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"Das war sicherlich harte Kritik"

Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, zeigt sich vom Rücktritt Horst Köhlers überrascht. Der eigentliche Beweggrund für diesen Schritt sei die mangelnde Unterstützung des Bundespräsidenten von Schwarz-Gelb gewesen.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 01.06.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon wartet der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin. Schönen guten Morgen, Herr Trittin.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen!

    Heckmann: Aus aktuellem Anlass zunächst eine Frage zum Thema Nordrhein-Westfalen. Der FDP-Landesvorstand in Düsseldorf, der hat gestern Abend grünes Licht für Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen gegeben, nachdem ja zuvor eine Ampel ausgeschlossen worden war. Sind die Grünen in Nordrhein-Westfalen bereit, in solche Gespräche einzutreten?

    Trittin: Wir hatten in Nordrhein-Westfalen erklärt, dass wir bereit seien, sowohl mit der Linkspartei wie mit der FDP über Alternativen zu einer Großen Koalition zu sondieren. Die Linkspartei hatte sich mit dem bekannten Ergebnis zu solchen Sondierungen bereit erklärt, haben sich allerdings nicht als koalitionsfähig und regierungsfähig erwiesen. Wenn die FDP nun ihre störrische Verweigerungshaltung aufgibt und doch bereit ist zu solchen Sondierungen, dann wird man die führen können. Wir haben immer gesagt, an uns scheitern solche Gespräche nicht.

    Heckmann: Und Sie würden im Zweifelsfall (die Grünen in Nordrhein-Westfalen) mit einer marktradikalen Partei zusammenarbeiten?

    Trittin: Die nordrhein-westfälischen Grünen – und die entscheiden das und nicht die Bundes-Grünen – werden in diesen Sondierungsgesprächen zu prüfen haben: ist in Zusammenarbeit mit der FDP es möglich, eine andere Politik gegenüber den nordrhein-westfälischen Kommunen zu machen, indem sie nicht mehr ausgeplündert werden, ist mit ihnen eine gemeinsame Beschulung, die Abschaffung von Studiengebühren, oder ist mit der FDP auch eine andere Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen zu machen? Das ist das, worüber in den Sondierungsgesprächen zu reden sein wird, und am Ende der Sondierungsgespräche wird dann zu bewerten sein, ob das möglich ist ja oder nein. Das sind erst mal ergebnisoffene Gespräche, aber die Ziele, die wir dabei haben, die sind eindeutig: eine andere Schulpolitik, Abschaffung der Studiengebühren, Klimaschutz und eine vernünftige Finanzausstattung für die Kommunen.

    Heckmann: Wir sprechen hier im Deutschlandfunk mit dem Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin. Herr Trittin, kommen wir zum eigentlichen Thema: zum Rücktritt Horst Köhlers als Bundespräsident. Er hat ja die Kritik an seinem Interview zum Afghanistan-Einsatz als Grund für seinen Rücktritt angegeben. Bereuen Sie jetzt seit gestern, dass die Kritik auch von Seiten der Grünen so harsch ausgefallen ist?

    Trittin: Das war sicherlich harte Kritik. Nichts desto Trotz: Wer sich mit politischen Positionen in die Debatte begibt, wer wie Horst Köhler ja Anstöße geben will, der kann nicht nur auf Lob, der muss auch mit Kritik rechnen, und in dem Fall hätten wir uns gewünscht, dass er seine Ausführung klarstellt, das was er da gesagt hat auch zurücknimmt.

    Heckmann: Das hat er ja getan in einer Erklärung, die letzten Donnerstag vorgelegt wurde.

    Trittin: Deswegen waren wir dann überrascht, dass nachdem er versucht hat, sich zu korrigieren, er dann zurückgetreten ist. Ich will nur darauf verweisen, dass der Hinweis auf Atalanta das nicht besser macht.

    Heckmann: Atalanta – das ist die Mission, das muss man zur Erklärung sagen, am Horn von Afrika vor Somalia.

