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"Das Ziel bleibt"

Rainer Brüderle (FDP) will neben Subventionskürzungen und -Befristungen auch bei der ermäßigten Mehrwertsteuer tätig werden. Doch trotz aller Sparzwänge sagt Brüderle: "Wir wollen die steuerliche Entlastung".

06.06.2010
    Gerhard Schröder: Herr Brüderle, mit dem Wort "historisch", da muss man vorsichtig umgehen. Aber diese Woche, das war wohl eine historische, geprägt von dem Rücktritt des Bundespräsidenten, geprägt auch von der Suche nach einem Nachfolger. Wenn Sie zurückblicken, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie vom Rücktritt Horst Köhlers gehört haben?

    Rainer Brüderle: Ich war völlig überrascht, konnte es eigentlich nicht glauben. Im ersten Moment, als die Information mir zugetragen wurde, habe ich das für einen Scherz gehalten. Ich war deshalb überrascht, weil ich ihn ja schon länger kenne, besonders schätze als einen in aktuellen finanzwirtschaftlichen Fragen besonders kompetenten Mann. Er ist ja ein Ökonom, deshalb hab ich es als großen Verlust empfunden, dass jemand in diesem Moment, wo gerade diese Fragen im Vordergrund stehen, an der Spitze des Staates offenbar resigniert und aufgibt.

    Schröder: Fehlte ihm die Unterstützung auch von der schwarz-gelben Koalition?

    Brüderle: Ich glaube das weniger, dass das der Grund war, wir haben auch zu ihm gestanden. Ich glaube, dass eher der Stil, der sich entwickelte, seine Entscheidung beeinflusst hat. Es war eigentlich aus guten Gründen immer Tradition, dass sich das Staatsoberhaupt aus der tagespolitischen Debatte herausgehalten hat. Und ich glaube, das war auch ein Punkt, der ihm zu schaffen machte – wo er sagte, er vermisst den Respekt gegenüber dem Amt. Und da ist leider die Diskussion nicht gut gelaufen, dass man eben versucht hat, ihn zu instrumentalisieren in der Tagespolitik. Es wäre gut, dass man davon wieder wegkommt.

    Schröder: Horst Köhler war der Kandidat von Union und FDP, sie haben ihn ins Amt gebracht. Sein Rücktritt fällt auch jetzt auf Sie zurück. Können Sie, jetzt eine Woche nach dem Rücktritt – sechs Tage nach dem Rücktritt –, schon ermessen, wie tief die Spuren sind, die sein Rücktritt bei Union und FDP hinterlässt?

    Brüderle: Gut, wir standen ja zu ihm. Die Kritik in die Tagespolitik hineingetragen haben andere, das waren nicht die, die ihn gewählt haben.

    Schröder: Aber trotzdem, sein Rücktritt war ein Schlag für Union und FDP.

    Brüderle: Das war ein Schlag für das Land. Er war ja nicht der Präsident von Union und FDP, er war der Präsident aller Deutschen. Und insofern war das, glaube ich, für das ganze Land im Moment ein völlig neues Erlebnis. Und man brauchte auch ein bisschen Zeit, bis man reagieren konnte.

    Schröder: Hat sein Rücktritt das Amt des Staatsoberhauptes beschädigt?

    Brüderle: Nein, aber es hat deutlich gemacht, dass andere, die tagespolitische Diskussion in das Amt hineinziehend, es meines Erachtens ein Stück beschädigt haben.

    Schröder: Christian Wulff, der Regierungschef von Niedersachsen, soll sein Nachfolger werden. Was muss er tun, um verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen, um die Wogen zu glätten. Was erwarten Sie von ihm?

    Brüderle: Die Aufgabe des Staatsoberhauptes ist, zusammenzuführen. Es muss ja eine Stelle im Land geben, das – jenseits der notwendigen parteipolitischen Auseinandersetzung, der parlamentarischen Auseinandersetzung – ein Stück herausgehoben ist, ein Stück Stabilitätsanker für das gemeinsame Land darstellt. Das muss der Bundespräsident sein.

    Schröder: Wäre es dann nicht die richtige Antwort gewesen, wenn Regierung und Opposition gemeinsam nach einem Nachfolger gesucht hätten – wenn Sie gerade diese Überparteilichkeit betonen?

    Brüderle: Ja gut, das haben andere genau so gemacht. Wenn Sie eine Mehrheit haben, wird von der Mehrheit gewählt. Das hat die SPD mit anderen Mehrheiten ja auch gemacht. Als Rau gewählt wurde, da haben sie auch nicht den Konsens mit anderen politischen Kräften gesucht. Es ist ja eine klare Mehrheit in der Bundesversammlung da, insofern ist es wohl legitim, sich auf einen Kandidaten zu verständigen. Und die Einladung ist: Es ist ein respektabler Kandidat, ihn mit zu unterstützen.

