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Das wahre Debüt

Der Roman "Andere Stimmen, andere Räume" galt lange als Truman Capotes Debüt. 2004 tauchte allerdings überraschend das Manuskript eines bisher unbekannten Romans mit dem Titel "Sommerdiebe" auf. Beide Texte stellen mit ihrer Leichtigkeit, Ironie, Verspieltheit und Grazie ein Gegengewicht zum teilweise etwas uninspirierten Realismus dar, mit dem man sich in jüngster Zeit in Deutschland gern zufrieden gibt, was die Wahrnehmung amerikanischer Literatur betrifft.

Von Antje Ravic-Strubel | 04.03.2007
    Er scheint wieder en vogue zu sein, der blonde Jüngling mit Kinderstimme, satter Unterlippe und dem bösen Blick. Auf dem Coverfoto seines Debütromans "Andere Stimmen, andere Räume" von 1948 liegt Truman Capote hingegossen auf einem Sofa, in weißem Hemd und Weste. Wären da nicht die Augen, die den Betrachter scharf mustern, könnte man ihn für einen unschuldigen, 15-jährigen Knaben halten. Capote ist 23, als ihm dieses Bild und sein irrlichternder Stil zu frühem Ruhm verhelfen. Schon hier zeichnet sich ab, was Capote zu einer der schillerndsten Figuren Nachkriegsamerikas machte: das Verwirrspiel mit Schein und Sein, die Verlockung der Jugend, die nicht ohne Angst vorm Alter zu haben ist, und eine Sexualität, die in den prüden 50er Jahren aufreizend giftig gewirkt haben muss, da sie nur jenseits des Normalen und auf Kosten der Unversehrtheit des Körpers zu haben ist. Zwei Damen, die dieses Foto im Schaufenster eines Buchladens hängen sahen, reagierten jedenfalls sofort empört, wie Gerald Clarke in seiner Capote-Biografie von 1988 schreibt. "Siehst du, wie jung er ist", sagte die eine. "Und selbst, wenn er nicht so jung ist", sagte die andere, "eines weiß ich: er ist gefährlich."

    Und tatsächlich; sowohl in den Phasen, in denen ihm die amerikanische Gesellschaft huldigte, als auch in jenen, in denen sie ihn verdammte, immer hat Truman Capote auf unterschiedliche Weise Grenzen überschritten und Erwartungen gesprengt. Er ist der untreueste unter den amerikanischen Schriftstellern und der berauschteste. Untreu ist er allen moralischen Werten gegenüber, berauscht ist er von sich selbst und der Sprache. Wenn er schrieb, mag er den rhythmisch dunklen Klang des Südstaatenamerikanisch im Ohr gehabt haben, wie seine Kollegen Carson McCullers oder William Faulkner, die ebenfalls aus dem Süden kommen. Bei Capote wird die dunkle Klangfarbe in einen perlenden Stil aufgelöst. Dieser Stil ist unberechenbar und überbordend an Eindrücken wie die Welt, die gezeichnet wird. In Truman Capotes frühen Büchern hallt eine Stimmung nach, die Wirtschaftskrise und Krieg hinter sich gelassen hat und vom wirbelnden Leben der Salons und Bars vibriert. In dieser literarischer Welt wird Wert auf Kleidung, Glamour und die Verheißungen der Oberfläche gelegt, hier wird ein Martini immer einem Bier vorgezogen, und das Wie ist wichtiger als die Frage nach dem Warum.

    Im Schreiben und in der Stilisierung seiner Person nimmt Capote die Rebellion der 60er Jahre vorweg, in denen zarte Helden trügerisch schwebende Zwischenwelten entwerfen, und am Höhepunkt seiner Laufbahn wird man Capote huldigen wie später den Pop-Ikonen. Dass gerade jetzt das Interesse an diesem Autor neu entflammt ist, mag verschiedene Gründe haben. Die Abnutzungserscheinungen und die Kehrseiten dieser westlichen Glamour-Pop- und Celebrity-Welt sind schon länger zutage getreten, ihre sinnlose Verschwendungssucht, ihr manischer Narzissmus. Jetzt wird es zudem auf dieser Welt durch die allseits heranrückenden Fundamentalismen ziemlich ungemütlich. Und so kann man es durchaus als Nostalgie betrachten, dass das Kino gleich zwei Filme über Capote und den Beginn der amerikanischen Hochglanz-Ära herausbrachte.

