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"Datenschutzbeauftragte sind nicht der rechte Arm der Politik"

Nach Ansicht des Leiters der Forschungsstelle Datenschutz, Spiros Simitis, ist es die Aufgabe des Bundesdatenschutzbeauftragen, auf nicht umgesetzte Datenschutzgesetze aufmerksam zu machen. Aus diesem Grund halte er die Kritik von Bundesinnenminister Otto Schily an Peter Schaar für unberechtigt. Es sei die Pflicht des Datenschutzbeauftragten, bei kritischen Entwicklungen der Politik auch mal in den Arm zu fallen und Anstoß für öffentliche Debatten geben.

21.04.2005
    Simon: Bundesinnenminister Otto Schily mag ein Schöngeist sein mit tiefer Liebe zur Toskana und literarischen Klassikern. In der politischen Auseinandersetzung wird er manchmal reichlich grob. Dieser Tage traf es Peter Schaar, den Bundesdatenschutzbeauftragten. Der müsse sich mal wieder darum kümmern, was seine Aufgabe sei, schimpfte der Bundesinnenminister. Er, Schaar, habe kein Mandat, das ihn bemächtige, sich in dieser Frage zu Wort zu melden. Ursache für Schilys Zorn war Schaars Kritik an der Bundesregierung gewesen. So hatte der Datenschützer bei der Vorstellung seines Tätigkeitsberichtes einen Aufschub bei der Einführung neuer Pässe mit biometrischen Daten gefordert und eine Überprüfung der Anti-Terror-Gesetze angemahnt. – Am Telefon ist Spiros Simitis, der Leiter der Forschungsstelle Datenschutz an der Frankfurter Universität und früher hessischer Datenschützer. Ich grüße Sie!

    Simitis: Guten Morgen!

    Simon: Herr Simitis, als interessierter Laie hat man durchaus den Eindruck, dass es bei der Kritik von Peter Schaar um klassische Bereiche des Datenschutzes geht. Das Gesetz erwartet vom Datenschutzbeauftragten, dass er Empfehlungen abgibt. Wie erklären Sie sich die Schelte des Bundesinnenministers?

    Simitis: Zunächst sind es nicht nur klassische Bereiche, sondern klassische Aufgaben. Datenschutzbeauftragte haben eine doppelte Funktion. Sie müssen dort sich melden, wo sie feststellen, dass bestehende Datenschutzgesetze nicht so umgesetzt werden wie sie es müssen, und sie müssen – und das ist noch viel wichtiger – sich abzeichnende Entwicklungen öffentlich ansprechen, um im Parlament auch eine Debatte darüber zu ermöglichen genauso wie in der Gesellschaft. Nichts anderes hat Herr Schaar getan. Hätte er es nicht getan, hätte er seine Aufgabe verfehlt und ich bin äußerst befremdet von einer solchen Kritik.

    Simon: Ja was heißt das dann, wenn der Bundesinnenminister so losschimpft?

    Simitis: Datenschutzbeauftragte sind nicht der rechte Arm der Politik, sondern sie müssen der Politik auch mal in den Arm fallen. Kein Politiker hat es sehr gerne, wenn er bestimmte Vorstellungen hat und diese Vorstellungen dann von jemandem kritisiert werden, der die Aufgabe hat, Technik und Gesetzesentwicklung zu verfolgen.

    Ich nehme mal ein Beispiel. Um das wieder anzusprechen, was Sie vorhin schon erwähnt haben: die Biometrie und die Einführung von Chips in die Pässe. Im Augenblick ist es so, dass es erste Versuche gibt, zum Beispiel in Paris Roissy. Diese Versuche sind noch im Anfangsstadium. Niemand weiß, wie sich diese Technologie wirklich auswirken wird, und niemand weiß, ob sie überhaupt funktionieren wird und ob sie tatsächlich für diesen Zweck gebraucht werden kann. Es ist unverantwortlich, in einer solchen Situation eine Entscheidung zu fällen, die Millionen von Bürgern in Europa dazu bringen wird, diese Chips in ihre Pässe zu bekommen, statt sich zunächst zu vergewissern, was man damit eigentlich bewirkt.

