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Das Zwei-Grad-Ziel ist "kaum noch erreichbar"

"Politisch ist es unrealistisch, ein Ziel zu verfolgen, was als nicht mehr erreichbar gilt", sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Hinblick auf das Zwei-Grad-Ziel und die UN-Klimakonferenz in Doha. Man müsse den "Umstieg schaffen von den ganz großen politischen Zielen auf globaler Ebene" hin zu konkreteren, sektoralen Abkommen.

Oliver Geden im Gespräch mit Birgid Becker | 26.11.2012
    Birgid Becker: Doha also zum Start, Hauptstadt des Emirats Katar, wo heute Vertreter aus mehr als 190 Staaten zur 18. UN-Klimakonferenz zusammengekommen sind. Zwei Wochen sollen die Beratungen dauern; es starten die Fachleute, ab 4. Dezember sind dann die Minister dabei.
    Doha also ohne große Erwartungen? Ob es in dieser Situation nicht angebracht sein könnte, die großen Erwartungen überhaupt als politisches Ziel zu streichen, das habe ich vor der Sendung Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik gefragt. – Das lange propagierte Zwei-Grad-Ziel als Grenze für die maximale Erderwärmung, muss man es fallen lassen und sollte man das auch tun?

    Oliver Geden: Natürlich sollte man das eigentlich nicht tun, weil es von dem Niveau her schon Sinn macht. Aber wir sehen, dass es kaum noch erreichbar sein wird, nach allem, was uns die Klimaökonomie sagt, und politisch ist es unrealistisch, ein Ziel zu verfolgen, was als nicht mehr erreichbar gilt. Und irgendwann wird sich die Politik, wird sich die Wissenschaft, werden sich auch die NGO's das eingestehen müssen und dann werden wir alle zusammen nach einem neuen Ziel suchen müssen. Das wird keine angenehme Situation, aber wir drücken uns jetzt seit Jahren um diese Entscheidung drum herum.

    Becker: Und wenn es nun aber nicht das große politische Ziel gibt, was sollte an dessen Stelle treten? Oder anders gefragt: Kann es überhaupt politische Ziele ohne einen Fixpunkt geben?

    Geden: Im Grunde genommen müssen wir den Umstieg schaffen von den ganz großen politischen Zielen auf globaler Ebene, von denen niemand weiß, ob wir die erreichen können, für die es auch keinerlei Strukturen gibt, um sie zu erreichen, müssen wir zur Vereinbarung von konkreten politischen Maßnahmen kommen. Wir setzen uns immer große Ziele und denken dann die Maßnahmen, das kommt dann später, aber wir wissen eigentlich bis heute nicht, ob diejenigen, die das Zwei-Grad-Ziel unterschrieben haben, wirklich bereit wären, auch was für den Klimaschutz zu tun, und das heißt, wir müssen verstärkt dahin kommen, konkretere Abkommen zu schließen.

    Becker: Kyoto war also eine Art historischer Sonderfall? So etwas wird es nicht mehr geben?

    Geden: Anscheinend wird es das schon noch geben in der Form, dass wir jetzt ein Kyoto-II-Abkommen sehen könnten, an dem aber noch weniger Staaten teilnehmen werden als beim ersten Mal, also im Grunde genommen nur noch die Europäische Union, Australien, die Schweiz und Norwegen. Die decken 15 Prozent der globalen Emissionen ab. Da geht es eigentlich nur darum, Zeit zu überbrücken, bis ein größeres Abkommen käme.

    Becker: Welche andere Art der Vereinbarungen kann es geben, wenn es nicht die großen multinationalen Vereinbarungen sind?

    Geden: Entweder suchen sich die Staaten, die es mit Klimaschutz ernst meinen, Verbündete in der Welt und vereinbaren sozusagen besondere Maßnahmen, mit denen sie sich dann selber auch vor ihrer eigenen Bevölkerung trauen können, etwas fortschrittlicher zu sein. Das kann eine Verbindung der Emissionshandelssysteme sein, wie sie jetzt mit Australien auch angedacht sind. Aber was eigentlich viel wichtiger wäre, wenn man in einzelnen Wirtschaftssektoren, in stark globalisierten Wirtschaftssektoren zu sektoralen Abkommen käme, ob das im Luftverkehr ist oder im internationalen Schiffsverkehr oder bei Stahl oder Aluminium. Da hat man jeweils gar nicht so viele Player international und könnte natürlich innerhalb dieser Sektoren sagen, gut, wir nehmen uns jetzt vor, Jahr für Jahr bessere Emissionsstandards zu etablieren und dafür brauchen wir nicht die UN. Das kann innerhalb dieser Sektoren verhandelt werden mit wesentlich weniger Playern, als wir jetzt in der UN am Tisch sitzen haben. Das heißt natürlich nicht, dass das automatisch leichter wäre, weil dann wird es konkret, dann müssen alle Beteiligten auch Farbe bekennen. Aber wenn die internationalen Verhandlungen weiterhin derart stocken – und das tun sie eigentlich seit Beginn dieser Verhandlungen, seit vor 18 Jahren -, dann werden wir irgendwann versuchen müssen, auf anderen Gleisen vielleicht nicht zum Ziel, aber doch in eine Richtung des Ziels zu kommen.

    Becker: Kann das denn passieren, ohne dass es einen politischen Rahmen gibt, oder muss es den politischen Rahmen doch geben, um solche Prozesse auch auf sektoraler Ebene oder auf Branchenebene oder auf Konzernebene anzustoßen?

    Geden: Wenn es den globalen politischen Rahmen am Ende gibt, ist es natürlich besser für alles, was man sektoral tut. Wir haben uns eben nur angewöhnt zu denken, man bräuchte zuerst das globale Abkommen und das ganz große Abkommen, bevor man das sektoral ausbuchstabieren kann. Aber wenn Sie folgendes Gedankenexperiment nehmen, wir hätten bis zum Jahr 2020 den großen globalen Vertrag, auch mit einer großen Ambition, was das Ziel angeht – wenn bis dahin wenig passiert ist on the ground, in einzelnen Ländern, in einzelnen Branchen, dann ist im Grunde genommen auch der Vertrag wertlos. Das heißt, wir brauchen auch bis dahin schon funktionierende Infrastrukturen in Richtung low carbon economies, also wir brauchen bestimmte politische Infrastrukturen, und wir dürfen vor allen Dingen nicht immer sozusagen schwarz-weiß denken: entweder kommt jetzt der große Durchbruch, auf den wir aber seit fast 20 Jahren warten, oder es kommt die große Katastrophe. Es gibt gewissermaßen ja auch einen Weg dazwischen. Natürlich wäre es besser, zwei Grad zu erreichen als vier, aber drei wären auch immer noch besser als vier. Wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht in so einer Art Fatalismus verfallen.

    Becker: Oliver Geden war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.