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Das Super-Netz im Reich der Mitte

Einzelne Superrechner gelten immer mehr als Dinosaurier des Computerzeitalters, denn höhere Rechenleistungen zu geringeren Kosten lassen sich auch durch das Zusammenschalten vieler kleinerer PCs erreichen. Dieses Konzept verfolgt auch das ambitionierte Vorhaben Chinas, die Ressourcen seiner Universitäten und Forschungsstätten miteinander zu verschränken und so an die Spitze heutiger Rechennetzwerke zu gelangen. Wissenschaftler im Reich der Mitte setzen dabei vor allem auf offene Strukturen statt auf proprietäre Lösungen.

    Derzeit entsteht unter der Ägide des chinesischen Wissenschaftsministeriums eines der weltweit größten Computer-Grids für Forschung und Lehre. Basis des so genannten "China-Grid" sind die ausgesprochen gut ausgestatteten Universitäts-Netzwerke im ganzen Land, die allesamt mit den Standards der Open Grid Service Architecture arbeiten. Offene Standards und offene Systeme, so Dr. Chung Jen Tan, Direktor des Instituts für E-Business-Technologie der Universität Hongkong, sind eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des China-Grid. Den Ausbauplan beschreibt Dr. Tang so:

    Das Grid-Projekt hat soeben begonnen, und zunächst haben wir zehn größere Universitäten Chinas, die wie die Universität Hongkong jeweils für sich ein internes Grid haben. Unser nächster Schritt besteht darin, diese Grids zu vernetzen. Und im nächsten Jahr planen wir, auch andere Universitäten Chinas in das Grid mit einzubeziehen.

    Sechs Billionen Rechenoperationen pro Sekunde leisten die 49 Linux-Knotenrechner sowie die sechs Speicherserver. Ganz zentrale Bedeutung hat das Grid-Projekt für die Bioinformatik, das an der Tsinghua Universität bereits im Frühjahr dieses Jahres von sich Reden gemacht hat. Chung Jen Tan

    Bei der SARS-Epidemie in diesem Jahr haben viele Universitäten hart an der Entschlüsslung des Gen-Musters des SARS-Virus gearbeitet. Universitäten wie Tsinghua haben die Netzwerk-Computer des Grid genutzt, um diese Gen-Muster von SARS zu bestimmen.

    Das Video-Grid der Universität Peking, mit dem vor allen Dingen ingenieurwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Vorlesungen und Kurse angeboten werden, soll ebenfalls bald landesweit arbeiten. Schon weit über die Landesgrenzen hinaus verfügbar ist das E-Learning-Angebot der Universität Hongkong.

    Wir bieten E-Learning an, die Technologie für das Online-Lernen. Multimedia und Video via Grid sind wichtige Technologien für E-Learning-Programme. Wir bieten ein Programm zum Lernen von Mandarin an. In Hongkong wird ja meistens ein kantonesischer Dialekt gesprochen.

    Dabei legt Chinas Regierung größten Wert darauf, dass bei der Integration Hongkongs eben auch die Sprache stimmt. Und so will sie das Grid für möglichst viele Studenten und Wissenschaftler öffnen. Ganz im Gegensatz zu ihrer sonstigen Internet-Politik, die auf Zensur und Überwachung setzt. Das Grid werde liberaler gehandhabt, so Tan.

    Ich bin mir nicht sicher, ob es Regierungspolitik ist, das Grid zu überwachen. Das ist ein Grid für die Lehre von Forschung und Universitäten. Die Universitäten nutzen die Computerressourcen für ihre Forschungsprogramme und die Lehre. Es handelt sich nicht um das öffentliche Internet.

    Das Grid kann schon aus technischen Gründen nicht so einfach vom sonstigen Internet abgegrenzt werden. Gerade beim Bioinformatik-Grid sind die chinesischen Wissenschaftler, die sich mit dem SARS-Virus beschäftigen, auf enge Kooperation mit ihren Kollegen etwa in den USA angewiesen. Die Kommunikation läuft über ganz normale Internet-Knotenrechner. Und dieser freie Fluss der Information wirkt sich dann auch auf das öffentliche Internet in China aus. Offene Systeme und offene Standards, unentbehrlich für den Erfolg des China-Grids, werden in der Diskussion um das öffentliche Internet und dessen Überwachung in China bald eine ganz neue Bedeutung erfahren.

    [Quelle: Peter Welchering]