    Die Filme konzentrieren sich auf den älteren etablierten Autor. Sowohl der von Philip Seymour Hoffman gespielte also auch der von Toby Jones in "Infamous" dargestellte Capote sind die fragile Fiktion eines Autors, der selbst hemmungslos reale Personen fiktionalisierte und auf diese Weise seinen größten Erfolg, aber auch sein größtes Scheitern erlebte. Durch die absolute Gleichbehandlung von Fakten und Fiktionen hat Capote sich lebenslang über moralische Begriffe hinweggesetzt. Auf diese Weise konnte er sich mit einem zum Tode verurteilten Mörder aus Kansas anfreunden, auf diese Weise konnte er dessen Freundschaft schließlich für sein Buch "Kaltblütig" ebenso kaltblütig wieder verraten. Dieser Reportageroman, eine Fiktion aus Fakten, begründete 1965 den New Journalism, den später Autoren wie Tom Wolfe fortsetzten.

    In seinem späteren, als Gesellschaftsporträt angelegten und nie vollendeten Großroman "Erhörte Gebete" verprellte er allerdings durch die Vermischung von Fakt und Fiktion selbst engste Freunde und Förderer. Die schonungslose Darstellung der Mitglieder der amerikanischen High Society verdarb sogar Harper Lee den Spaß. Capotes beste und langjährigste Freundin wandte sich daraufhin von ihm ab. In den frühen Romanen Capotes stehen noch alle Türen offen. Das Licht dringt in die Sprache und gibt einer Welt Farbe, von deren mondäner Eleganz sonst nur noch in Screwball-Comedies etwas zu ahnen ist, und da nur in Schwarz-Weiß.

    "Sein Kopf war vollkommen klar. Er war wie eine Kamera, die darauf wartete, dass ihr Gegenstand ins Blickfeld geriet. Die Wand wurde gelb vom akkuraten Untergang der Oktobersonne, und die Fenster waren wellige Spiegel kalter, jahreszeitlicher Farbe. Hinter dem einen beobachtete ihn jemand. [...] Nach und nach sickerte der blendende Sonnenuntergang aus dem Glas, verdunkelte sich, und es war, als fiele dort Schnee, Flocken, die Schneeaugen formten, Haare: ein Gesicht flirrte wie ein weißer, schöner Nachtfalter, lächelte. Sie winkte ihn zu sich, strahlend und silbern, und er wußte, dass er gehen musste: ohne Angst, ohne Zögern hielt er nur am Rand des Gartens inne, als habe er etwas vergessen, er blieb stehen und blickte zurück zu der blütenlosen, hereinbrechenden Düsternis, zu dem Jungen, den er hinter sich gelassen hatte."

    Der Roman "Andere Stimmen, andere Räume", der Capotes Kindheit in den Südstaaten angelehnt ist, galt lange als sein Debüt und liegt jetzt in neuer Übersetzung von Heidi Zerning vor. 2004 tauchte allerdings überraschend das Manuskript eines anderen, bisher unbekannten Romans mit dem Titel "Sommerdiebe" in einem Auktionskatalog bei Sothebys auf. In vier Schulheften und auf 62 Seiten Notizen fand sich das eigentliche Erstlingswerk, das nach Capotes Erfolg mit "Andere Stimmen, andere Räume" jedoch in der Schublade blieb. Trotz mehrmaliger Überarbeitung hat Capote das Manuskript von "Sommerdiebe" nie beendet, und nach dem Erfolg von "Kaltblütig", schien es ihm "dünn, clever und ungefühlt".