    Simon: Peter Schaar, der Datenschutzbeauftragte, sagte selber in dieser Woche, so manchmal habe er das Gefühl, dass in Deutschland inzwischen Sicherheit eindeutig vor Datenschutz gehe. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Simitis: Das teile ich, aber ich würde es vielleicht noch etwas anders formulieren. Es steht fest, dass in Amerika zum Beispiel seit dem 11. September der 11. September zur Marke geworden ist für jede Reflexion, ob und in welchem Umfang Bürgerrechte eingeschränkt werden sollen. Bedauerlicherweise ist es so, dass wir hier ähnlich verfahren. Der Terrorismus muss bekämpft werden. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Das aber ermächtigt uns nicht, dort einzugreifen, wo Grundrechte auf dem Spiel stehen. Dort verlangt das Bundesverfassungsgericht klare Vorgaben und genau das hat es wiederholt gerügt und genau das müssen wir viel mehr beachten.

    Simon: Wie sehr macht es denn Ihre Arbeit oder die Arbeit der Datenschützer noch problematischer, dass viele Menschen überhaupt kein Problem damit haben, zum Beispiel mit diesen biometrischen Daten?

    Simitis: Sie haben damit den Punkt angesprochen, der mich mehr als jeder andere beunruhigt. Datenschutz lebt vom öffentlichen Bewusstsein, sich auch für die Verteidigung der Bürgerrechte und für die Verteidigung der Grundrechte einzusetzen. Bedauerlicherweise ist es so, dass wir mehr und mehr feststellen können, dass Bürger nicht zum Beispiel mit der Intensität reagieren, wie sie es früher getan haben.

    Das hat vielleicht verschiedene Gründe. Einer der Gründe ist, dass man feststellen kann, dass etwa das Internet und der Gebrauch des Computers vor allem bei jüngeren Menschen dazu führt, dass sie annehmen, das überhaupt nichts mehr geschützt werden kann, weil alles gleichsam geknackt und aufgedeckt werden kann wie im Internet. Ein anderer Grund ist, dass in dieser ständigen Gegenüberstellung von Sicherheit und Datenschutz natürlich der Blick auf die Sicherheit zuerst geht, natürlich man bereit ist, videoüberwacht zu werden, natürlich man auch bereit ist, anderes in Kauf zu nehmen. Das heißt wir haben Fronten aufgebaut, die Nachdenken immer schwieriger machen.

    Simon:Das heißt aber auch, dass es immer schwieriger werden wird, die Bundesregierung, wenn Minister Schily diesen Kurs fährt, zur Umkehr zu bewegen?

    Simitis: Das ist so und dafür gab es auch in dieser Reaktion ein gutes Beispiel. Wenn Sie mal die Verbindungsdaten nehmen bei der Telekommunikation. Dort hat Herr Schaar mit Recht gesagt, wir können nicht immer längere Fristen in Kauf nehmen und wir müssen uns überlegen, was denn genau diese Fristen bewirken sollen. Sie sind im Prinzip dazu da, die Abrechnung zu erleichtern und Klarheit zu schaffen auch beim Kunden, ob er etwas schuldet oder nicht. Wenn Sie aber von einigen Monaten auf vier Jahre übergehen, dann ist zu fragen, wozu sollen denn diese Daten dann überhaupt sein. Dann wecken Sie Datenhunger und genau das ist die Gefahr, vor der wir stehen.

    Nehmen Sie mal ein anderes Beispiel. Heute Morgen ist zu Recht gesagt worden, dass man bei den Kundenkarten immer mehr Daten sammelt und sie auch verkauft. Man muss aber noch etwas hinzufügen: Dort entstehen Datenprofile und diese Datenprofile sind nicht nur für das Unternehmen und für andere Unternehmen interessant, sondern genauso für Sicherheitsbehörden. Dasselbe können wir bei Biobanken sehen, die für die Gesundheitsbehörden und eine präventive Politik eine Rolle spielen. Das heißt wir haben immer mehr Versuche, langfristig mehr Daten zu sammeln, um damit steuernd einzugreifen in das Verhalten der Einzelnen.

    Simon: Spiros Simitis, der Leiter der Forschungsstelle Datenschutz an der Frankfurter Universität. Vielen Dank Herr Simitis für das Gespräch.

    Simitis: Gern geschehen!