Dienstag, 16. April 2024

Archiv


"Das war absolut zwingend"

Die Kritik ist deutlich: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten hätten ihren Auftrag zu kritischem Journalismus bei der Tour de France vernachlässigt, so Winfried Hermann, sportpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Der Ausstieg sei richtig. Hermann fordert jetzt ein Anti-Doping-Gesetz.

Winfired Hermann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 17.10.2008
    Christoph Heinemann: ARD und ZDF werden nicht länger über die Tour de France berichten. Diesen Beschluss haben die Intendanten gestern gefasst. Eine Reaktion auf die nicht nachlassende Dopingwelle im Radsport. Das Geständnis des Österreichers Bernhard Kohl, das seinen Kollegen Stefan Schumacher aus dem Gerolsteiner-Team massiv unter Druck setzte, brachte das Fass offenbar zum überlaufen. Die Zeitung "Der Tagesspiegel" berichtete, dass es für die öffentlich-rechtlichen Sender unter Umständen schwierig werden könnte, aus den bis 2011 laufenden Verträgen mit der Europäischen Rundfunkunion EBU auszusteigen. Was ein Ausstieg für die Tour de France und auch die Deutschland-Tour übrigens bedeutete, erläutert Herbert Fischer-Solms von unserer Sportredaktion.

    Heinemann: Am Telefon ist Winfried Hermann, der sportpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen!

    WinfriedHermann: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Hermann, Sie sind auch Mitglied des Verkehrsausschusses. Für einen grünen Verkehrspolitiker müsste das eigentlich eine traurige Nachricht sein: weniger Fahrrad im Fernsehen.

    Hermann: Na ja, natürlich bin ich für Fahrradfahren, aber vor allen Dingen im Alltag und ungedopt. Wir reden ja jetzt über Doping im Radsport und der zwingenden Notwendigkeit, da jetzt mal Schluss zu machen.

    Heinemann: War das zwingend?

    Hermann: Das war absolut zwingend. Das war auch überfällig. Man hat so lange darüber gesprochen und es hat sich in den letzten Jahren ein Skandal an den nächsten gereiht. Die Verantwortlichen haben immer wieder gesagt, jetzt ist aber Schluss, wir räumen auf, wir fangen von neuem an, und dann ist der nächste Skandal gekommen und es war dann noch schlimmer. Man muss schon sagen, da haben sich viele unglaubwürdig gemacht. Vieles ist versprochen worden, auch etwa vom Verband, auch von den Organisatoren der Radtouren und übrigens auch von den Medien. ARD und ZDF haben ja auch immer wieder gesagt, sie treten dort jetzt von den Verträgen zurück, und haben es dann oft nicht gemacht. Jetzt ist, glaube ich, wirklich mal allerhöchste Zeit, dass man dem Radsport - das muss ich so pauschal sagen -, der völlig verseucht ist, solch ein klares Signal setzt und sagt, das wird nicht mehr übertragen, das interessiert die Leute nicht, das ist auch nicht mehr anständig. Diese Sprache werden wahrscheinlich diejenigen im Sport, die immer noch nichts begriffen haben, dann endlich begreifen.

    Heinemann: Nun könnte man der Meinung sein, dass im Radsport gedopt wird, wissen Zuschauer oder sie können es zumindest wissen. Gehört die Tour de France nicht mit zur Grundversorgung und wer das sehen möchte, der sollte sich das auch anschauen können?

    Hermann: Nein. Mit Sicherheit gehört die Tour de France nicht zur Grundversorgung. Mit Sicherheit ist es aber der Auftrag an die öffentlich-rechtlichen, dass sie Sport kritisch begleiten und dass sie gerade dann, wenn Sport eben nicht mehr vorbildlich ist und auch nicht mehr schön anzuschauen ist, statt der Berichterstattung eine kritische Hintergrundberichterstattung machen. Sie können ja noch, wenn die Tour überhaupt denn stattfindet, kurze Berichte machen, aber sie müssen dann halt auch zur Problematik des Dopings im Radsport berichten. Das muss man an der Stelle auch sagen. Gerade ARD und ZDF haben ja über viele Jahre leider Gottes überhaupt nicht diesen öffentlichen Auftrag wahrgenommen. Sie haben völlig unkritisch wie begeisterte Fans eigentlich berichtet, distanzlos und wie man weiß ja auch mit merkwürdigen Koordinatoren - der eine ist inzwischen im Gefängnis -, die verbandelt waren mit der Szene, wo man sagen muss, was ist das für ein Journalismus. Da müssen sich nicht nur die, die das gemacht haben, sondern auch die Verantwortlichen in der Führungsetage kritisch selbst befragen, wie lange haben sie da eigentlich einem schlechten Journalismus zugeschaut, ihn gewähren lassen und eben nicht auf kritische Distanz gedrängt. Das tun sie jetzt beginnend, aber das ist nicht alles. Ich finde schon, es ist jetzt auch an der Zeit, dass auch in der ARD und auch beim ZDF die eigene Radsportberichterstattung kritisch aufgearbeitet wird.

    Heinemann: Herr Hermann, hätten die öffentlich-rechtlichen diese Entscheidung auch getroffen, wenn ein deutscher Quotenbringer wie Jan Ulrich im internationalen Radsport heute noch mitradelte?

    Hermann: Die Frage kann ich schlecht beantworten. Ich kann da nur vermuten. Ich glaube, dass gerade in den Zeiten von Jan Ulrich man darin einen Quotenbringer gesehen hat und dann eben nicht mehr kritisch nachgefragt hat und vielleicht auch gar nicht nachfragen wollte, weil man gedacht hat, das ist ein Zugpferd. Da gucken die Leute unser Programm, und das ist ja auch gerade das, was ich kritisiert habe. Deswegen hat man jetzt auch diesen Eindruck. Jetzt wo die Welle gegen den Sport ist und auch viele Zuschauerinnen und Zuschauer sich abwenden und auch nicht mehr gucken, jetzt werden sie langsam mutiger. Aber immerhin: jetzt kommen sie so weit und sind bereit, das abzusagen.