    Beide Texte sind im Züricher Verlag "Kein&Aber" erschienen. Sie stellen mit ihrer Leichtigkeit, ihrer Ironie, mit ihrer Verspieltheit und Grazie ein angenehmes Gegengewicht zum teilweise etwas uninspirierten Realismus dar, mit dem man sich in letzter Zeit, was die Wahrnehmung amerikanischer Literatur betrifft, in Deutschland gern zufrieden gibt.

    "Andere Stimmen, andere Räume" taucht in eine Kindheit im Süden der USA in den 20er Jahren ab, die Capotes eigener Kindheit geähnelt haben dürfte. Geboren als Truman Streckfus Persons wuchs Capote bei seiner Großmutter in New Orleans auf, das er 1934, im Alter von zehn Jahren verließ, als seine Mutter nach New York heiratete. Im Roman kehrt der 13-jährige Joel Knox nach Alabama zu seinem Vater zurück, der ihm mittlerweile ein Fremder geworden ist. Das Haus in Skully's Landing ist abgelegen und schwer zu erreichen. Ein Maulesel-Karren bringt den Jungen dorthin, wo er von seiner griesgrämigen Stiefmutter Miss Amy und dem kränkelnden, dickleibigen Cousin Randolph erwartet wird. Haus und Garten sind merkwürdig verwildert, und vom Vater fehlt erstmal jede Spur.

    "Im Glast der feurigen Sonne erstreckte sich ein Garten, ein wüstes Durcheinander von Kirschmyrten und Flieder, Zungenfarn und Trauerweiden, deren lanzenblättrige schlaffe Zweige zart schimmerten, und verkrüppelten Kirschbäumen wie die auf japanischen Drucken, wild und grün in der Mittagshitze. Er war nicht aus reiner Vernachlässigung entstanden, sondern schien eher das Ergebnis davon zu sein, dass jemand in einem Augenblick vollkommener Ausgelassenheit eine Vielfalt von Samen verstreut hatte. Gras und Strauch und Ranke und Blume, alle dicht zusammengedrängt. [...] Am anderen Ende, dem Haus gegenüber, bot sich ein ungewöhnlicher Anblick: wie die Finger einer Hand verlieh eine Reihe von fünf weißen, kannelierten Säulen dem Garten das urtümliche, gespenstische Aussehen einer verlassenen Ruine: Judasrebe schlängelte sich an ihren schiefen Schäften hoch, und eine gelb getigerte Katze schärfte ihre Krallen an der mittleren Säule."

    Auf diesem Grundstück wohnt auch die schwarze Haushälterin Zoo mit ihrem Großvater. Sie träumt vom Schnee in Chicago, kann aber das südlich-heiße Skully's Landing wegen des kranken alten Mannes nicht verlassen. Und es gibt die Nachbarskinder, zwei Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Florabel, die ganz auf junge Dame macht und sich nach dem neuesten Chic kleidet, und Idabel, der Tomboy, die in Latzhosen mit ihrem Hund durch die Gegend stromert und auf all die furchterregenden Geschichten pfeift, die sich um Leichenseen und verfallene Herrensitze in der Umgebung ranken. Mit der wilden Idabel freundet Joel sich schließlich an, sie ist sein Counterpart, mit ihr wird die Entdeckung leichter fallen, dass das andere Geschlecht nicht zwangsläufig das körperlich anziehende sein muss. Idabel ist allerdings, wie im übrigen fast alle Figuren dieses Romans, nicht unversehrt. Nachdem sie mit Joel von zu Hause ausgerissen ist, verfällt sie auf einem Rummel leidenschaftlich einer zwergenhaften Frau. In deren Rolle als Sonderling, als zur Schau gestelltem Exoten, meint das Mädchen ihre eigenen psychischen Verletzungen wieder zu erkennen.