    Trittin: Genau! Und diese Mission dient nicht der Absicherung des nationalen Handelsinteresses der Bundesrepublik Deutschland; sie dient der Absicherung der Region und des Friedens in dieser Region und sie beruht auf einem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und einem einstimmigen Beschluss der Europäischen Union, diese Mission gemeinsam zu führen, und ich glaube, dass viele Bundestagsabgeordnete, die dieser Mission zugestimmt haben, wie übrigens meine Fraktion und ich auch, sich in eine sehr falsche Ecke gestellt sehen, wenn man ihnen unterstellt, sie würden dort lediglich die Exportinteressen der deutschen Wirtschaft militärisch verteidigen.

    Heckmann: Hat ein Bundespräsident nicht das Recht, sich auch einmal missverständlich auszudrücken, wenn er sich dann hinterher korrigiert?

    Trittin: Das hat er ohne Zweifel und deswegen haben wir darum gebeten, dass er dieses klarstellt. Er hat dieses, wie wir finden, ungenügend getan, aber dass er daraus die Konsequenz eines Rücktritts zieht, das ist erst mal seine ganz persönliche Entscheidung, das wäre auch nicht nötig gewesen.

    Heckmann: Herr Trittin, Union und FDP sagen, das ganze, die ganze Geschichte jetzt, der Rücktritt von Horst Köhler, habe mit der Stabilität der Koalition in Berlin nichts zu tun, und genau betrachtet ist es ja auch so, denn an den Mehrheiten im Bundestag ändert sich damit nichts.

    Trittin: Ja, das ist so ein bisschen, wenn man im dunklen Wald ist und dann laut Lieder anstimmt, weil man sich fürchtet. Nun muss man festhalten: die Frau Merkel und der Herr Westerwelle haben, als sie 2004 Herrn Köhler in der Bundesversammlung gewählt haben, dies explizit als Signal angesehen für eine schwarz-gelbe Regierungsübernahme. Diese ist mit Jahren Verspätung dann im Jahre 2009 gelungen, und kaum ist diese im Amt, dann tritt der Kandidat dieser Koalition offenkundig wegen mangelnder politischer Unterstützung durch diese Koalition zurück. Dass dies nicht ohne Folgen bleibt für die Stabilität der Koalition, die gerade erst die Wahl in Nordrhein-Westfalen krachend verloren hat, das ist doch offensichtlich. Der Kern des Rücktritts von Horst Köhler beruht darin, dass er sich von dieser schwarz-gelben Koalition nicht mehr getragen fühlte, nicht mehr unterstützt fühlte, die ihn mit einer klaren parteipolitischen Begründung in dieses Amt gehoben hat.

    Heckmann: Die Bundeskanzlerin hat angekündigt, dass Union und FDP mit einem Personalvorschlag auf die Opposition zugehen werden, der zunächst unter den Koalitionspartnern ausgehandelt werden soll. Welche Kriterien müsste ein solcher Personalvorschlag erfüllen, damit die Grünen zustimmen könnten, und wären Personen wie Norbert Lammert oder Wolfgang Schäuble beispielsweise solche Persönlichkeiten, denen Sie Ihre Zustimmung geben könnten?

    Trittin: Ich werde mich jetzt nicht öffentlich an Spekulationen über einzelne Personen beteiligen. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass CDU/CSU und FDP jedenfalls rechnerisch eine Mehrheit in der Bundesversammlung haben. Ob das auch politisch eine Mehrheit wird, das weiß man bei einer Bundesversammlung nie so genau. Wenn jetzt der Anspruch besteht, tatsächlich einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu finden jenseits der Parteigrenzen, dann wäre das sicherlich dem Amt des Bundespräsidenten außerordentlich zuträglich. Es wäre sicherlich zuträglich, nicht erneut die Wahl eines Bundespräsidenten oder einer Bundespräsidentin – das wäre ja auch mal was – parteipolitisch so aufzuladen, wie es die Wahl von Horst Köhler gewesen ist, den man dann aber schlicht und ergreifend im Regen draußen stehen lassen hat.

    Heckmann: Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Jürgen Trittin. Danke Ihnen und einen schönen Tag.

    Trittin: Danke Ihnen!