerkungen von Menschen, die im Augenblick ganz ernsthaft für die Position nicht in Frage kommen, das auch selber sagen, das aber so formulieren, dass man weiß, es gibt ein Spielfeld, da sind die beiden oder die wenigen professionellen Mitspieler unterwegs, aber man kann sich an der Seitenlinie als Ersatzspieler bereit halten. Das würde ich jetzt mal so sehen, wenn ich an Laschet und an Herrn Merz denke.
Müller: Das sind nur Ersatzspieler, um hier nachzufragen?
Oberreuter: In meiner Sicht sind sie gegenwärtig, wenn man es funktional betrachtet, auch strukturell, weil sie weder das Kanzleramt, noch den Parteivorsitz haben - und beide Positionen sind eigentlich die ausschlaggebenden, wenn ich die Kanzlerfrage stelle -, wenn es zu keiner Einigung kommt, automatisch die Einwechselkandidaten. Das ist ganz klar. Aber sie können natürlich, wenn sie an der Seitenlinie herumhampeln, das Klima auf dem Spielfeld ganz erheblich mitbestimmen, und das erschwert gegenwärtig die Diskussion, gibt aber den Medien – das war ja Ihre Frage, durchaus berechtigte Möglichkeiten, die Sache zu aktualisieren und zuzuspitzen. Aber so ganz ohne eigene Schuld des innerparteilichen Gewerbes findet das nicht statt.
"Wer heute Nr. 1 ist, ist morgen vielleicht genau das nicht mehr"
Müller: Wir haben eine knappe Minute noch, Herr Oberreuter. AKK ist immer noch die Nummer eins?
Oberreuter: Strukturell ja und praktisch, denke ich, auch. Ich meine, eine Partei tut sich ja schwer, wenn sie zugibt, dass sie nach einem innerdemokratischen Auswahlverfahren, wenn auch mit knapper Mehrheit, eine Kandidatin gekürt hat, und insofern ist es richtig zu sagen, Nummer eins. Man sieht aber auch daran, dass die CDU ja den Fraktionsvorsitzenden innerhalb einer revolutionären Prozedur abgelöst hat, dass es innerhalb der CDU sowohl in der Mitgliedschaft als auch in der parlamentarischen Basis gärt. Insofern ist wer heute Nummer eins ist, ist morgen vielleicht genau das nicht mehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.