    Schröder: Ursula von der Leyen, die Arbeitsministerin, galt eine Zeit lang als Favoritin, zumindest in der veröffentlichten Meinung. Ihre Kandidatur hätte erstmals die Chance gebracht, dass eine Frau das oberste Staatsamt bekleidet. Was sprach gegen sie?

    Brüderle: Das war ja nicht meine Entscheidung, das war die Entscheidung der drei Parteivorsitzenden, die sich verständigt haben auf eine Person. Ich halte sie für eine sehr respektable Persönlichkeit, das gilt genau so für Herrn Schäuble und für andere.

    Schröder: Aus Sicht der FDP sprach nichts gegen sie?

    Brüderle: Sie ist jemand, die respektiert wird und gut ihren Job macht. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, wenn die Union einen Vorschlag macht, dass die FDP die Auswahl trifft.

    Schröder: Erstaunlich ist, dass ein FDP-Kandidat die ganze Zeit nicht im Gespräch war. Woran liegt das? Fehlt der FDP da eine überzeugende Kandidatin, ein überzeugender Kandidat?

    Brüderle: Nein, überhaupt nicht. Ich bin überzeugt, die FDP hätte auch gute Kandidaten, die CSU auch. Aber wenn man eine gemeinsame Koalition bildet, dann muss man sich auf eine Person verständigen. Natürlich heißt das nicht, dass es nicht andere Kandidaten gäbe und nicht andere vorgeschlagen werden könnten.

    Schröder: Christian Wulff wird nun gegen Joachim Gauck, dem Kandidaten von SPD und Grünen, in der Bundesversammlung antreten. Wie bewerten Sie das? Joachim Gauck ist ein angesehener Mann, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler. Kann er darauf hoffen, dass er auch Stimmen aus dem schwarz-gelben Lager bekommt? Gerade in Ostdeutschland genießt er hohe Sympathien, also wird es ein enges Rennen?

    Brüderle: Ich glaube, es wird ein klares Rennen von der Mehrheitskonstellation her. Aber es war immer so bei Bundesversammlungen, dass nie alle Formationen hundertprozentig bestanden. Das gab es immer, das ist kein neues Phänomen.

    Schröder: Wie bewerten Sie das jetzt, eine Woche nach dem Rücktritt mit der Findung eines Nachfolgers von Union und FDP. Sind die Wogen da geglättet, ist dieses Erdbeben, von dem die Rede war, nicht mehr zu spüren?

    Brüderle: Das Erdbeben war die Entscheidung des Bundespräsidenten mit dem Vorlauf der Verletzung – aus meiner Sicht – der politischen Kultur in diesem Land. Wichtig war, dass man schnell auch zu Entscheidungen kommt und zeigt, dass man handlungsfähig ist.

    Schröder: So schnell wird sie nicht zur Ruhe kommen. Heute um 14 Uhr wird die Regierung zur Kabinettsklausur im Kanzleramt zusammentreten. Es geht darum, zehn Milliarden im nächsten Jahr einzusparen, in den Folgejahren auch jeweils zehn Milliarden. Da gibt es noch viel Streit darum, auch zwischen den Koalitionsparteien. Herr Brüderle, wo setzen Sie denn an, wo muss diese Koalition sparen?

    Brüderle: Sie muss generell sparen, und zwar intelligent sparen – nämlich so, dass wir die wirtschaftlichen Probleme – die Lösung – befördern, die Lösung, die zu erreichen ist: Innovation, Innovation, Innovation. Das heißt, dass der Forschungs- und Bildungsbereich sowie der Entwicklungssektor eine ganz besondere Schwerpunktsetzung hat. Und die Koalition hat ja trotz der bekannten Haushaltsengpässe sich entschieden, zwölf Milliarden für diese Legislaturperiode draufzusetzen, zusätzlich auszugeben. Deshalb wird man diese Bereiche besonders bewahren müssen. Wir brauchen das, damit die Strukturprobleme Deutschlands gelöst werden. Der Umkehrschluss ist, dass man in andere Bereiche reingehen muss, das gilt für alle Ressorts, das gilt auch für mein Ressort, dass man querbeet einsparen muss. Wenn man jetzt mal Forschung und Entwicklung außen vornimmt, kommt man auf einen Einsparprozentsatz von zwölf Prozent und mehr. Das ist schon kräftig. Das werden wir auch halten, dabei bleiben wir. Ich will auch zwei Beispiele nennen – dass wir etwa bei der Steinkohleförderung versuchen, stärker einzusparen, und wir werden auch in der regionalen Wirtschaftsförderung, der Gemeinschaftsaufgabe, weitere Einsparmaßnahmen aufgreifen müssen.

