Donnerstag, 28. März 2024

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Das Wesen des Theaters

Warum, warum? Diese Frage verhallt in diesem monologischen Stück von Peter Brook am Schauspielhaus Zürich. Miriam Goldschmidt vollzieht in diesem Ein-Frauen-Theaterstück den schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und sanfter Ironie. Im Zentrum steht dabei der fast leere Bühnenraum des Theaters selbst.

Von Cornelie Ueding | 18.04.2008
    "”Wie macht man Gefühle ohne selbst welche zu haben? Wie geht Lachen? Wie geht Weinen? Wie Angst - die Angst vor dem Bären - oder die Angst des Bären vor mir? Wie tritt man auf? Wie ab? Wie geht man? Steht man? Spricht man im Theater - und zu wem? Wie? Und: Warum?""

    Wenn Theatermacher über das Theater sprechen, wird es nicht selten angestrengt oder anstrengend, moralisch fordernd, eitel oder gar sentimental. Wenn Peter Brook Miriam Goldschmidt Texte großer Theatermacher über das Theatermachen sozusagen vor sich hinstellen und sie in ihrem Spiel und durch ihr Spiel befragen lässt, ist nichts davon zu spüren. Wie auch? Mit Shakespeare, seinem Shakespeare als imaginärem Partner und dritten Mann auf der leeren Bühne, kann da kaum etwas schief gehen. Besonders wenn eine Darstellerin wie Miriam Goldschmidt den schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und sanfter Ironie, zwischen naiver Theaterfaszination und professioneller Distanz zu den Ritualen des Mediums so treffsicher und schwerelos zu begehen versteht.

    So ist in Brooks etwas mehr als einstündiger Elementarschule des Theaters mehr über das Wesen des Theaters zu erfahren und zu erfassen als in ganzen Vortragszyklen. Vor allem das Wichtigste, nämlich erstens, dass Theater Humbug ist, zweitens, dass dieser trickreiche Humbug, bisweilen und in Glücksmomenten, eine göttliche Kreation sein kann, und dass drittens Ideologien der Tod des Lebendigen und damit des Theaters sind. Das Theater: der größtmögliche und wichtigste Experimentierraum, in dem die größten Absurditäten, Monstrositäten und Gewöhnlichkeiten hautnah nachempfunden und zugleich auf Abstand gehalten werden können. In dem man den Körper zugleich aktiviert und betrügt. Und das Denken überwindet und schärft.

    Miriam Goldschmidt betritt den leeren Raum auf dem schmalen Durchlass zwischen den leicht übereck gestellten Zuschauerpodesten, beschreibt ihn in Worten, die, wie fast alles, was sie sagen wird, auf einem der vielen im Raum verteilten Zettel stehen - und sie erfasst ihn durch die Art ihrer Bewegungen und ihres Sprechens, ihres Innehaltens, Schauens, Beobachtens.

    Sie sieht vor sich, wovon sie spricht - und sie macht die Zuschauer sehen, lachen, den Atem anhalten, wenn sie in den erzählten, dem Publikum erzählten, immer wieder durch Nachfragen, Abwinken, Ironisieren unterbrochenen, abgebrochenen Episoden Neugier und Spannung evoziert und steigert. Sie demonstriert, so richtig schön melodramatisch, wie das so geht mit Anweisungen für Schauspieler - demontiert, persifliert sie, macht es dann selber, beiläufig, natürlich ganz anders - sehr komisch und plötzlich, selbst in Momentaufnahmen eines einzigen erschreckenden Augenblicks, packend, anrührend, ergreifend - bevor sie mit einem schnellen Blick Einverständnis mit dem Publikum herstellt und wieder abwinkt.

    Miriam Goldschmidts Ein-Frauen-Theater balanciert an den Kippstellen von Ambivalenzen und Widersprüchen, macht uns Geistererscheinungen am hellen Tage, Wortüberflutungen bei angehaltenem Atem und Lear-artige Abstürze auf planer Fläche sinnenfällig. Dem Musiker Francesco Agnello, der einem geheimnisvollen Beckengefäß durch Antippen, Drüberstreichen, Klopfen wundersame Klänge entlockt, gibt sie den Einsatz; und eine Geste von ihr lässt den Klangzauber wieder verstummen.

    Ähnlich wirkungssicher die Rollen wechselnd, die szenischen Reflexionen mit der leicht karikierten Privatheitspose und Verständnisinnigkeit einer Moderatorin tauschend, bezieht sie das Publikum ein in ihre episodenartig skizzierten theatralischen Lebenswelten. Und am Ende übersetzt sie, existenziell, fast wie ein Kleist’sches "Ach", die theatralische Gretchen-Frage als die raffinierteste, göttlich-kindliche Frage nach dem "Warum".

    Diese "Leerstunde" mit zwei ee und einer grandiosen Schauspielerin, einem Musiker, Theaterlicht, einem Stuhl und einem Türrahmen auf Rollen, ist vielleicht so etwas wie ein Vermächtnis des großen alten Peter Brook. Ganz sicher ist sie ein ziemlicher Auftrag und eine Verpflichtung für alle, denen der leere Raum etwas bedeutet. Man müsste es zur Pflichtveranstaltung für alle mit der Event- und Gewalt-Keule agierenden Regisseure machen können. Wenn so was zu sagen nicht schon wieder gegen den Geist des Brook’schen Theaters verstieße.