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"Das Wort Sparsamkeit kommt schon vor"

In Berlin nimmt der Bundestag heute seine viertägigen Beratungen über den Haushaltsentwurf der Regierung für 2010 auf, der Ausgaben in Höhe von 325,4 Milliarden Euro vorsieht. Mit einer Neuverschuldung von immerhin 85,8 Milliarden Euro hätte eine schwäbische Hausfrau allerdings Schwierigkeiten, räumte Finanzminister Wolfgang Schäuble ein.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Sandra Schulz | 19.01.2010
    Sandra Schulz: Ausgaben in Höhe von rund 325 Milliarden Euro, eine Rekord-Neuverschuldung von wohl mindestens 86 Milliarden Euro. In der aktuellen Debatte zwischen Union und FDP um eine große Steuerreform lohnt sich die Erinnerung an diese Daten, um die Diskussion noch einmal mit der Realität zu erden. Es sind die Eckdaten des Haushaltsentwurfes, der ganz im Zeichen der Krise steht. An Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geht die Frage, woran man denn merkt, dass das Leitbild der schwäbischen Hausfrau, das Bundeskanzlerin Angela Merkel ja mal bemüht hat, auch Leitbild der Haushaltspolitik ist?

    Wolfgang Schäuble: Na ja, ich habe gelegentlich schon gesagt, das Leitbild der schwäbischen Hausfrau ist insofern sehr gut: niemand kann auf Dauer mehr Geld ausgeben, als er einnimmt, aber natürlich gehört Kreditaufnahme auch zu Einnahmen und der Bundeshaushalt in einer modernen Volkswirtschaft hat eine so große wirtschaftliche Bedeutung, dass er natürlich schon sich dieser wirtschaftspolitischen Gesamtverantwortung bewusst sein muss. Deswegen mussten wir richtigerweise - das ist ja auch völlig unbestritten, national wie international - auf eine ganz außergewöhnliche Krise von Wirtschaft und Finanzen reagieren, indem wir nicht prozyklisch die Krise verstärkt haben, sondern den rückläufigen Beitrag von Steuereinnahmen durch höhere Neuverschuldung ausgleichen, und das führt zu dieser hohen Neuverschuldung. Da würde eine schwäbische Hausfrau ein bisschen Schwierigkeiten haben mit einer Neuverschuldung immerhin von 85,8 Milliarden Euro.

    Schulz: Das Wort Sparsamkeit ist da jetzt noch nicht vorgekommen. Wo liegen denn die Sparpotenziale?

    Schäuble: Das Wort Sparsamkeit kommt schon vor, weil wir ja mit dem Entwurf dieses Bundeshaushalts trotz all den Dingen, die wir im Koalitionsvertrag als Sofortmaßnahmen zusätzlich für den 1. Januar beschlossen haben. Das ist inzwischen ja auch in Kraft. Das rechnet sich in einer Größenordnung von zehn Milliarden zusätzlicher Ausgaben, insbesondere für die gesetzliche Krankenversicherung 3,9 Milliarden Euro zur Stabilisierung der Beiträge, also zum Ausgleich für die krisenbedingten Beitragsmindereinnahmen, oder auch das Sofortprogramm für die Landwirtschaft, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, alles in allem zehn Milliarden Mehrausgaben, Mindereinnahmen, und trotzdem halten wir die Neuverschuldung, wie wir sie im ersten Regierungsentwurf in der vergangenen Legislaturperiode schon mit 86,1 Milliarden damals vorgesehen haben, ein. Das ging nur, indem wir in allen anderen Positionen äußerst restriktiv gewesen sind, und darauf hat sich die Bundesregierung verständigt.

    Schulz: Gleichzeitig muss die Sparsamkeit, wenn man das denn überhaupt Sparsamkeit nennen will, noch in ganz andere Dimensionen vordringen, denn es müssen ja ab dem nächsten Jahr Milliarden auch in zweistelliger Höhe eingespart werden. Deswegen noch mal die Frage: Wo liegen denn die Sparpotenziale, die Sie gerade nicht beantwortet haben?

