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Das Wunder von Bernd

Als Bernd Neumann vor zwei Jahren als Kulturstaatsminister ins Kanzleramt geholt wurde, stieß der Bremer CDU-Politiker in der Kulturszene auf Zurückhaltung. Doch Neumann schaffte es, den Etat für Kultur und Medien um 40 Prozent anzuheben und kann daher nach der Hälfte seiner Amtszeit eine positive Bilanz ziehen.

Von Christoph Schmitz | 16.11.2007
    "Chapeau: Kulturstaatsminister Neumann - 400 Millionen Euro mehr für die Kultur", so verbeugt sich heute der Deutsche Kulturrat in einer Pressemitteilung vor dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann, CDU. 400 Millionen Bundesmittel zusätzlich. Vergleicht man das mit dem Etat von 1,1 Milliarden Euro, dann ist das ein Plus von rund 40 Prozent, wenn auch als einmaliger Sonderposten. Selbst der Kulturrat, der Dachverband der Kulturschaffenden in Deutschland, der die kleinste kulturpolitische Regung seismografisch registriert, kühl analysiert und kritisiert, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

    Die bereits zugesagten Mittel für die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden und für die Klassik-Stiftung in Weimar müssen nicht im ursprünglichen Kulturhaushalt umgeschichtet werden. Niemand bekommt also weniger, sondern viele mehr. Mit solchen Überraschungen konnte Neumann in den vergangenen zwei Jahren immer wieder aufwarten. Für das Eingangsgebäude der Berliner Museumsinsel standen plötzlich 72 Millionen Euro zur Verfügung, für die Förderung des deutschen Films jährlich 60 Millionen, 220.000 Euro für den von Tintenfraß befallenen Goethe-Schiller-Briefwechsel. Und seinen Parteifreund Oettinger hat Neumann daran gehindert, mittelalterliche Handschriften ins Ausland zu verkaufen - um nur einige Beispiele zu nennen.

    So spontan einerseits der distanzierte Hanseat aus Bremen an der Seite Angela Merkels sich kümmert, wenn es brennt, auch im Wortsinn, wie nach dem verheerenden Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, so standhaft und beharrlich hat er andererseits seine Ziele verfolgt. Das im Koalitionsvertrag beschlossene "sichtbare Zeichen" zur Erinnerung und Dokumentation der deutschen Vertriebenen infolge des Zweiten Weltkriegs wird entstehen. Obwohl das Projekt von Rot-Grün zugunsten eines europäischen Netzwerkes ad acta gelegt worden war und sich die SPD nur schwer dafür erwärmen ließ. Und obwohl die polnischen und tschechischen Bedenken massiv waren, von denen aber jetzt nichts mehr zu hören ist.

    Standhaft ist Neumann auch beim Berliner Opernstreit geblieben. Mit der Opernstiftung hatte sich Berlin ja dazu verpflichtet, den Bestand der drei Häuser zu sichern. Der Bund hatte im Gegenzug zahlreiche andere Berliner Kulturinstitutionen übernommen, um die marode Landeskasse zu entlasten. Als Wowereit dann doch den Bund frech zur Übernahme der Lindenoper verdonnern wollte, ließ der Mann im Kanzleramt ihn nüchtern abblitzen: Berlin solle zuerst einmal seine Hausaufgaben machen. Doch Neumann kennt sehr gut die Grenzen des Machbaren und lässt ein Projekt, das keinen Erfolg verspricht, rechtzeitig scheitern, wie die Fusion der Bundeskulturstiftung mit der Kulturstiftung der Länder. Nach dem Willen der Länder, hätte der Bund zwar zahlen, aber kaum noch mitbestimmen können. Das kann ein Kulturstaatsminister nicht wollen.

    Wie kein anderer seiner drei Vorgänger hat Bernd Neumann die kulturpolitischen Rahmenbedingungen verbessert. Seinen Etat hat er Jahr für Jahr überdurchschnittlich erhöhen können und sich am Kabinettstisch entschieden für die Belange der Kulturschaffenden eingesetzt, auch wenn für die Entscheidungen andere Minister zuständig waren. Die Finanzierung der Künstlersozialkasse wurde so gestärkt, die Novelle des Urheberrechts vor dem Schlimmsten bewahrt, der ermäßigte Steuersatz für Kulturgüter erhalten.

    An Einfluss verloren hat Neumanns Ressort eigentlich nur durch die Föderalismusreform. Der Kulturstaatsminister darf den Bund in der EU nicht mehr repräsentieren. Diese Funktion handeln die Kultusminister der Länder unter sich aus. Die Bundeskulturpolitik hat in Brüssel kein Gesicht mehr. Auch Neumanns Start ins Amt ist alles andere als glücklich verlaufen. Er fremdelte mit der Kulturszene und diese mit ihm. Doch nach zwei Jahren kann Neumann vielleicht mit weniger schönen Worten als seine schöngeistigen Vorgänger aufwarten, dafür aber mit einer hübschen praktischen Bilanz. Aber auch in der symbolischen Politik hat er hinzugelernt. Als die Mozart-Oper Idomeneo aus Angst vor islamistischen Übergriffen von der Deutschen Oper in Berlin abgesetzt wurde, erhob Neumann die Stimme für die Kunstfreiheit.

    Wichtige Aufgaben aber liegen noch vor ihm: die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt muss mit Leben gefüllt, die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. Der Deutsche Kulturrat aber schätzt den aktuellen Stand richtig ein, Zitat: "Die kulturpolitische Halbzeitbilanz der Großen Koalition fällt positiv aus."