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"Das Ziel ist, alle Eltern mitzunehmen"

In Bildungseinrichtungen könnte die Teilhabe von Eltern mit Migrationsbiografie besser sein, klagen Kultusminister und Migrantenverbände. Es gelte Sprachdefizite zu überwinden und Deutschlands komplizierte Bildungslandschaft besser zu erklären, sagt BAGIV-Präsident Mehmet Tanriverdi.

Mehmet Tanriverdi im Gespräch mit Jörg Biesler | 14.10.2013
    Jörg Biesler: Wenn man in die Gremien deutscher Schulen schaut, dann trifft man dort vor allem auf deutsche Eltern. In den Pflegschaften und den Fachkonferenzen sind Eltern mit Migrationsbiografie selten zu finden, und überhaupt, sagen die Kultusminister und die Migrantenverbände, könnte die Teilhabe von Eltern in den Schulen besser sein! Mehmet Tanriverdi ist Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, guten Tag, Herr Tanriverdi!

    Mehmet Tanriverdi: Schönen guten Tag!

    Biesler: Sie haben gerade eine Vereinbarung mit den Kultusministern unterzeichnet. Wenn man die angestrebten Ziele dieses Papiers mal quasi rückwärts rechnet, dann kommt man ja auf das, was noch nicht so stimmt. Zum Beispiel will das Papier eine von Respekt und Wertschätzung geprägte Willkommenskultur für die Eltern und Schüler mit Migrationshintergrund in den Schulen. Gibt es die nicht?

    Tanriverdi: Die gibt es schon, aber die ist nicht ausreichend. Also, nicht nur Willkommenskultur, wie Sie sie auch in der Vereinbarung wiederfinden, wir haben noch Anerkennungskultur ergänzt. Wir wollen unsere Kinder auch anerkennen, die bereits hier sind, nicht nur diejenigen, die jetzt kommen, sondern auch die hier sind, willkommenheißen, aber auch anerkennen. Alle mit ihren Schwächen und Stärken, die sie mitbringen.

    Biesler: Ein Ziel ist dann auch, die Sprache besser zu akzeptieren, auch besser zu fördern, die die Kinder jeweils mitbringen. Das heißt, dass neben Englisch, Französisch und Latein womöglich an den Schulen in Zukunft andere Sprachen gelehrt werden sollen?

    Tanriverdi: Das ist richtig, das ist ein Reichtum, was wir haben, was unsere Kinder mitbringen, und diese Mehrsprachigkeit sollte gefördert werden. Die wird anerkannt mittlerweile, auch wertgeschätzt, und die soll verstärkt gefördert werden, das haben die Länder auch erkannt und die Migrantenorganisationen sind sehr zufrieden.

    Biesler: Jetzt ist das die eine Seite, dass die Schulen und auch das ganze Schulsystem etwas mehr zugeht auf die Kinder beziehungsweise die Eltern, die einen Migrationshintergrund haben. Aber es soll ihnen auch leichter gemacht werden, selbst Schritte zu tun. Wie könnte das aussehen, was sind überhaupt die Hemmnisse?

    Tanriverdi: Unsere Vereinbarungen sind hauptsächlich Richtung Eltern, also von der Migrantenverbandseite. Wir wollen mehr die Elternschaft gewinnen, Eltern mit Migrationshintergrund, die die komplizierten Schullandschaften in Deutschland, in 16 verschiedenen Bundesländern, nicht erkennen. Wie Sie zu Beginn sagten, die Eltern mit Migrationshintergrund sind in Gremien unterrepräsentiert, und es kann nur gelingen, der Erfolg unserer Kinder, wenn die Eltern auch dazu ihren Beitrag leisten. Also, das Ziel ist, alle Eltern mitzunehmen, die Schule den Eltern mehr zu erklären, dass sie die Rechte und Pflichten ihrer Kinder wahrnehmen, dass sie sich für die Schule starkmachen.

    Biesler: Was hält denn im Augenblick Eltern mit Migrationshintergrund so wesentlich davon ab, sich in Gremien zum Beispiel zu engagieren oder in der Schule stärker mitzuarbeiten?

    Tanriverdi: Da gibt es sicherlich verschiedene Gründe. Stichwort Sprachdefizite oder dass die Schullandschaft kompliziert ist, diese Schulmaterie insgesamt vielleicht kompliziert ist. Ich weiß es nicht, diese Gründe sollten erforscht werden. Das sind Eltern hauptsächlich, die aus bestimmten Kulturkreisen, die nicht zu den Elternabenden gehen, nicht zu den Schulfesten gehen, und die wollen wir gewinnen, verstärkt durch die Werbung, durch Mehrsprachigkeit, durch Publikationen. Und vor allem, wir Migrantenverbände, die eine Art Brückenfunktion spielen können zwischen Schule und Elternschaft, das wollen wir verstärkt einsetzen.

    Biesler: Jetzt sind Sie ja quasi vorbildlich aktiv gewesen in der Schule. Ihre Kinder sind schon nicht mehr in der Schule, aber ich weiß, dass Sie auch mitgearbeitet haben in den Gremien. Welche Erfahrungen haben Sie denn da gemacht?

    Tanriverdi: Ich habe von ganz unten angefangen, vom Kindergarten aus habe ich mich starkgemacht und mich informiert, für Gremien kandidiert, Elternarbeit habe ich von Kindergarten bis Landeselternbeirat gemacht. Also Klassenelternbeirat, Schulelternbeirat, Stadt- und auf Landesebene war ich drei Jahre aktiv. Ich habe die Erfahrung gemacht, meine Kinder haben davon profitiert, sie haben gesehen, der Vater interessiert sich. Das war eine sehr positive Erfahrung für mich und, denke ich, meine Kinder auch. Und das hat sich ausbezahlt, wenn man so will.

    Biesler: Da können Sie ja jetzt wahrscheinlich ganz gut mithelfen, diese Brückenfunktion der Migrantenverbände zu übernehmen. Warum machen das die Migrantenverbände, warum können das die Schulen nicht alleine?

    Tanriverdi: Ich glaube, die Schulen versuchen es auf unterschiedliche Art. Aber diese Bestrebungen, die reichen nicht aus. Die Schulen können Briefe schreiben an die Elternschaft, die vielleicht nicht von allen Eltern gelesen werden. Aber an Community, an verschiedene Gruppierungen kommen sie gar nicht dran. Und ich denke, die Migrantenverbände, die sehr gut organisiert sind, vernetzt sind, die haben Zugang zu den Eltern. Und wenn wir dafür noch einen Beitrag leisten, werben dafür, tragen wir einen positiven Beitrag dazu.

    Biesler: Mehmet Tanriverdi ist Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände. Vielen Dank für das Gespräch!

    Tanriverdi: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.