    Schröder: Verstehe ich Sie richtig: Ihr Ansatz ist, gleichmäßig über alle Ressorts einen bestimmten Prozentsatz, also die Rasenmähermethode, alle müssen gleichmäßig beitragen zur Einsparung?

    Brüderle: Exakt nicht. Ich habe gesagt, dass wir genau die Bereiche, die den Wachstumspfad erhöhen – Forschung, Entwicklung, Bildung –, ausnehmen wollen. Da müssen wir ...

    Schröder: ... und die übrigen?

    Brüderle: Die übrigen müssen wir einsparen. Es ist unterschiedlich. Es gibt ja einige Ressorts – wir haben ja kräftig die Anwendungen nach oben geschraubt und Wertforderungen gestellt. Das muss man auch berücksichtigen, dass nicht der, der keine Wertforderungen gestellt und die Einsparwünsche des Finanzministers gleich aufgegriffen und gesagt hat: Jawohl, das machen wir, wir setzen es runter – das darf ja nicht zu dem Ergebnis führen, dass die, die konstruktiv mitsparen, dann stärker herangenommen werden und die, die es aufblähen, kommen günstig davon. Es muss von der Sache her geprägt sein. Und das wird die Aufgabe sein, dass man das Einsparvolumen – das kann auch über die zehn Milliarden hinausgehen, das für das nächste Jahr ansteht –, dass wir das schaffen, dass wir am Montag, wenn wir die Beratungen abschließen, sagen: Okay, wir haben es geschafft.

    Schröder: Größter Posten im Haushalt ist der Etat von der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, 143 Milliarden gehen für Arbeits- und Sozialpolitik drauf. Wird das auch der Bereich sein, wo am stärksten eingespart werden muss? Sind hier die größten Reserven?

    Brüderle: Da muss man auch wieder unterscheiden. Ich nehme mal jetzt heraus als Beispiel die Bundesagentur für Arbeit, ein sehr großer Brocken dieser Ausgaben, die Sie ansprechen. Da gibt es konjunkturelle Arten von Maßnahmen und es gibt strukturelle. Bei der strukturellen muss man auch zurückführen. Ich habe deshalb vorgeschlagen: Ja, von diesen strukturellen Ausgaben muss ein bestimmtes Volumen zurückgeführt werden unter Wahrung der Selbstständigkeit der Bundesagentur für Arbeit, nicht in den Bundeshaushalt eingliedern. Das gibt man ihr vor und das muss sie einfach schaffen.

    Schröder: Aber wo konkret schlummern denn da die Reserven? Von der Wirtschaft ist zu hören: Wir müssen bei den Ausgaben für Langzeitarbeitslose sparen. Ist das auch Ihr Ansatz?

    Brüderle: Ich glaube, dass wir bei den Verwaltungsstrukturen, auch bei den Arbeitsfördermaßnahmen, kritisch durchsehen müssen, was wirklich hilft. Es gibt ja auch Maßnehmen, die sehr streitig gestellt werden in der öffentlichen Debatte, wo man sagt: Bringt das wirklich was? Nein, es darf kein Tabu geben. Wir müssen das alles gemeinsam durchgehen und sagen: Hier und da sind Möglichkeiten, die zurückgeführt werden. Die Frau Kollegin hat ja selbst eingeräumt, es sind Einsparungen möglich und notwendig.

    Schröder: In welcher Größenordnung?

    Brüderle: Das muss man insgesamt sehen. Ich kenne jetzt die Detailvorgaben der einzelnen Ressorts nicht, ich kenne meine, weil ich die zur Verfügung habe. Aber der Ansatz des Finanzministers ist ja, das Volumen von zwölf Milliarden plus X insgesamt im Haushalt zu erwirtschaften.

    Schröder: Wie steht es mit dem Subventionsabbau? Das ist eine Forderung, die die FDP immer gerne aufs Schild hebt. Jetzt, wo es drauf ankommt: Wird das ein Bereich sein, wo Sie sich profilieren wollen? Werden Sie sich dafür einsetzen?

