Freitag, 29. März 2024

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Terrorismusexperte zum Anschlag in Halle
"Das war kein typischer Neonazi"

Der Attentäter von Halle habe sich klar am Norweger Anders Breivik und dem Attentat von Christchurch in Neuseeland orientiert, sagte der Sicherheitsexperte Peter Neumann im Dlf. Es gebe europaweit eine wachsende Gefahr durch Rechtsterrorismus. Durch Nachahmer könne zudem eine Art Welle entstehen.

Peter Neumann im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 10.10.2019
Einsatzkräfte vom SEK sichern die Umgebung. Bei Schüssen sind nach ersten Erkenntnissen zwei Menschen getötet worden.
SEK-Einsatzkräfte sichern nach dem Attentat in Halle die Umgebung (picture alliance/Swen Pförtner/dpa)
Jörg Münchenberg: Der Angriff auf eine Synagoge in Deutschland, würden Sie sagen, das ist eine neue Qualität auch für den Rechtsextremismus in Deutschland?
Peter Neumann: Das ist eine neue Qualität und wenn man sich anschaut, was da mittlerweile rausgekommen ist – es gibt ja mittlerweile ein Video des Attentäters und auch ein Manifesto -, dann zeigt das, dass das ein bisschen anders ist als die Rechtsextremen, die wir in der Vergangenheit gesehen haben. Das war kein typischer Neonazi, sondern das war ganz klar einer, der sich eher orientiert hat an Anders Breivik in Norwegen 2011, sogar an den Attentaten in Neuseeland, einer, der sich ganz stark auch im Internet radikalisiert hat und dessen Ideologie relativ flexibel war, aber ganz deutlich antisemitisch.
09.10.2019, Berlin: Ein Polizeibeamter läuft vor der Neuen Synagoge Berlin. 
Nach Angriff in Halle - Rechte Strukturen und die Motive des Täters
In Halle ist unter anderem der Sitz der rechten Identitären Bewegung, berichtet Dlf-Landeskorrespondent Christoph Richter. Auch ein rechter Verlag und ein verurteilter NSU-Unterstützer sind hier zu finden.
Anwachsen der sogenannten Hasskriminalität
Münchenberg: Würden Sie auch sagen, die Militanz, die Gewaltbereitschaft von rechts wächst?
Neumann: Das kann man in Deutschland feststellen. Das kann man aber im Prinzip überall in Westeuropa und natürlich auch in Nordamerika feststellen. In fast allen europäischen Ländern gibt es ein Anwachsen der sogenannten Hasskriminalität und eine wachsende Gefahr durch den Rechtsterrorismus auch. Diese Anschläge, die wir gesehen haben in Amerika, zuletzt in El Paso, in Texas, in Kalifornien, in Neuseeland, die sind alle in einer Linie und die orientieren sich auch alle aneinander. Die machen sich gegenseitig nach und es besteht natürlich die Gefahr, dass hier eine Art Welle entsteht, und da müssen natürlich die Sicherheitsbehörden ganz besonders aufpassen.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland äußert sich in der Würzburger Synagoge zu den Vorfällen in Halle
Zentralratspräsident: "Ich hoffe, dass man jetzt auch in Sachsen-Anhalt verstanden hat"
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat fehlende Schutzmaßnahmen für Synagogen in Sachsen-Anhalt kritisiert. Wäre an der Synagoge in Halle ein Polizeiposten gewesen, hätte der Attentäter früher gestoppt werden können.
Münchenberg: Herr Neumann, es ist inzwischen auch von rechtsextremen Netzwerken die Rede, die sich längst auch ins bürgerliche Lager ausgebreitet hätten, gerade auch in Ostdeutschland. Wie groß ist die rechtsextremistische Gefahr?
Neumann: Da kann man jetzt in diesem bestimmten Fall noch nichts Konkretes dazu sagen. Wir wissen noch nicht genügend über den Hintergrund dieses Attentäters, ob das einer war, der nur im Internet unterwegs war – und im Internet war er ganz bestimmt -, oder ob das auch jemand war, der tatsächlich von Angesicht zu Angesicht sich organisiert hat im rechtsextremen Milieu in Sachsen-Anhalt oder in Sachsen, wo er herkam. Das wissen wir momentan noch nicht, aber natürlich wäre es schon sehr besorgniserregend, wenn es da tatsächlich Kontakte auch über das Internet hinaus in die rechtsextreme Szene vor Ort gegeben hätte.
Einzeltäter - Herausforderung für die Sicherheitsbehörden
Münchenberg: Die Frage ist ja, Herr Neumann: Kann man solche mutmaßlichen Einzeltaten wie die jetzt von Halle überhaupt verhindern?
Neumann: Man kann sie sicher nicht insofern verhindern, wenn es Einzeltäter sind, die tatsächlich vor der Tat nicht kommunizieren, die nichts über ihre Tat bekanntgeben. Dann ist das für die Polizei schwer zu verhindern, weil es keine Kommunikation und keine Verbindung gibt, die man abfangen kann. Aber wir wissen aus empirischen Studien, dass selbst viele, dass über 60 Prozent der sogenannten Einzeltäter, der sogenannten einsamen Wölfe, wie sie manchmal beschrieben werden, vor der Tat ihre Tat kommunizieren. Das heißt, sie teilen das mit im Internet, sie reden darüber mit Freunden oder mit Bekannten, und diese Signale früher zu erkennen, früher abzufangen, sie ernst zu nehmen und dementsprechend zu handeln, ich glaube, das muss besser werden bei den Sicherheitsbehörden und auch in der Gesellschaft.
Münchenberg: Nun hat ja der Zentralrat der Juden auch die Polizei direkt kritisiert. Er hat gesagt, die Synagogen seien nur unzureichend geschützt gewesen, und das ausgerechnet am Feiertag Jom Kippur. Hat der Zentralrat recht?
Neumann: Das kann ich schlecht beurteilen, weil ich natürlich die genaue Sicherheitslage bei der Synagoge in Halle nicht kannte. Es hat mich schon, ehrlich gesagt, überrascht, so wie es jetzt aussieht, dass da keine Polizei, keine Sicherheit existiert hat. Ich glaube schon, dass sich das möglicherweise ändern muss, wenn es sich so herausstellt. Aber man muss auch dazu sagen, dass natürlich dieser Anschlag, so schrecklich er ist, auch im gewissen Sinne schiefgegangen ist, denn der Attentäter konnte nicht in die Synagoge hinein. Wenn man sich das Video anschaut, das wirklich schreckliche Video, das er geschossen hat, dann sieht man, dass er daran verzweifelt ist, dass er in diese Synagoge nicht hineingekommen ist, und dass die Opfer, die er letztlich dann erschossen hat, dass das quasi Leute waren, die er mitgenommen hat, weil er sein eigentliches Ziel, nämlich in die Synagoge reinzukommen, nicht erreicht hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.