    Auch die anderen Figuren des Romans sind körperlich oder seelisch gezeichnet: Der Vater, das Zentrum, um das das Begehren des Jungen kreist, ist ein Krüppel, der nicht mehr sprechen kann. Miss Amy, die Stiefmutter, hat ihr Leben durch die Heirat mit dem Kranken auf das einer Krankenschwester reduziert. Die Haushälterin Zoo trägt ein Mal am Hals, Spuren eines Liebhabers, der versuchte, sie zu erwürgen. Seither ist sie eine Verfolgte ihrer eigenen Angst. Randolph, der Cousin, leidet chronisch am Leben, seit seine einzige große Liebe zu einem Preisboxer unglücklich verlaufen ist. Zu Beginn erscheint dieser alabasterweiße, dicke, neurotische Randolph dem Jungen noch in der Verkleidung einer alten Dame hinter einem verstaubtem Fenster, später wird er zu seinem ersten Geliebten.

    Die schwüle, von Sonne und Gerüchten satte südamerikanische Landschaft ist für Capote der geeignete Hintergrund für diesen Roman einer Selbstentdeckung und eines homosexuellen Erwachens. Capotes Beschreibungen sind gesättigt von Bildern, stilistischen Spielereien, rhyhtmischen Belanglosigkeiten, die das Geschehen teilweise zu einem bizarren Traum verzerren. Die Dialoge der Erwachsenen werden im Kopf des Jungen zu nicht entschlüsselbaren Geheimbotschaften, sie wecken skurrile Fantasien und legen sich vor die Wahrnehmung. Äußere Handlung ist zugunsten des inneren Erlebens fast vollkommen zurückgenommen, die Zeit scheint stillzustehen. Oder sie läuft rückwärts in die Vergangenheit hinein, die Randolphe, Miss Amy oder Zoo dem Jungen nach und nach enthüllen.

    Feinsinnig verwebt Capote die Aufklärung der Ereignisse, die Joels Vater zu einem hilflosen, bettlägerigen Invaliden machten, mit den Erweckungen der Pubertät. Hier sind die Unsicherheit besonders groß darüber, wo die Grenzen verlaufen, zwischen Wirklichkeit und Einbildung, zwischen Wunsch und Möglichkeit, zwischen dem, was als normal und was als unnormal empfunden, was als krank und was als gesund gilt. Das Grauen, das sich in der Enge und Abgeschiedenheit des Hauses staut, reflektiert die Angst, die das körperliche Erwachen im Jungen auslöst. Und erst am Ende lichten sich die grünen Ranken im Garten, und der Junge findet auf die staubige Straße hinaus.

    "Ein Laut, als habe plötzlich eine Glocke geläutet, und die Gestalt der Einsamkeit, grünlich schillernd, weißlich wabernd, schien aus dem Garten aufzusteigen, und Joel, als wollte er den Flug eines Drachens verfolgen, legte den Kopf in den Nacken: Wolken kamen über die Sonne: er wartete darauf, dass sie vorbeizogen, und dachte, wenn sie fort waren, wenn er wieder hinsah, dann würde sich ein Wunder ereignet haben: vielleicht würde er sich in der St.Deval Street wiederfinden und auf der Bordsteinkante hocken oder vor dem Nemo die Vorankündigungen der nächsten Woche studieren: warum nicht?, es war möglich, denn der Himmel ist überall derselbe, und nur unten sind die Dinge verschieden."

    Auf eine weniger psychologisierende Weise erzählt auch der eigentlich erste Roman Capotes "Sommerdiebe" von einer Selbstentdeckung. Auch hier geht es um die Verheißungen und Bedrohungen, die die Pubertät begleiten. Die 17-jährige Grady McNeil, eine wilde, ungezähmtere Vorgängerin der großartigen Holly Golightly aus der Meistererzählung "Frühstück bei Tiffany", verbringt erstmalig einen Sommer allein in New York. Gradys Eltern sind auf Europa-Reise, ihre Schwester ist aus dem Elternhaus längst ausgezogen. Am Ende des Sommers soll auch Grady in die Gesellschaft eingeführt werden. Die Eltern planen ein Fest, auf dem das reiche Mädchen der Oberschicht zur Heirat angeboten werden soll. Doch der Sommer ist lang und heiß und eröffnet die Möglichkeit, sich vom Plan der Eltern loszusagen und, statt sich anbieten zu lassen, selbst zu nehmen, was sich bietet. Clyde Manzer, ein zynischer, zu früh alt gewordener Parkplatzwächter und Kriegsveteran ist der geeignete Mann, um im Leben der Familie McNeil einen kleinen Skandal auszulösen. Zum kultivierten, gepflegten Freund Peter etwa bildet er einen rohen, scheinbar authentischen Gegensatz, der mehr Leben verspricht als jedes noch so rauschende Fest.