    Brüderle: Ja, ich habe gleich zwei Beispiele genannt aus meinem Bereich, nämlich die Subvention bei der Steinkohle und die Zuschüsse bei der regionalen Wirtschaftsförderung, dass man die weiter zurückführen muss und auch wird. Darüber hinaus meine ich, müsste man es schaffen, Subventionen zukünftig stark zu befristen. Da ist immer wieder ein neuer Entscheidungsprozess notwendig, dass eine neue Legitimation eingeholt werden muss. Das wird den Druck erhöhen, dass man auch von dieser Methode stärker abrückt.

    Schröder: Wie steht es denn mit der Subvention, die Sie gerade erst zu Jahresbeginn eingeführt haben, nämlich den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für das Hotelgewerbe? Wäre das nicht ein Signal, das Sie es ernst meinen, indem Sie an Ihre eigene Klientel rangehen?

    Brüderle: Was heißt eigene Klientel? Das ist ein Sektor, wo viele Staaten in Europa den reduzierten Satz anwenden: In Österreich der halbe, in Frankreich 5,5 und in der Schweiz drei Prozent. Das war ja die Argumentation gerade auch von den bayerischen Kollegen, die besonders betroffen sind. Das ist eine Regelung im Koalitionsvertrag der drei Koalitionsparteien. Ich glaube nicht, dass sich da eine neue Diskussionslage ergibt.

    Schröder: Aber da wird jeder sagen: An die Steinkohle wollen Sie ran. An das Hotelgewerbe – wir haben in Erinnerung, da gab es eine Millionenspende an die FDP – da wollen Sie nicht ran. Da machen Sie sich unglaubwürdig.

    Brüderle: Ja gut, die hat ja damit überhaupt nichts zu tun, das ist ja gar kein Zusammenhang. Sondern hier geht es darum, wenn Sie in Bayern leben, in Bayern ein Hotel haben – in Österreich nebendran über der Grenze ist der halbe Steuersatz, in der Schweiz sind es drei Prozent –, dann haben Sie ein Problem. Hier geht es um faire Wettbewerbsbedingungen, und das ist etwas anderes, als wenn man aus strukturpolitischen Gründen die Kohle, die man weltweit viel billiger ja einkaufen kann und über Jahre subventioniert hat, da schneller einspart.

    Schröder: Gerade bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen hat sich ein Wildwuchs in den vergangenen Jahren entwickelt. Experten haben berechnet: Wenn man die ermäßigten Mehrwertsteuersätze, die es ja teilweise für die bizarrsten Warengruppen gibt, wenn man die alle streichen würde, könnte man allein schon 20 Milliarden Euro einsparen. Warum setzen Sie hier nicht an und sagen konsequent: Die schaffen wir alle ab?

    Brüderle: Alle können Sie nicht abschaffen. Da ist die Milch betroffen, da sind Lebensmittel betroffen. Gerade bei niedrigen Einkommen, bei kinderreichen Familien jetzt die Milch durch Mehrwertsteuererhöhung teurer zu machen, ich glaube, das geht nicht. Wildwuchs ist da. Da gibt es ja die berühmten Beispiele – Kindernahrung 19 Prozent, Gänseleber sieben Prozent, die muss man bereinigen. Da wird auch eine ganze Menge zusammenkommen. Das ist auch im Koalitionsvertrag festgelegt, dass man hier den Wildwuchs begrenzt. Aber ich warne davor, bei Lebensmittel jetzt die Mehrwertsteuererhöhung vorzunehmen.

    Schröder: Und wie steht es bei Dieselkraftstoff, bei Flugbenzin? Da wäre allein, wenn man das zusammen nimmt, ein zweistelliger Milliardenbetrag zu holen.

    Brüderle: Das ist doch auf dem Prüfstand, das gilt in diesen Bereichen auch, die sind in der Diskussion sicherlich mit dabei.

    Schröder: Die Koalition macht in den vergangenen Tagen, gerade was den Sparbereich anbetrifft, nicht den Eindruck großer Harmonie. Über viele Punkte wird gestritten, schon in den Grundfragen scheint man sich da ja nicht einig zu sein. Wolfgang Schäuble, der Finanzminister, sagt: Sparen allein, das wird nicht reichen. Wir müssen auch über Steuererhöhungen nachdenken. Die FDP sagt: Mit uns auf keinen Fall! Also, wenn man in den Grundsätzen schon keine Einigkeit findet, wie soll dann diese schwierige Aufgabe gelingen über Jahre hinweg, den Staatshaushalt wieder ins Lot zu bringen?