    Schäuble: Im Augenblick machen wir den Haushalt 2010, und das ist eben so, das ist die volkswirtschaftliche Bedeutung des öffentlichen Sektors, dass man nicht in eine Krise hineinspart. Wir hatten im vergangenen Jahr einen Rückgang des Volkseinkommens, des Bruttoinlandsprodukts von fünf Prozent. Das hat es in der Geschichte der Nachkriegszeit auch nicht annähernd vergleichbar gegeben. Es hat überhaupt niemand für möglich gehalten, dass das entsteht. In einer solchen Krise muss man zunächst einmal gegensteuern mit dem öffentlichen Haushalt. Und dann - so sieht es das Grundgesetz vor, so sieht es der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt vor - müssen wir, sobald die Krise überwunden ist, allmählich, Schritt für Schritt die zu hohe Neuverschuldung wieder zurückführen. Das wird ab dem Jahre 2011 beginnen.

    Schulz: Und wo wollen Sie das machen?

    Schäuble: Darüber führen wir gerne dann Gespräche, wenn wir den Haushalt 2011 aufstellen. Das wird Ende Juni der Fall sein. Wissen Sie, das hat jetzt nichts mit der schwäbischen Hausfrau zu tun, es sei denn, sie geht auch wandern in der schwäbischen Alb, oder ich stamme aus dem Schwarzwald. Da weiß die Hausfrau und ich weiß es auch noch: wenn man beim Gehen immer an den übernächsten Schritt denkt, dann gerät man in Gefahr zu stolpern. Wir müssen uns jetzt um diesen Haushalt 2010 kümmern. Der muss auch erläutert werden, der muss auch in seiner Richtigkeit geprüft werden in der parlamentarischen Beratung, und im Übrigen: 85,8 Milliarden Euro sind ja wahrlich kein Pappenstiel. Das muss man erläutern, begründen, sorgfältig prüfen, und dann entscheiden wir im Parlament. Und dann kommt der nächste Schritt. Das ist dann 2011, aber das wird in der Jahresmitte sein, und deswegen bitte schön verstehen Sie, heute reden wir über den Haushalt 2010.

    Schulz: Ja, Herr Schäuble. Ich rede vor allem auch deswegen über das, was in der Zukunft kommt, weil das viele Wähler, auch Millionen von Wählern in Nordrhein-Westfalen interessiert, die ja im Mai an die Wahlurnen gebeten werden. Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt, dass die die Katze im Sack einkaufen sollen?

    Schäuble: Die kaufen überhaupt keine Katze im Sack und im Übrigen geht es bei Landtagswahlen immer um die Zukunft des jeweiligen Bundeslandes. Natürlich ist die eingebettet in die Entwicklung des Bundes. Die Schuldenbremse im Bundeshaushalt, die steht im Grundgesetz, die kann sich jeder ausrechnen. Aber was das im einzelnen bedeutet, das muss man dann im Lichte der Entwicklung zur Jahresmitte bei der Aufstellung des Bundeshaushalts für 2011 und im Übrigen auch bei der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung entscheiden. Jetzt haben wir als ersten Schritt zunächst einmal für 2010 den richtigen Weg zu finden, der uns aus dieser Wirtschaftskrise den Weg herausfinden lässt. Wir haben die Wirtschaftskrise nämlich nach nationaler wie europäischer und internationaler Beurteilung noch nicht überwunden.

    Schulz: Herr Schäuble, jetzt können Sie die EU-Kommission nicht so hinhalten wie die Wähler in Nordrhein-Westfalen. Es muss im Februar das Stabilitätsprogramm eingereicht werden. Gehen Sie darin denn davon aus, dass die große Steuerreform 2011 kommt?

