Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"... dass die vorrangigste Eigenschaft dieses Instruments das Singen ist"

Schon oft haben wir an dieser Stelle eine Lanze gebrochen für Werke, die im Laufe der Musikgeschichte verschüttet wurden und dann in unseren Tagen von ebenso findigen wie mutigen "Musikarchäologen" wieder ausgegraben und auf CD gebannt wurden. Dabei fallen immer wieder die gleichen Namen, seit langem zum Beispiel der des Klarinettisten Dieter Klöcker, oder, in jüngerer Zeit, der des Dirigenten Johannes Moesus.

Von Ludwig Rink | 09.10.2005
    Moesus hat sich mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim um den Komponisten Peter von Winter und mit den Hamburger Sinfonikern um die Werke von Friedrich Witt gekümmert, Dieter Klöcker ist mit seiner Mehrfachbegabung als Musikforscher, Klarinettist und Ensembleleiter ohnehin ein Glücksfall für die Ausgräber-Zunft. Für einen Komponisten mit dem schönen Nachnamen Backofen haben sich die beiden jetzt erneut zusammengetan: drei von dessen frühromantischen Klarinettenkonzerten erschienen im Sommer beim Label cpo, der Klassik Produktion Osnabrück.

    * Musikbeispiel: Georg Heinrich Backofen - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Klarinettenkonzert, op. 3 B-Dur

    Georg Heinrich Backofen, 1768 als Sohn des markgräflichen Oboisten Johann Matthäus Backofen in Durlach geboren, erhielt seine erste musikalische Unterweisung vermutlich bereits beim Vater. 1780 zog die Familie nach Nürnberg, wo Heinrich und seine jüngeren Brüder im zarten Alter von 12, 10 und 9 Jahren mit dem Musikstudium begannen, was den Instrumentalunterricht genauso wie die Komposition umfaßte. Dabei wurde die Klarinette bald zu Georg Heinrich Backofens Hauptinstrument. Neben seiner musikalischen Begabung muss er aber auch großes Talent fürs Zeichnen und Malen sowie einen ausgeprägten Sinn für Fremdsprachen gehabt haben. Bei berühmten Klarinettisten in Meiningen, Würzburg und Paris vervollkommnte er sein Spiel und war bald jeweils monatelang als Virtuose in Frankreich, Spanien, Italien, Belgien und den heutigen Niederlanden unterwegs. Auch einem völlig anderen Instrument, nämlich der Harfe, widmete sich Backofen während seiner Reisen und Engagements. Für das Spiel beider Instrumente verfasste er Lehrbücher. Er wirkte im Theaterorchester in Nürnberg, später als Kammermusicus in herzoglichem Dienste in Gotha und schließlich als Kammermusicus der ersten Klasse in der Großherzoglich-Hessischen Hofkapelle in Darmstadt - übrigens in erster Linie als Flötist. 1815 gründete er daneben ebenfalls in Darmstadt eine Blasinstrumentenfabrik und betätigte sich als Klarinettenbauer.

    * Musikbeispiel: Georg Heinrich Backofen - 1. Satz Allegro giusto (Ausschnitt) aus: Klarinettenkonzert, op. 16

    Von seinem Pariser Lehrer Lefèvre hatte Georg Heinrich Backofen gelernt, bei allen Instrumenten sei es vor allem die Klarinette, die am meisten Ähnlichkeit mit der menschlichen Stimme habe. Folglich müsse man "den Schülern beibringen, dass die vorrangigste Eigenschaft dieses Instruments das Singen ist." Gesangliches findet man in den vielen schönen Melodien der Klarinettenkonzerte Backofens, gesanglich ist allemal auch erneut das virtuose Spiel Dieter Klöckers. Das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern begleitet dezent, für meinen Geschmack manchmal sogar etwas zu sehr. Es ist eins der Ensembles des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das in die modische Spardiskussion geraten ist und zur Saison 2007/2008 mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken verschmolzen werden soll. Dies wird sicher künstlerisch kein leichtes Unterfangen, denn die Musiker aus Kaiserslautern hatten immer einen besonderen Schwerpunkt bei der leichten Muse, verbunden mit Namen wie Robert Stolz, Franz Grothe, Peter Kreuder oder dem langjährigen Chefdirigenten Emmerich Smola, während die Musiker aus Saarbrücken in ihrer Biografie stolz eine Liste von 250 Uraufführungen aus dem Bereich der Neuen Musik vorzeigen, von Leuten wie Boulez, Nono, Kagel, Cage oder Hans Zender. Musikalisch soll diese Orchesterfusion der Geiger und Dirigent Christoph Poppen bewerkstelligen, organisatorisch steht ihm dann, wie jetzt bekannt wurde, Benedikt Fohr als Orchestermanager zur Seite, der im Augenblick noch das Orchestre Philharmonique du Luxembourg betreut. Ob Ausgrabungen zu Unrecht vergessener Werke dann noch zu den Anliegen des neuen Kaiserslauterner-Saarbrückener Klangkörpers gehören, wird die Zukunft zeigen.

    * Musikbeispiel: Georg Heinrich Backofen - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Klarinettenkonzert, op. 24 Es-Dur

    Gerade im heutigen Konzertbetrieb, wo die Geiger und Pianisten als Partner des sinfonischen Orchesters nach wie vor eine größere Rolle spielen als Flötisten, Oboisten und Klarinettisten, könnten die Klarinettenkonzerte Backofens eine willkommene Bereicherung sein und zeigen, dass es neben Mozart, Spohr und Weber auch noch anderes gibt. Sie ermöglichen einen guten Einblick in das Repertoire und das musikalisch-technische Können eines reisenden Virtuosen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Doch am Schluss will nicht ich noch einmal eine Lanze für Vergessenes und Verschüttetes brechen, sondern lasse es den Literaturkritiker Reich-Ranicki sagen: "In einem Land, in dem man zwar Bach schätzt, aber Offenbach unterschätzt, wo man Wagner und Bruckner verehrt und Nicolai und Lortzing herablassend belächelt, wo die Walzerkönige ebenso gebraucht wie bagatellisiert werden, da kann man nicht oft genug erinnern: Verachtet mir die kleinen Meister nicht!"

    * Musikbeispiel: Georg Heinrich Backofen - 3. Satz Rondo al Espagnol aus: Klarinettenkonzert, op. 16 Es-Dur

    Georg Heinrich Backofen - Klarinettenkonzerte
    Dieter Klöcker, Klarinette
    SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern
    Leitung: Johannes Moesus
    Label: cpo
    Labelcode: LC 08492
    Bestellnr.: 777 065-2