    Brüderle: Das wird gelingen. Aber wir haben eine Drei-Parteien-Regierung. Natürlich gibt es da im Vorfeld auch Diskussionen, es gibt auch Kollegen, die sagen, bei ihnen kann überhaupt nichts gespart werden. Natürlich gibt es das. Das sind Vorfeldspiele. Aber am Schluss wird stehen eine gemeinsame Leistung, die entsprechenden Einsparungen vorzunehmen. Man muss auch einräumen: Wir sind nicht in einer einfachen Zeit. Wenn wir weltweit diese Wirtschaftskrise hatten – letztes Jahr fünf Prozent Einbruch in das Wirtschaftswachstum Deutschlands, das gab es seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr, die Finanzmarktkrise – dass das eine etwas kompliziertere Situation ist als eine Normallage. Insofern ist die Diskussion doch etwas komplizierter.

    Schröder: Aus der Wirtschaft, aber auch von anderer Seite, etwa vom amerikanischen Finanzminister Timothy Geithner, kommen schon Warnungen, Deutschland sollte es nicht übertreiben mit dem Sparen. Die Konjunktur sei noch schwach und hier drohe die Gefahr, den Aufschwung kaputt zu sparen. Wie ernst nehmen Sie diese Sorgen?

    Brüderle: Man muss alle Sorgen ernst nehmen, aber die Situation sehe ich überhaupt nicht. Im Gegenteil, wir kommen ja gerade über den Export sehr stark wieder nach oben. Und wir haben uns ja gemeinsam, die Partei mitgetragen, mit der Schuldenbremse ein hohes Ziel gesetzt in der Verfassung. Wir wollen es erfüllen und wir müssen es erfüllen, weil es Verfassungsrang hat, das heißt, bis 2016 auf 0,35 Prozent Neuverschuldung zurückzukommen. Deshalb müssen wir diesen Weg gehen. Wir müssen ja auch aus anderen Gründen diesen Weg gehen. Deutschland hat mitgebracht in diese europäische Entwicklung ein Erbe, praktisch mehr eine Mitgift als ein Erbe, der unabhängigen Notenbank von der hohen Sensibilität für Geldwertwertstabilität. Wenn wir nicht – Deutschland, der Haushaltsausgleich – die Stabilitätskriterien erfüllen, werden es die anderen nicht tun. Deutschland hat ja eine Leitfunktion. Wenn es Deutschland nicht macht, werden es die anderen noch weniger machen. Deshalb ist Deutschland a) von der Sache, b) auch von seiner Leitfunktion besonders gefordert.

    Schröder: Das Interview der Woche mit Rainer Brüderle, dem Bundeswirtschaftsminister. Herr Brüderle, keine einheitliche Linie ist derzeit auch beim Thema Opel zu erkennen. Seit Wochen müht sich der Lenkungsausschuss, eine Haltung zu finden, wie mit Staatsgarantien umzugehen ist, die General Motors angefordert hat. Es geht da um 1,1 Milliarden Euro. Am letzten Freitag, also vor zwei Tagen, sollte entschieden werden. Es wurde erneut vertagt. Warum ist es so schwierig, hier eine gemeinsame Entschließung zu finden?

    Brüderle: Der Ausschuss wird sich in den nächsten Tagen, in der nächsten Woche damit beschäftigen. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, in meiner früheren Zeit als Kommissionsabgeordneter, dass ich da sehr skeptisch bin. Das ist keine einfache Frage. Lange Zeit waren die Unterlagen entsprechend auch nicht da. Auch die internen Probleme, etwa Vereinbarungen mit dem Betriebsrat sind ja erst wenige Tage erreicht worden. Das sind lange Prozesse, die im Vorlauf waren. Aber gehen Sie davon aus, dass in aller Kürze darüber auch der Lenkungsausschuss, der in der nächsten Woche tagen wird, seine Entscheidung treffen wird.

    Schröder: Ihre Haltung ist klar. Sie sind gegen Staatsgarantien für General Motors. Aus den Ländern mit Opel-Standorten kommt scharfer Gegenwind zu dieser Haltung. Frau Lieberknecht, Thüringens Ministerpräsidentin von der CDU, hat gesagt, hier stehen Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel. Wollen Sie riskieren, dass die verloren gehen?