    Schäuble: Das Stabilitätsprogramm, das was wir entsprechend dem Stabilitäts- und Wachstumspakt Anfang Februar der Kommission vorlegen müssen, was übrigens auch erst ein Zwischenbericht ist, auch da müssen wir erst im Laufe der kommenden Monate das ein Stück weit genauer charakterisieren, das wird die Bundesregierung in der kommenden Woche im Kabinett entscheiden, das muss ja die Regierung als Ganzes entscheiden, und da werden wir sehr genau die Anforderungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts erfüllen. Die entsprechen im Übrigen - da geht es zwar um das gesamtstaatliche Defizit - Bund, Länder, Kommunen und die gesetzlichen Sozialversicherungen zusammengerechnet wird in diesem Jahr voraussichtlich etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein, womit wir die Defizitgrenze überschritten haben. In diesem Jahr werden wir bei sechs Prozent voraussichtlich landen und das müssen wir bis zum Jahre 2013 wieder auf die drei Prozent, die Grenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, zurückführen, und das wird die Bundesregierung aufzeigen, wie sie es tut, und sie wird dabei dann auch sagen, wenn wir im Sommer entscheiden sollten, zusätzliche steuerlichen Maßnahmen in Kraft zu setzen, werden wir das natürlich im Rahmen der Anforderungen sowohl der Schuldenbremse des Grundgesetzes wie des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes tun. Ob und wann wir es tun, das wird die Koalition Mitte des Jahres entscheiden.

    Schulz: Herr Schäuble, und wenn Sie jetzt diese Schwierigkeiten skizzieren und noch mal die finanziellen Zwänge auch in den Vordergrund rücken, dann habe ich das richtig verstanden, dass Sie gegenüber der EU jetzt erst mal davon ausgehen, dass die Entlastungen in weiteren Milliardenhöhen nicht kommen?

    Schäuble: Gegenüber der EU muss ich immer in der Prognose vom geltenden Recht ausgehen. Das ist wie bei der Steuerschätzung, da gibt es ja auch gesetzliche Vorgaben. Wir alle sind an Verfassung und Gesetz gebunden.

    Schulz: Also ja oder nein?

    Schäuble: Ich habe es Ihnen gerade gesagt: ich muss vom geltenden Recht ausgehen. Zugleich füge ich hinzu, werde ich jetzt der Bundesregierung vorschlagen zu sagen, wenn wir das Recht ändern, werden wir gleichwohl darauf achten, dass wir sowohl die Schuldengrenze des Grundgesetzes als auch die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes einhalten.

    Schulz: Wir sprechen über den Haushalt 2010, über die prekäre finanzielle Lage der öffentlichen Kassen. Großbritannien und die USA bessern selbige jetzt ja auf, indem sie auch große Banken und Banker in die Pflicht nehmen. Die Bundesregierung zeigt sich da zurückhaltend. Warum eigentlich nach dem Krisenjahr 2009?

    Schäuble: Die Bundesregierung hat ja schon sehr früh darauf gedrängt, dass wir möglichst global uns darauf verständigen in Richtung einer Finanztransaktionssteuer, oder worüber man sich global verständigen wird. Es war nicht zuletzt der Initiative der Bundeskanzlerin zu verdanken, dass beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, beim letzten G20-Treffen, ja der IMF beauftragt worden ist, Vorschläge zu machen, wie eine solche weltweite Regelung aussehen kann.

    Schulz: Aber jetzt sagen wir hinterher, wo ist die Dynamik geblieben?

    Schäuble: Die Dynamik ist darin, dass der IMF diese Vorschläge bis zum nächsten Treffen der Staats- und Regierungschefs vorlegen muss. Es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, dass zum ersten Mal auch die Vereinigten Staaten von Amerika in diese Richtung ganz offensichtlich denken, denn die Vorschläge, die wir jetzt von Präsident Obama gehört haben, die Sie zitieren, gehen ja in dieselbe Richtung, und deswegen sehe ich darin eine verbesserte Chance, dass wir genau das erreichen, was die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung möchte, nämlich eine weltweite Regelung zu machen. Auch die Briten sind an bestimmten Regelungen interessiert und wir wissen ja - das ist ja das Problem -, es nützt überhaupt nichts, wir können in Deutschland national gar nichts alleine in Kraft setzen, angesichts der weltweiten Verflechtung der Finanzmärkte helfen uns Regelungen nur, wenn sie möglichst nicht nur in Europa, sondern weltweit vereinbart werden. Das ist schwerer getan als gesagt, und daran arbeitet die Bundesregierung zielgerichtet seit langem und die Anzeichen mehren sich, dass wir wirklich zu einem solchen Konsens kommen können. Deswegen sinken wir nicht hintendrein, sondern es zeigt sich, dass die Initiativen der Bundeskanzlerin allmählich zunehmend von Erfolg gekrönt zu sein scheinen.

    Schulz: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Gespräch mit den "Informationen am Morgen". Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.