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Das Verhältnis von Staat und den Religionsgemeinschaften

Das Grundgesetz garantiert Religionsfreiheit, der Staat ist weltanschaulich neutral. Doch für viele Kritiker ist das Staatskirchenrecht zu stark auf die christlichen Kirchen zugeschnitten. Im Wahlkampf werden solche Fragen ausgeblendet, obwohl die Parteien sehr unterschiedliche Positionen dazu haben.

Von Burkhard Schäfers | 13.09.2013
    In jüngerer Zeit ist die Religion immer wieder Thema aufgeregter Debatten. So ereifern sich die einen über Kreuze in Schulen, andere sehen durch die Beschneidung jüdischer und muslimischer Jungen das Kindeswohl in Gefahr, wieder andere fühlen sich durch das Tanzverbot am Karfreitag in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt. Im Wahlkampf allerdings kommen diese Fragen zu kurz, kritisiert der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems:

    "Meines Erachtens haben alle Parteien hier ein großes Defizit mit Blick auf die religionspolitischen Fragen. Und es wäre dringend nötig, dass die Parteien diesem Punkt größere Aufmerksamkeit widmen würden."

    Nahezu alle Parteien verstecken in ihren Wahlprogrammen ihre Haltung zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften. Nur CDU/CSU und Die Linke widmen dem Stichwort Religion jeweils ein eigenes Unterkapitel.

    "Es ist sogar ein großes Problem, dass die Religionspolitik eine so geringe Rolle bei den Parteien spielt. Weil es sehr großen Handlungsbedarf gibt. Und es wäre vor allem Aufgabe der Parteien, die Bevölkerung bei diesen Fragen mitzunehmen. Weil es sich an vielen Punkten einerseits um sehr komplizierte, andererseits aber auch sehr strittige Fragen handelt."

    Ulrich Willems, Experte für das Verhältnis von Politik und Religion, sieht dringenden Reformbedarf beim Staatskirchenrecht. Dieses sei auf die christlichen Kirchen zugeschnitten. Insbesondere die wachsende Gruppe der Muslime komme dabei zu kurz. Zwar solle das Christentum weiterhin in der Öffentlichkeit präsent sein können:

    "Aber angesichts der veränderten Wirklichkeit kann diese eindeutige Priorisierung des Christentums und christlicher Symbole im öffentlichen Raum – das sehen Sie bei der CDU/CSU etwa daran, dass das Kreuz in der Schule für unproblematisch gehalten wird, das Kreuz in Gerichtssälen und so weiter – da gibt es großen Diskussionsbedarf."

    Die Unionsparteien zeigen sich inzwischen zwar offen für islamischen Religionsunterricht an Schulen. Grundsätzlich aber betonen sie die christliche Prägung Deutschlands sowie die herausragende Rolle der christlichen Kirchen in der Gesellschaft. Teile der SPD wollen das derzeitige Staatskirchenrecht weiter entwickeln zu einem Religionsverfassungsrecht. Eine Gruppe laizistischer Sozialdemokraten würde Religion am liebsten vollständig ins Private verlagern. FDP und Grüne bleiben in ihren Wahlprogrammen vage, zu groß ist die Bandbreite von Positionen in den eigenen Reihen.

    Konkrete Rechtsnormen im Blick auf den Islam zu etablieren, sei gleichwohl schwierig, unterstreicht Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der lange für die CSU im bayerischen Landtag saß:

    "Es gibt keine Person oder keine Struktur, die für den Islam als Ganzes sprechen könnte. Und das macht es für den Staat so schwierig: Wie eine Partnerschaft mit dem Islam oder Gruppen des Islam gestaltet werden kann, weil letztlich schwer zu fassen ist: Wer ist legitimiert, etwa über den Inhalt der Islamkunde in der Schule zu entscheiden."

    Neben dem Islam wächst noch eine zweite Gruppe: die der Konfessionslosen. Sie kritisieren regelmäßig die Zusammenarbeit des Staates mit den Religionsgemeinschaften, etwa bei der Kirchensteuer, beim Religionsunterricht oder wenn Kirchengemeinden als Träger von Kindergärten auftreten. Für ein streng laizistisches Gesellschaftsmodell sprechen sich die Linkspartei und die Piraten aus. Blasphemiegesetz und Feiertagsschutz sind ihnen ein Dorn im Auge. Die Piraten etwa zogen sich den Unmut der Kirchen zu, weil sie zu Demonstrationen gegen das Tanzverbot an Karfreitag aufgerufen hatten. Jan Niklas Fingerle, Spitzenkandidat der Piraten im Saarland

    "Natürlich muss man zu Aktionen aufrufen, einfach um die Diskussion auf einen bestimmten Gegenstand zu lenken. Dass ich nicht mal in einem Raum, der entsprechend geschützt ist, sodass ich niemand anderen belästige, eine Tanzveranstaltung durchführen darf, das ist ein deutlich zu weit gehender Schutz."

    Trotz der zunehmenden weltanschaulichen Pluralität in Deutschland hält Politikwissenschaftler Willems von der Universität Münster eine strikte Trennung von Staat und Kirche nicht für das geeignetere Modell:

    "Man sieht ja an den Ländern, die eine stärkere Trennung von Religion und Politik haben, wie etwa Frankreich oder auch die USA, dass die keineswegs besser in der Lage sind, mit der neuen religiösen Pluralität umzugehen. Ich glaube nicht, dass das laizistische Modell das bessere Modell für den Umgang mit religiöser Pluralität ist."

    Dennoch: Für immer mehr Menschen sind religiöse Symbole und Traditionen fremd. So erklärten sich auch anti-kirchliche Ressentiments in Politik und Gesellschaft, meint ZdK-Präsident Glück:

    "Wir haben das vielleicht besonders krass erlebt bei dieser heftig aufflammenden Debatte um die Beschneidung. Aber insgesamt haben wir keine wachsende Religionsfeindlichkeit. Es gibt einen kleineren Teil, der lauter und aggressiver wird. Aber das steht nicht für eine Gesamtentwicklung."