    Brüderle: Darum geht es nicht. Natürlich sind wir um jeden Arbeitsplatz bemüht, aber Sie müssen ja auch Gleiches gleichbehandeln. Sie dürfen einen Großkonzern nicht anders behandeln als Sie Mittelständler behandeln. Da muss je eine entsprechende Messlatte sein. Nein, es geht darum, dass es um eine klare Prinziperklärung geht. Und es ist ja ein Unternehmen, was ja sehr schnell die Kredite der amerikanischen Regierung und der kanadischen Regierung, General Motors als Eigentümer, als hundertprozentige Tochter, zurückgezahlt hat, das über erhebliche Liquidität verfügt und im ersten Quartal dieses Jahres rund 900 Millionen Gewinn gemacht hat. Da muss ich fragen, wie weit die Verantwortung der Mutter für die Tochter geht, wie weit es Aufgabe des Staates ist. Das gilt es alles, im Lenkungsausschuss abzuwägen und dann zu einer Entscheidung zu kommen.

    Schröder: Nächstes Streitthema Gesundheitspolitik. Da blockiert zurzeit die CSU die Pläne des Gesundheitsministers Philipp Rösler, der auf die Einführung einer Kopfpauschale drängt, mit der die Krankenkassen finanziert werden sollen. Nun scheinen diese Pläne erst mal begraben zu sein, weil die CSU nicht mit macht. Wie geht es da weiter?

    Brüderle: Na, sie haben sich ja geeinigt auf Eckpunkte und wollen bis zur Sommerpause es eine Lösung zuführen. Ich gebe zu, dass es mit der CSU in dieser Frage sehr schwierig ist, die CDU ja eher die Position von Kollegen Rösler mit gestützt hat. Aber bei einer Drei-Parteien-Regierung müssen wir alle drei zusammenführen. Und das wird jetzt die Aufgabe sein von Kollege Rösler, aufgrund der Eckpunkte, wie sie vereinbart wurden von den drei Partnern, in den nächsten Wochen bis zur Sommerpause ein Lösungskonzept vorzulegen.

    Schröder: Die CSU hat ganz klar gesagt, eine Kopfpauschale, da machen wir nicht mit. Gesundheitsminister Philipp Rösler hat sein politisches Schicksal, seine politische Zukunft daran geknüpft. Steht er nun vor einem Scherbenhaufen, weil diese Einführung einer Kopfpauschale nicht realisierbar ist?

    Brüderle: Die Begriffe führen ja zur Verwirrung. Er hat ja gleichzeitig vorschlagen, dass man das sozial ausgleicht, dass es eben bei den kleineren Einkommen nicht zu entsprechender Härte führt. Das war mit Sozialausgleich verbunden. Das muss man neu austarieren. Und hier sind die Vorstellungen nicht zusammengeführt. Aber man kann ja auch nicht im ersten Halbjahr alle Probleme gleich lösen. Das ist nicht einfach. Es ist eine schwierige Materie, und ich bin da sehr überzeugt, dass der Kollege Rösler in den Eckpunkten, wie sie jetzt vereinbart sind, einen Lösungsansatz bald vorlegen kann.

    Schröder: Aber wie sollen diese beiden unvereinbaren Positionen zueinander geführt werden? Das erscheint eher wie zwei Züge, die aufeinandergeprallt sind, und der stärkere aus Bayern hat sich durchgesetzt.

    Brüderle: Nein, so weit ist es nicht. Da habe ich volles Vertrauen zu ihm, dass er das tüchtig anpackt.

    Schröder: Wenn wir jetzt einen kleinen Strich drunter ziehen, Haushalts-Steuerpolitik sehen, Opel, Gesundheitspolitik, man könnte diese Liste noch weiter fortsetzen. Eine Konstante gibt es in dieser Regierung, das ist der Streit über Sachthemen. Viele fragen sich, wo sind da eigentlich noch die Gemeinsamkeiten? Die Regierung gibt ein ziemlich zerstrittenes Bild ab. Besorgt Sie das?

    Brüderle: Der Start war nicht gut, da streite ich gar nicht drüber. Er war holprig, das muss besser werden. Die Koalition muss auch lernen – das wird sie auch tun – mit einer Melodie, in einer Tonart sich zu präsentieren nach außen. Aber was verbindet ist ja ein anderes Gesellschaftsbild. Und das geht mir in der Debatte zu sehr unter, auch bei der Steuerfrage. Wir marschieren wieder auf eine Staatsquote von 50 Prozent zu. Das heißt, die Hälfte von dem, was Sie und ich und alle anderen erarbeiten, geht über den Staatssektor. Das ist zu hoch. Deshalb wollen wir es ein Stück verändern. Wenn Sie die Steuerentlastung mal sehen, um die es geht bei uns, da ist ein Drittel Unternehmenssteuerentlastung, nämlich für die kleinen Unternehmen, für die Handwerker, für die kleinen Freiberufler, für freie Journalisten, Ihre Berufskollegen, ist die Einkommensteuer die Unternehmenssteuer. Und ihnen wollen wir, weil es Rückgrat der Wirtschaft ist, ein Stück mehr Luft geben, Arbeit zu halten, neue Arbeitsplätze schaffen zu können.