    "'Los, steck mir eine Zigarette an.' Clyde Manzers Stimme, knurrig vom Schlaf, aber immer etwas heiser und belegt, hatte eine bestimmte Eigenschaft: alles, was er sagte, machte einen gewissen Eindruck, denn eine murmelnde Kraft, gedämpft wie ein Motor im Leerlauf, durchzog jede Silber mit der Lunte der Männlichkeit. [...] 'Sabber sie nicht voll, Kleines, du sabberst sie immer voll.' Die Stimme, obwohl auf ihre Art attraktiv, konnte täuschen: ihretwegen hielten einige ihn für dumm: was nur bewies, welch schlechte Beobachter sie waren: Das schlichte Stipendium, das zu einem Diplom in Alltagsbewältigung führt [...], die Kenntnisse, die einhergehen mit einer Großstadtkindheit der Bandenkriege und verzweifelten Nachmittage, wenn nur die Grausamen und Schlauen, die Schnellen, die Tapferen überleben - das war die Ausbildung, die seinen Augen die bewegliche Ausdruckskraft verlieh. "Bah, du hast sie vollgesabbert." […]

    'Ich werde sie rauchen', sagte Grady; und mit dem Feuerzeug, das Peter so geschmacklos fand, zündete sie ihm eine neue an."

    Nichts könnte Gradys durchgeplantem, eleganten und mondänen Leben einen größeren Bruch zufügen als eine Heirat mit diesem Parkplatzwächter. Clyde, der eigentlich schon einer anderen Frau versprochen ist, überwirft sich wegen Grady mit seiner Familie. Der Drang, seiner niederen gesellschaftlichen Stellung zu entkommen, scheint dabei ebenso groß wie die Faszination an Grady, die mit ihrem gekünstelten, komplizierten Gebaren das verlockende Fremde darstellt.

    Es geht in "Sommerdiebe" um die Sehnsüchte der Jugend, die in ihrer Verlockung gefährlich sind, weil sie unerfüllt bleiben müssen und sich deshalb auf immer extremere Gegenstände richten; Erfüllung hieße Stillstand, Normalität, Erfüllung hieße, endgültig erwachsen zu sein. Während "Andere Stimmen, andere Räume" ein Buch ist, das sich liest, als würde man langsam aus Schlamm und Schlick von tief unter Wasser an die sonnendurchflutete Oberfläche getrieben, beginnt "Sommerdiebe" oberhalb der Wasserfläche, mit Lichtpunkten, die auf den Wellen glitzern und weiß aufgerührtem Schaum. Aber allmählich spült das Wasser über einen hinweg, drückt nach unten wie die Hitze die Liebenden im überfüllten New York, die schließlich im Drogenrausch zu Tode kommen.

    "Clyde saß auf dem Rücksitz und Peter Bell ebenfalls, zusammen, jeder an den anderen gedrängt, schienen sie ein massiges, doppelköpfiges, mit Fangarmen bewehrtes Geschöpf zu sein: Peter saß vornübergebeugt, und sein Gesicht, knitterig wie Stanniol und blutend, erschreckte Grady so, dass etwas nachgab: sie stieß einen Schrei aus, und es war, als habe sich dieser Schrei seit Monaten in ihr angesammelt, aber es war niemand da, sie zu hören, weder in der steigenden Leere vorbeisausender Straßen, noch im Auto. [...] Es lag Freude in dem stumpfsinnigen Krachen von Clydes Fäusten, und während das Auto mit quietschenden Reifen die Third Avenue hochschoss, [...] starrte sie stumm vor sich hin, wie ein benommener Vogel, der gegen Wände und Glas geprallt ist."