    Heinemann: Winfried Hermann, die Staatsanwaltschaft Bonn hat Jan Ulrich vorgeworfen, den Arbeitgeber betrogen zu haben. Setzt voraus, dass der Arbeitgeber nichts wusste. Ist das Ihrer Meinung nach bei Gerolsteiner auch der Fall?

    Hermann: Man muss von der Berichterstattung her schließen, dass es tatsächlich so war. Insbesondere dem Herrn Holzer habe ich wirklich immer Vertrauen entgegengebracht. Der hat ernsthaft versucht, eine saubere Mannschaft zu machen. Da glaube ich, wenn der sagt, ich fühle mich hintergangen, ich fühle mich betrogen. Das ist übrigens auch für mich ein Anlass, noch mal darauf hinzuweisen, dass ich seit Jahren im Deutschen Bundestag für ein Anti-Doping-Gesetz kämpfe. Wir brauchen da endlich auch eine gesetzliche Grundlage für den Kampf gegen Doping. Ein Grundelement dieses Gesetzes war immer, dass wir einen Straftatbestand des Sportbetrugs brauchen, nämlich dass derjenige, der in einem Wettkampf entweder seinen Gegner oder seine Mitbewerber, seine Sponsoren, das Publikum mit Dopingmitteln betrügt, dass so einer, weil es ein Straftatbestand ist, dann eben halt auch staatlich verfolgt wird und nicht nur sozusagen mit den Sportgerichten.

    Heinemann: Aber vor einem Jahr wurde das Arzneimittelrecht doch verschärft?

    Hermann: Vor einem Jahr wurde das Arzneimittelrecht verschärft und wir haben ja damals immer und immer wieder gesagt, das ist nicht wirklich ein Anti-Doping-Gesetz, weil nur der Missbrauch von Arzneimitteln wird unter Strafe gestellt, aber nicht beim Athleten selber, sondern nur dann, wenn ein Trainer erwischt wird oder ein Arzt erwischt wird, das zu tun. Unsere Forderung lautet ja, derjenige, der es nimmt, muss als Betrüger bestraft werden, und das ist ja damals von der Großen Koalition leider, leider abgelehnt worden.

    Heinemann: Herr Hermann, Sie haben beantragt, dem Bund Deutscher Radfahrer die Fördermittel zu streichen. Radfahrpräsident Rudolf Scharping wird dem Sportausschuss des Bundestages demnächst Rede und Antwort stehen. Was erwarten Sie von Scharping?

    Hermann: Ich bin gespannt, was er da erzählt, denn er hat vor eineinhalb Jahren vieles angekündigt, was er tun wolle, um den Sport wieder sauber zu machen, und er ist praktisch komplett gescheitert. Er hat vieles von dem, was er versprochen hat, auch nicht eingelöst. Das muss ich schon sagen. Da bin ich ziemlich enttäuscht. Ich bin allerdings erfreut darüber, dass meine Kollegen im Sportausschuss zum ersten Mal einen Antrag der Opposition, den sie noch letztes Jahr mit Bausch und Bogen abgelehnt haben, sehr ernst erwogen haben und auch in Aussicht gestellt haben, dass sie unserem Vorschlag folgen werden und die Mittel sperren, wenn klar ist, dass der Bund Deutscher Radfahrer die Förderrichtlinien verletzt hat, wenn er den Auflagen, die das Ministerium dem Bund Deutscher Radfahrer gemacht hat, wie öffentlich bekannt geworden ist, tatsächlich nicht entsprochen hat, dass es dann jetzt wirklich an der Zeit ist, dass mal die Mittel gesperrt werden, denn eine andere Sprache verstehen offenbar die Radsportler und die Verantwortlichen nicht.

    Heinemann: Vielleicht auch andere Sportler nicht. - Ab welcher Dopingdichte sollten öffentlich-rechtliche Medien die Kameras und Mikrofone ausschalten?

    Hermann: Dafür gibt es noch keine Skala. Das muss man wirklich auch im Einzelfall immer abwägen. Beim Radsport ist es leider so, dass der völlig durchseucht zu sein scheint, und es scheint auch so zu sein, dass es immanente Strukturen gibt, die das immer wieder von neuem befördern. Wenn man sich mal überlegt, dass die jetzt entdeckten Dopingfälle ja mehrere Fälle sind, wo Sportler ein Medikament genommen haben, was noch nicht auf dem Markt ist, was in der Erprobungsphase ist. Das heißt, da muss es sozusagen einen medizinisch-sportlichen Komplex gegeben haben, die gedacht haben, das Mittel kann man jetzt verabreichen, ist noch nicht auf dem Markt, es gibt also auch kein Mittel, es herauszufinden und bei den Tests zu detektieren. Auf die Art und Weise haben die geglaubt, sie können alle austricksen. Das zeigt einfach: es gibt irgendwie mafiotische Verhältnisse und Strukturen und das ist einfach ein Milieu, was dort seit Jahrzehnten entstanden ist, und das muss man wahrscheinlich wirklich jetzt mal radikal abschneiden und beenden und wirklich einen ganz grundlegenden Neuanfang von unten machen mit neuen jungen Sportlern. Man muss wahrscheinlich all das alte Drecksgeschäft, nenne ich es mal, zur Seite legen und abstellen.

    Heinemann: Winfried Hermann, sportpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hermann: Auf Wiederhören. Danke schön!