    Schröder: Aber gerade mit dieser Position sind Sie doch gerade grandios gescheitert. Sie haben sich doch nicht durchsetzen können. Sie haben bis zuletzt darauf gedrängt, wir brauchen Steuersenkungen. Aber Sie haben sich nicht durchsetzen können, weil sie – so sagt Ihr Koalitionspartner – in der derzeitigen Lage nicht finanzierbar sind.

    Brüderle: Das ist so nicht richtig. Richtig ist, dass wir es zeitlich in der Zeitachse verschieben müssen, weil wir gewaltige Probleme noch haben. Sie haben ja vorher gesehen, dass die Euro-Problematik uns so zu schaffen macht, dass wir in diese finanzwirtschaftlichen weltweiten Probleme hinein kommen. Nein, das Ziel bleibt, und für mich ist es unverzichtbar, dass noch in dieser Legislaturperiode Vollzug gemeldet wird, damit Deutschland dynamischer wird, mehr Wachstum hat, wir mehr Jobs schaffen können und mehr Arbeitsplätze halten können.

    Schröder: Nun waren die Haushaltsprobleme auch im vergangenen Herbst schon bekannt. Es war klar, das gespart werden muss. Es war klar, dass das nicht einfach wird. Trotzdem hat die FDP das ignoriert und hat weiter auf Steuersenkungen gesetzt. War es ein Fehler, so lange an den Forderungen festzuhalten?

    Brüderle: Nein. Der Koalitionsverhandlung ist ja von allen drei Vorsitzenden wissentlich und auch nüchtern unterschrieben worden. Sie wussten, was sie unterschreiben. Im Vertrag steht ja drin, dass man 24 Milliarden entlasten will.

    Schröder: Sie haben sich mit diesen Positionen ja nicht durchsetzen können.

    Brüderle: Die Periode ist ja noch nicht zu Ende.

    Schröder: Deswegen fragen sich ja viele, wo ist eigentlich noch die liberale Handschrift in dieser Regierung. Was bleibt programmatisch von der FDP? Keine Steuersenkung, keine Kopfpauschale – inhaltlich stehen Sie ziemlich nackt da.

    Brüderle: So ist es nicht. Die Punkte, die Sie ansprechen, nämlich eine vernünftige Gesundheitsreform und eine Steuerreform, Steuervereinfachung ist zentraler Bestandteil des Koalitionsvertrags. Das wird auch von den Partnern nicht bestritten. Dass wir das jetzt nicht 2011, sondern in der Zeitperiode ein Stück dahin rücken müssen, ist auf die Umstände zurückzuführen. Die muss man respektieren. Aber das Ziel bleibt erhalten. Wir wollen die Steuervereinfachung, wir wollen die steuerliche Entlastung, wir wollen eine vernünftige Gesundheitsreform, die längerfristig trägt. In der Vergangenheit waren Gesundheitsreformen temporäre Kostendämpfungsgesetze. Man braucht auch in diesem Bereich Klarheit. Dass wir jetzt andere Probleme haben, die es überlagert haben, die es etwas schwerer machen, das muss man anerkenne, respektieren. Aber das heißt keine Aufgabe der Ziele.

    Schröder: Das Interview der Woche mit Rainer Brüderle, Bundeswirtschaftsminister. Herr Brüderle, Längst hat doch auch intern innerhalb der FDP die Diskussion angesetzt, ob es richtig ist, die Partei auf ein, zwei Punkte zu reduzieren, nur Steuersenkungen zu fordern. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Justizministerin zum Beispiel, hat gesagt, die FDP braucht eine neue liberale Agenda. Sie muss sich breiter aufstellen. Hat sie nicht recht?

    Brüderle: Die FDP ist ja nicht reduziert auf die beiden Punkte, die Sie ansprechen. Das war ja nie richtig. Natürlich hat die FDP ein breites Programm, hat klare Ansätze in der Bildungspolitik, in der Umweltpolitik. Aber es ist doch nicht so, dass die FDP sich reduziert hätte auf zwei Themen. Das ist einfach nicht wahr. Ich bedaure oft, dass ...

    Schröder: Also hat Frau Leutheusser-Schnarrenberger unrecht?

    Brüderle: Sie hat nicht unrecht. Wir haben die Programmatik. Unser Bemühen ist, auch die anderen Aspekte stärker in der Diskussion zu halten. Wie oft, meine ich, haben wir auch Vernünftiges zu sagen zu anderen Bereichen – das wird leider nicht bei Ihnen gesendet oder gedruckt. Dafür werbe ich halt.