    Diese mehr aus Trotz und Übermut als aus Leidenschaft begonnene und tragisch endende Liebesgeschichte Gradys lässt die Tragik der in ihre seltsamen Leiden verstrickten Bewohner von Skully's Landing in "Andere Stimmen, andere Räume" beinahe skurril erscheinen. Die zurückgenommene, kühle, glasklare Erzählweise von "Sommerdiebe" zeigt deutlich den Staub der Vergangenheit auf der mit Nippes vollgestellten und wie mit schweren Samtvorhängen bedeckten Sprache in Capotes offiziellem Debüt.

    Fast scheint es, als stammten die beiden, im Abstand von wenigen Jahren entstandenen Bücher aus unterschiedlichen literarischen Zeiten. Dabei wecken sie weniger Erinnerungen an die amerikanische als an die europäische Literatur. "Andere Stimmen, andere Räume" erinnert an die noch junge Moderne, an die literarischen Erkundungen des Unbewussten im Fin de Siècle, wie sie etwa in den fieberhaften Wachträumen und Wahnvorstellungen eines Arthur Schnitzler zum Audruck kommen. "Sommerdiebe" dagegen ist frech und leicht wie das Beste, was der Sachliche Realismus an Prosa zu bieten hatte, allerdings mit einer Ironie, wie es wiederum nur die amerikanische Literatur vermag.

    Zu steigern wäre das nur noch mit Capote selbst. Und das hat er in seiner Erzählung "Frühstück bei Tiffany" getan, die 1958 erschien und sich wie eine Kombination aus den beiden früheren Büchern lesen lässt. Holly Golightly scheint eine erwachsenere Grady McNeil zu sein. Sie ist die Figur eines Autors, der sich der Mittel seines frühen Schreibens, seiner leichten Hand und präzisen Beobachtung sicher, ihrer aber noch nicht überdrüssig oder sich selbst zu "clever" geworden ist. Grady McNeil, das Mädchen aus "Sommerdiebe" ist die Skizze in schwarz-weiß, aus der schließlich Holly Golightly in Farbe hervorgegangen ist. In ihrer Kindheit muss sie eine ähnlich wilde Tomboy-Phase wie Idabel aus "Andere Stimmen, andere Räume" durchlebt haben. Das hat einen Eigensinn hinterlassen, wie ihn nur wenige literarische Frauenfiguren haben, und noch weniger werden durch so einen Eigensinn symphatisch. Immerhin verlässt Holly Golightly Mann und Kinder, um sich auf das Wagnis der Großstadt New York einzulassen. Ihre Rebellion gegen das bürgerliche Familienglück führt sie in jenes mondäne Leben, gegen das die pubertierende Grady einst rebellierte. Sie weist die Bittgesuche ihres Ehemanns ab, sie macht sich lustig über lächerliche Verführungsversuche von Verehrern, sie könnte das Zeug zur Medea haben. Aber eines der großen Vermögen Capotes ist es, gerade aus jenen Charaktereigenschaften Sympathie für seine Figuren zu gewinnen, die normalerweise als hässlich oder unmoralisch gelten. Besonders in Capotes frühen Texten spürt man den melancholischen Blick eines Liebenden. Die Rebellionen seiner Frauenfiguren erscheinen als lustvolles selbstverständliches Aufbegehren und werden doch gleichermaßen in einer universellen Vergeblichkeit gezeigt, als Ansturm gegen Verfall und Tod.

    "All das würde weitergehen, diese Wellen, diese Dünenrosen, die ihre sonnengetrockneten Blütenblätter im Sand verstreuten: wenn ich sterbe, wird all das weitergehen: und es ärgerte sie, dass es so war. Sie erhob sich zwischen den Dünen und legte sich einen Schal um die Hüften, und dann ließ sie ihn wieder hinuntergleiten, denn es war niemand da, der sehen konnte, dass sie nackt war."