    Schröder: Wo würden Sie denn für eine Verbreiterung plädieren? Wo muss sich die FDP inhaltlich neu aufstellen? Wo muss sie sich verstärken?

    Brüderle: Die FDP ist inhaltlich in der Breite aufgestellt. Wir haben genau ein so breites Programm wie die anderen Parteien dabei.

    Schröder: Die Bürger sehen das offenbar nicht ganz so optimistisch wie Sie, Herr Brüderle. In den Umfragen ist die FDP abgestürzt wie selten eine Partei. Knapp 15 Prozent hatten Sie im vergangenen Herbst, jetzt sind Sie eher bei 6, 7 Prozent. Welche Schlussfolgerung ziehen Sie aus diesem dramatischen Absturz?

    Brüderle: Na, wir müssen hart arbeiten, Vertrauen zurück gewinnen, die Menschen, die uns gewählt haben, wieder zu überzeugen, damit sie stärker zu uns stehen. Es ist zum Teil leider so, wenn Sie die Wahl rum haben und in die konkrete Arbeit gehen, dass Sie auch manchen wieder halten müssen, weil Sie Entscheidungen treffen müssen in der Regierung dabei. Aber das ist eine Bringschuld der FDP, dass sie durch vertrauenswürdige und vertrauenserzeugende Arbeit wieder die, die uns gewählt haben, stärker zurückgewinnt.

    Schröder: Ist Guido Westerwelle, der Parteivorsitzende und Außenminister, noch der richtige Mann, diese Aufgabe zu schultern? Längst gibt es ja auch Stimmen in der FDP – ich erinnere an Andreas Pinkwart, den Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen – die fordern, die Macht auf mehr Schultern zu verteilen.

    Brüderle: Also, wir haben mit Guido Westerwelle an der Spitze, und da hat der ganz entscheidenden Anteil, fast 15 Prozent erreicht. Sie haben es erwähnt.

    Schröder: Aber jetzt auch entscheidenden Anteil am Absturz?

    Brüderle: Sie können aber nicht jeden Tag nur nach der Umfrage Bewertungen vornehmen. Wir haben jetzt ein halbes Jahr nach der Wahl. Ich bin überzeugt, dass er die gleichen Fähigkeiten hat, die er vorher gezeigt hat, auch jetzt uns weiter erfolgreich zu führen.

    Schröder: Das heißt, Sie sind dagegen, auch andere in die Verantwortung zu bringen, die Macht zu verteilen?

    Brüderle: Das ist ja heute schon so. Ich bin stellvertretender Bundesvorsitzender. Ich bin mit Teil der Entscheidungsstruktur, der Führungsstruktur der FDP. Herr Pinkwart auch. Wir gewinnen zusammen. Wenn es schlecht kommt, verlieren wir auch mal ein Stück zusammen. Aber wir tun es zusammen.

    Schröder: Ein erster Schritt, Herr Brüderle, sich inhaltlich zu öffnen, könnte vielleicht in Nordrhein-Westfalen gelingen. Dort scheint die FDP nun doch gewillt zu sein, sich Gedanken zu machen, über eine Ampelkoalition mit Grünen und SPD zu sprechen. Raten Sie ihr zu, sich in die Richtung zu öffnen?

    Brüderle: Ich gebe keine Ratschläge. Ich bin seit fast 28 Jahren Landesvorsitzender der FDP in Rheinland-Pfalz und weiß, dass solche Entscheidungen immer in den Landesverbänden getroffen werden. Da ist nicht hilfreich, wenn man von außen jetzt Ratschläge gibt. Aber jenseits der Tatsache, dass man Koalitionen begründen kann nur, wenn Personen miteinander können und wenn es vom Inhaltlichen stimmt, gilt dass man im heutigen Fünf-Parteien-System sicherlich ein Stück offener denken muss und auch andere Konstellationen in Betracht ziehen muss als in früheren Zeiten. Beweis etwa im Saarland, wo die ja durchaus nach meinen Beobachtungen erfolgreich eine Koalition haben, die sich Jamaika nennt: schwarz, gelb und grün.

    Schröder: Das heißt, zusätzliche Optionen tun der FDP gut?

    Brüderle: Tun der Demokratie gut und der Partei gut, weil – ich sage es noch einmal – Koalitionen kommen nur zustande, wenn Menschen miteinander können und wenn die Sachbasis stimmt.

    Schröder: Herr Brüderle, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.